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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Geschichte des antisemitismus



Aus einer Rede des christlichsozialen Abgeordneten L. Kunschak 1920 im Parlament:

Die Studentenkrawalle sind nur der akute Ausdruck der schweren Erkrankung, in welcher sich unsere öffentliche Ordnung und unser öffentliches Leben überhaupt befinden. Sie sind zu vergleichen mit den Wirkungen, die sich ergeben, wenn eine Eiterbeule zum Aufbrechen kommt. und diese Eiterbeule am Körper unseres Volkslebens wie unseres Staatslebens besteht in der Tatsache, daß seit dem Kriegsbeginn bis zum heutigen Tage noch immer von den Flüchtlingen der damaligen Zeit sich eine bestimmte Sorte - es sind das die Ostjuden - in Wien aufhält und anscheinend durch nichts aus Wien hinauszubringen ist (So ist es!) Es ist sehr bezeichnend, daß die Flüchtlinge anderer Nationen von selbst das Bedürfnis gehabt haben, in dem Augenblick, wo sich ihnen ein, wenn auch noch so schmaler Weg zurück in ihre Heimat geboten hat, diesen Weg zu betreten [..] Nur die Ostjuden, die nicht nur allein, sondern mit ihrer ganzen Nation gemeinsam haben das Gefühl vollständigen Mangels an Heimatliebe. weil sie keinen Heimatbegriff kennen, sind hier geblieben. Die Heimat des Juden ist der Boden, wo sein Hafer wächst, und nur so lange. als Hafer eingebracht werden kann; in dem Augenblick, wo es Hafer nicht mehr gibt, verliert sie jeden Wert und jede Bedeutung. (Zustimmung),[...] Solange es noch einen grünen Flecken gibt, sind sie nicht fortzubringen. Der Heuschreck läßt das Land, das er überfallen hat, nicht eher los, als bis er es kahl gefressen hat.

Das sieht unser Volk- das empfindet unser Volk. Solange die Juden Anspruch darauf hatten. von uns Gastrecht zu verlangen. weil sie vertriebene. landflüchtige Leute waren, so lange haben die arischen Völker und hat das arische Wien über dieses Gastrecht hinaus vergessen auf die Gefahren und Beschwernisse. die die Anwesenheit der Ostjuden für ihr eigenes Leben bedeutet. Es bestehen jetzt alle Gründe zu verlangen. daß die Ostjuden endlich einmal entfernt werden (Sehr richtig!).

Und was gibt es nun für Mittel. um dagegen einzuschreiten? Das Staatsamt des Inneren soll die Ostjuden. die freiwillig nicht gehen wollen ausweisen. Nun weist das Staatsamt des Inneren darauf hin, daß es ja von seiner Seite geschieht, daß aber so unendlich große Schwierigkeiten zu bewältigen sind. Sie liegen in unserem Verhältnis gegenüber Polen, mit dem wir doch in ein halbwegs freundschaftliches Verhältnis gelangen wollen. und die Polen haben keine Sehnsucht, ihre Landsleute wieder zurückzubekommen. (Heiterkeit) [...]

Nehmen wir an, daß diese Schwierigkeiten wirklich bestehen, dann gibt es noch ein anderes Mittel. das auch schon erprobt worden ist [...]. Die alte Monarchie hat für Flüchtlinge zweierlei Methoden gehabt: Die eine Methode bestand in der Errichtung von Konzentrationslagern die zweite Methode in der Zuweisung und in der Zubilligung voller Bewegungsfreiheit an bestimmten Orten. Die erstere Methode wurde gegen alle arischen Flüchtlinge der alten Monarchie angewendet. Wo immer Flüchtlinge arischer Abkunft hingekommen sind ob sie nun Bauern oder Arbeiter oder Bürger waren. man hat sie unbarmherzig in die Konzentrationslager gesteckt und hat sie dort wie eine Herde Vieh behandelt, gewartet und gefüttert. [...] Wir könnten die Juden, vor die Wahl stellen, entweder freiwillig auszuwandern oder aber in die Konzentrationslager gesteckt zu werden dagegen ist gar nichts einzuwenden, von keinem Gesichtspunkt aus, und wir fordern daher, daß, wenn die Juden, soweit sie nicht ausgewiesen werden können und soweit sie nicht freiwillig gehen, unverzüglich in solchen Konzentrationslagern interniert werden sollen.

