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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Ideologische und praktische probleme der christianisierung



Die Entdeckung der Neuen Welt warf ein großes theologisches Problem auf: Das Neue Testament sagt, dass die Apostel Jesu in alle Welt gingen, um den Glauben zu verbreiten. Durch die Entdeckung Amerikas tauchte auf einmal ein ganzer Kontinent aus dem Nichts auf, dessen Millionen Einwohner niemals mit dem Christentum in Berührung gekommen waren. Dieser Umstand forderte eine Erklärung.
So gab es etwa die These (und zwar bis ins 19. Jahrhundert hinein), dass ein ,,verlorener Apostel\" (St. Thomas) in Amerika gepredigt hatte. Zu ihrer Untermauerung wurde auch auf indianische Mythen zurückgegriffen, z.b. auf den in Mesoamerika weit verbreiteten Mythos über den Kulturheroen Quetzalcoatl, dessen überlieferte Gutherzigkeit Anknüpfungspunkte an das christliche Ideal der Nächstenliebe bot. Die Konsequenz dieser These wäre aber gewesen, dass der gesamte Kontinent später wieder vom Glauben abgefallen war, da es zur Zeit der Konquista ganz offensichtlich keine Christen in der Neuen Welt gab! Eine solche Schlussfolgerung war unter politischem Aspekt höchst unpraktisch; die gesamte indianische Bevölkerung hätte demnach notwendig als glaubensabtrünnig behandelt werden müssen, d.h. auf die durch die Inquisition im Mutterland praktizierte Art und Weise, bspw. gegenüber den Conversos und Moriscos. Ein solches Vorgehen war weder möglich bei der vorgefundenen Millionenbevölkerung, noch erwünscht - nicht zuletzt wegen des Interesses an der ökonomischen Ausbeutung der Ressourcen ebendieser Bevölkerung.
Die offizielle Erklärung ging daher in eine andere Richtung: Die Existenz Amerikas war demnach ein göttliches Mysterium und seine Einwohner (Gentiles) galten als vom Teufel irregeführte Götzenanbeter, die keine Kenntnis vom Christentum hatten und deshalb evangelisiert werden mussten. Die Überzeugung von der Notwendigkeit zur Evangelisierung speiste sich wohl vor allem aus der herrschenden Ideologie eines christlichen Sendungsbewusstseins bei den Spaniern, die auch ein wesentlicher Antrieb für die Rekonquista gewesen war, weniger aus der Überlegung, den Glauben als Instrument der Sozialdisziplinierung zu nutzen, unabhängig davon, dass er dann tatsächlich einen wesentlichen Anteil an genau dieser Funktion im Rahmen des Kolonialsystems übernahm. Das die Indianer ,,Götzenanbeter\" waren, diente als eine der grundsätzlichen Rechtfertigungen - in der spanischen Historiographie teilweise noch immer ,,rechtmäßiger Anspruch\" genannt - zur Eroberung der Neuen Welt.
Die Anerkennung einer eigenen Religion der Indianer bedeutete aber, dass sie eigentlich nicht unter die kirchliche Rechtsprechung fielen, bzw. deren Zuständigkeit (auch für die gerade konvertierten Indianer) bestritten wurde. Vertreter dieser Auffassung war bspw. der als ,,Freund der Indianer\" apostrophierte Dominikanermönch Bartolomé de las Casas, während auf der anderen Seite z.B. der Franziskaner Diego de Landa offensichtlich von der Notwendigkeit eines Glaubensgerichtes für Indianer in Form der Inquisition überzeugt war, wie im 3. Kapitel versucht wird darzustellen. Überlagert wurde dieser Konflikt durch eine zusätzliche Kontroverse darüber, ob man den Indianern eine menschliche Natur zubilligen könne. Dies wurde u.a. von dem Gelehrten Juan Ginés de Sepúlveda verneint, der darüber im Jahre 1550 vor dem Hof in Valladolid eine Disputation mit las Casas führte.
Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen innerhalb der spanischen Elite war ein Kompromiss, der die Interessen der beteiligten Kräfte weitgehend berücksichtigte (natürlich auf Kosten der indianischen Bevölkerung): Die katholische Kirche konnte, indem den Indianern eine missionswürdige Seele zuerkannt wurde, ihren Einfluss in den Kolonien maximal entfalten. Zugleich hinderte das weder die Konquistadoren noch die spanische Krone an der fortgesetzten brutalen Ausbeutung der Eroberten (für deren Beendigung bzw. Milderung ja gerade las Casas eingetreten war). Auf kirchenrechtlichem Gebiet fand dieser Kompromiss seinen formalen Ausdruck in der schon erwähnten Ausnahme der Indianer von der Zuständigkeit der ,,offiziellen\" Inquisition bei gleichzeitiger Einrichtung der funktionsgleichen Institution der Provisoratos.