Weite Verbreitung des Antisemitismus in der Ersten Republik
Die Beispiele sollen deutlich machen, daß der Antisemitismus in der 1. Republik weit verbreitet war. Politisch spielte er seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine große Rolle, vor allem in der Christlichsozialen Partei unter Karl Lueger. Er benutzte vorhandene Vorurteile zur Gewinnung vieler Wähler, indem er den wirtschaftlichen Ängsten mittelständischer und kleinbürgerlicher Schichten das Feindbild des "kapitalistischen Juden" präsentierte. Der Antisemitismus ging dann auch auf Organisationen wie Turn- oder Bergsteigervereine über die mit sog. "Arierparagraphen" Juden die Mitgliedschaft verwehrten. Auch die Kirche bekämpfte das Judentum; sie führte dafür religiöse, wirtschaftliche und moralische Argumente ins Treffen. Bei manchen Politikern und Priestern verschwammen die Grenzen zum "rassischen Antisemitismus" (siehe später), wie ihn vor allem deutschnationale Kreise vertraten, ausgehend von radikalen Studenten in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts.


Vorwürfe gegen die Juden
Man warf den Juden vor, sie wären Parasiten, die das Heimatland ausbeuten, verantwortlich für Kapitalismus und Kommunismus, arbeitsscheu, lasterhaft, unstet, betrügerisch und Devisenschmuggler, strebten nach Weltherrschaft, würden auf Kosten anderer im Luxus leben und über die Presse die Volksmeinung manipulieren.

Warum waren so viele Juden im Handel und in freien Berufen tätig?
Die Statistik scheint manchen Vorwürfen gegen "die" Juden rechtzugeben: Warum waren sie in manchen Berufszweigen wie überproportional vertreten, warum gab es so wenig Bauern und Handwerker unter ihnen?

Semitische Nomadenstämme, die sich im zweiten Jahrtausend v.Chr. in Palästina angesiedelt hatten, betrieben schon früh Handel und ließen sich dadurch in fremden Städten nieder. Die "Diaspora" (Zerstreuung in alle Welt) erfolgte aber erst durch ihre Vertreibung aus Palästina - die Römer zerstörten Jerusalem 135 n.Chr. und verboten den Bewohnern, in ihr Land zurückzukehren.

So waren die Juden im Frühmittelalter praktisch die einzigen Fernhändler; damit verband sich das Zinsgeschäft, das die Christen zunächst nicht ausüben durften. Die Juden wurden dadurch leicht zu "Wucherern" abgestempelt, zumal es ihnen verboten war, ein Handwerk zu lernen oder Grund zu erwerben. Als Schutzherren der Juden präsentierten sich oft die Herrscher, die auf die internationalen Verbindungen der Juden, ihr Geld und ihre Kenntnisse als Geldfachleute angewiesen waren. Im Zeitalter des Absolutismus gelangten manche als "Hoffaktoren" an den Fürstenhöfen Mitteleuropas zu großem Reichtum. Später entstand aus der Rolle der Juden als Geldgeber das Feindbild des "ausbeutenden Kapitalisten".

Als der Liberalismus an die Macht kam, fielen die meisten Beschränkungen für Juden weg (1867), und sie wurden bald sehr bedeutend in den aufblühenden Zweigen von Wirtschaft und Kultur, denn ihre bisherige Außenseiterstellung gereichte ihnen nun zum Vorteil. Sie waren ja bereits Jahrhunderte an eine städtische Kultur und Geldwirtschaft gewöhnt. Auch ihre religiöse Praxis wirkte sich wohl positiv aus, weil sie immer schon eine hohe Schriftkultur und damit eine schulische Ausbildung der Jugend erforderte. So konnten die Juden seit ihrer Gleichstellung ihr bislang oft ungenütztes intellektuelles Potential neben dem Handel (oft als Angestellte) nun auch in den "freien Berufen" (Rechtsanwalt, Mediziner, Journalist ... ) verwerten, während ihnen im Staatsdienst nur wenig Möglichkeiten offenstanden. Die bürgerlich-liberale Wiener Kultur der Jahrhundertwende und der Ersten Republik ist ganz wesentlich von Juden mitgeprägt: Von Dichtern wie Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Karl Kraus, Peter Altenberg, Joseph Roth und Hermann Broch, von Musikern wie Gustav Mahler und Arnold Schönberg, von Wissenschaftlern wie Sigmund Freud, Alfred Adler und Hans Kelsen. Wohl mehr als die Hälfte aller Journalisten waren Juden.

Warum wurden gerade Juden immer wieder Opfer von Verfolgungen?
Das Judentum war im Mittelalter die einzige fremde Religion, die von den christlichen Ländern geduldet wurde. Als Urbild des anderen, des Fremden, spielten sie die Rolle von Sündenböcken in Krisenzeiten (In Deutschland zum Beispiel wurden zur Zeit der Pest 1348/49 350 jüdische Gemeinden vernichtet, nachdem man sie der Brunnenvergiftung beschuldigt hatte). Antisemitismus kann hier einfach nur die Funktion haben, Sinnlosem einen Sinn zu geben. In Wien mußten sie 1421 für die Niederlage der Habsburger gegen die böhmischen Hussiten büßen: In Erdberg verbrannte man 200 Juden und konfiszierte das Vermögen der Wiener jüdischen Gemeinde. So verbanden sich mit derartigen Pogromen fast immer wirtschaftliche Vorteile, und sei es nur die Möglichkeit, seine Schulden loszuwerden.

Die Rechtfertigung für Übergriffe lieferten zumeist theologische Argumente-. Die Juden wären Christusmörder und würden den Tod Jesu wiederholen, indem sie Christenknaben um die Passahzeit umbrächten oder geweihte Hostien zerstückeln bzw. durchbohren. Zahlreiche Seligsprechungen (von der offiziellen Kirche allerdings nicht anerkannt bzw. rückgängig gemacht) sollten die Erinnerung daran wachhalten. Bekanntestes Beispiel in Österreich ist der "Anderl von Rinn".

Er fiel nach einer Legende aus dem 17. Jhdt. als Dreijähriger einem Ritualmord zum Opfer. Die Kirche in Rinn (bei Hall in Tirol), wo das angebliche Opfer beigesetzt wurde, entwickelte sich zu einem beliebten Wallfahrtsziel. Bischof Stecher verbot 1985 den Anderlkult und ließ die Gebeine vom Hochaltar entfernen. 1989 mußte das Deckenfresko der Kirche, das den "Mord" darstellte, übermalt werden, jede öffentliche Verehrung wurde untersagt. Dennoch feiern heute noch einige hundert Anhänger Messen für "ihren" Anderl.

Warum paßten sich die Juden nicht der Mehrheitsbevölkerung an?
Bis ins 19. Jahrhundert bildeten die Juden im Großteil Europas kleine, abgeschlossene Bevölkerungsgruppen. Sie mußten seit dem 13. Jahrhundert spezielle Kennzeichen tragen; weit verbreitet war der spitze "Judenhut" und der an der Brust befestigte gelbe "Judenfleck". Die Behörden wiesen ihnen abgeschlossenen Ghettos zu- in Wien bis 1421 einen Teil des 1. Bezirks (Wipplingerstraße), ab 1625 die Leopoldstadt.

Mit der Aufhebung der Wohn- und Ansiedlungsbeschränkungen für Juden 1848 wanderten viele aus Böhmen, Mähren, Galizien und Ungarn nach Wien. Während 1848 nicht mehr als 4000 Juden hier ansässig waren, zählte man 1869 bereits 40.000 und 1890 100.000. Die eingewanderten Juden waren im allgemeinen bestrebt, sich die deutsch-österreichische Kultur anzueignen. In den Gymnasien erhielten ihre Kinder dieselbe humanistische Ausbildung wie die Kinder der alteingesessenen Österreicher. In manchen Fällen führte dies zu einer Aufgabe der jüdischen Religion, vor allem, um in der gehobenen Bürokratie, in Armee oder Diplomatie Karriere zu machen, meistens aber zu einer österreichisch-jüdischen Identität. Eine zweite Welle von Einwanderern kam auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten um die Jahrhundertwende aus Galizien nach Wien. Diese "Ostjuden" waren oft sehr arm, weniger an das Stadtleben gewöhnt und viel orthodoxer in ihren Anschauungen. Mit ihrer traditionellen Kleidung (Kaftan, Ohrlocke, Bart) und ihrer jiddischen Sprache galten sie den Antisemiten als "Beweis" für mangelnde Anpassungsfähigkeit. Allerdings bemühten sich die alteingesessenen Wiener Juden sofort und auch erfolgreich um eine Akkulturation der Neuankömmlinge.

Der Erste Weltkrieg brachte eine weitere Flüchtlingswelle aus dem Osten (ca. 125.000, wovon etwa 35.000 blieben). 1923 waren fast 11% aller Wiener Juden.

Zunehmender Antisemitismus machte es den Wiener Juden schwer, sich ganz ihrer Heimat zugehörig zu fühlen. So griff nach 1900 vor allem unter Jugendlichen die Idee, sich der ständigen Diskriminierung zu entziehen und im Land Israel einen eigenen jüdischen Staat zu gründen ("Zionismus"); eine andere Gruppe forderte die Anerkennung einer jüdischen Nation innerhalb eines national-föderalistischen Österreich.