Die praktischen Probleme, die bei der Christianisierung auftraten, waren größer als erwartet: Die Spanier verfügten über keinerlei Kenntnisse bezüglich der indianischen Religionen, im Gegensatz zu den ihnen bekannten (Judentum, Islam), mit denen es schon einen jahrhundertelangen Prozess der Auseinandersetzung gegeben hatte und mit denen das Christentum immerhin den auf gemeinsame Wurzeln zurückgehenden Monotheismus teilte. Hierin unterschieden sich die neuweltlichen Religionen grundsätzlich von den europäisch-mediterranen, verfügten sie doch in der Regel über ein ausgedehntes Pantheon. Unverständlich musste den Spaniern auch die gesamte Kosmologie der Indianer, ihre Auffassungen über Raum und Zeit, die Rolle des Menschen in ihnen sein. In diese z.T. äußerst komplexen indianischen Weltbilder sollte nun der christliche Glaube als wesentliches Element der Organisation einer kolonialen Gesellschaft installiert werden. J. Jorge Klor de Alva beschreibt die Schwierigkeiten, die das mit sich brachte mit Bezug auf Neu-Spanien (Mexiko) wie folgt: Man kann sich kaum ein schwierigeres Projekt vorstellen: politischer und religiöser Widerstand, demographische Verhältnisse, Sprachbarrieren, kulturelle Fremdheit und ausgedehnte geographische Räume standen dem im Wege und die Spanier hatten wenig Präzedenzfälle, denen sie folgen konnten. Weder die Konfrontation mit Häretikern, Glaubensabtrünnigen oder Nicht-Christen zu Hause, noch ihre Erfahrungen mit den segmentären Stammes- und Häuptlingtums- [Chiefdom-] Gesellschaften im karibischen Raum, hatten sie auf die Begegnung mit den Stadtstaatgesellschaften Neu-Spaniens vorbereitet. In Zentralmexiko unterschieden sich die kulturellen, Regulations- und Sicherheitsinteressen deutlich von denen in Spanien; dort [in Spanien, d. Verf.] gab es nicht nur eine Auswahl von effektiven Mechanismen sozialer Kontrolle, die in der Neuen Welt nicht einfach übernommen werden konnten, sondern die ethnische Vielfalt auf der iberischen Halbinsel tendierte eher zu einem Zustand staatsbürgerlicher Einheitlichkeit, als die politische Stabilität und kulturelle Lebensfähigkeit der Gesellschaft herauszufordern, wie es in Mexiko regelmäßig der Fall war.
Über die Ergebnisse der Christianisierung der indianischen Bevölkerung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Unübersehbar ist das Element des Synkretismus in ihrer heutigen Religion, d.h. der Verschmelzung von christlichen Formen und Inhalten mit solchen aus den ursprünglichen indianischen Religionen. Die aktuelle Debatte über die Bewertung dessen ist zugleich ein Streit über den Erfolg oder das Scheitern der Christianisierung. Die beiden gegensätzlichen Positionen können hier nur angerissen werden. Die eine besagt, dass das Christentum in seiner synkretistischen Form ein Kompromiss aller Kulturen im kolonialen Mexiko war und zugleich Mechanismus der Akkuiteration und sozialen Kontrolle Spaniens. Die gegensätzliche These vertritt die Auffassung, der Einfluss der christlichen Religion sei minimal geblieben; statt dessen hätten die vorkolonialen Inhalte in christlichen Formen überlebt und die heutige Religion der indigenen Bevölkerung sei demzufolge Ausdruck eines jahrhundertelangen passiven Widerstandes. Im Sinne des Gegenstandes dieser Arbeit besteht ein Interesse an der Problematik, weil mit ihr die Auseinandersetzung über den Erfolg der Inquisition als Herrschaftsmechanismus zusammenhängt, die im folgenden Abschnitt eine Rolle spielt.

 
 

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