Die Judenverfolgung im Dritten Reich
Voraussetzung für den Holocaust ist die Rassenideologie, wie sie im 19. Jahrhundert entstand. Während man im Mittelalter noch durch Zwangspredigten Juden zu bekehren versuchte, meinten die Rassisten, daß die "Rasse" die Eigenart eines Menschen vollständig festlege. Die "Sozialdarwinisten" (Darwin: Lehre von der natürlichen Auslese und Verbesserung der Arten) erklärten das Ausleseprinzip als entscheidend für die menschliche Entwicklung und sahen bestimmte Rassen als höherwertig gegenüber anderen an. Die Juden wurden als "Schädlinge" bezeichnet, die man "ausmerzen" müsse, als "Parasiten" und "Schmarotzer", als "Krebsgeschwür der Gesellschaft" und "Bazillus". Man stellte ihnen die rassische Überlegenheit des "Ariers" gegenüber; dieser Begriff stammt eigentlich aus der Sprachwissenschaft und bezeichnet die Verwandtschaft gewisser Sprachen untereinander - die Rassisten glaubten daraus aus eine indogermanische Urbevölkerung Europas schließen zu können.

Der Deutschnationale Georg Ritter von Schönerer (1842-1921) rückte als einer der ersten österreichischen Politiker den Rassenantisemitismus ins Zentrum seiner Politik. Er fand zwar in der Bevölkerung damit wenig Anklang, legte aber den Grundstein für spätere, erfolgreichere Versuche, Juden zu Menschen zweiter Klasse zu machen.

Rechtliche, wirtschaftliche und soziale Diskriminierung
Auf "wilde" Aktionen nach der Machtübernahme Hitlers folgte noch 1933 ein "Boykott-Tag", der sich gegen jüdische Geschäftsinhaber und freiberuflich Tätige richtete.

Die "Nürnberger Gesetze" 1935 schufen die Grundlage für die späteren ca. 2000 Maßnahmen gegen Juden - dazu zählten jeder, der von mindestens drei jüdischen Großeltern abstammte, unabhängig davon, welcher Religion er angehörte. Mit dem "Reichsbürgergesetz" verloren sie die bürgerliche Gleichberechtigung, das "Gesetz zum Schutz des deutschen Volkes und der deutschen Ehre" verbot "rassische Mischehen" und den "außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes."

Es kam zu Berufsverboten für jüdische Beamte, Ärzte, Rechtsanwälte, zum Ausschluß aus Schulen und Universitäten. Mittels zahlreicher Gesetze wurden Juden sozial diskriminiert, z.B. durch Beschränkung des Aufenthalts in Parkanlagen, Verbot der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel; die Änderung der Familien- und Vornamen, die Eintragung eines "J" in Reisepässen, die befohlene Anheftung eines Judensterns (1941) bereiteten die "Endlösung" organisatorisch vor

Noch 1938 wurden die meisten Maßnahmen der Deutschen auch in Österreich umgesetzt. Schon bald nach dem Anschluß verkündete Hermann Göring, in vier Jahren müsse Wien "judenrein" sein. Es begannen - oft unorganisiert - Aktionen gegen jüdische Mitbürger (siehe den Bericht des englischen Diplomaten Gedye).

Parallel dazu kam es zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben: 1938 mußten Vermögen über 5000 RM angemeldet werden, das betraf in Österreich über ein Viertel der Juden. Man zwang sie dann, ihre eigenen Betriebe zu verkaufen, wenn diese nicht liquidiert oder enteignet wurden. Solche "Arisierungen" gingen folgendermaßen vor sich: Der "Ariseur" kaufte um den Ertragswert ein Geschäft, der Jude bekam dafür einen geringen "Sachwert" (der im wesentlichen dem Reich verfiel). Die Differenz kassierte der Staat. In Wien ging die Beraubung von Juden gründlicher und schneller als in anderen Städten des Deutschen Reiches vor sich. Im Mai 1939 waren in Berlin noch über 30% der Juden erwerbstätig, in Wien nur mehr 6%.

Das Attentat eines Juden auf einen deutschen Gesandtschaftsrat in Paris bot Anlaß zu organisierten Pogromen im ganzen Deutschen Reich (November 1938 - "Reichskristallnacht"). Die Bilanz in Wien: 27 Tote, 88 Schwerverletzte.

Viele Juden reagierten auf die Verschärfung der Lage vor allem ab 1939 mit einer Auswanderung (sie mußten 25% ihres Vermögens als "Reichsfluchtsteuer" zurücklassen), viele scheiterten aber an mangelnder Hilfsbereitschaft der Aufnahmeländer, Vermögensbeschlagnahmungen oder der Unmöglichkeit des Devisentransfers. Fast die Hälfte der halben Million Juden emigrierte oder floh, darunter mehr als 85.000 Österreicher. 102.000 gelangten in die USA, 63.000 nach Argentinien, 52.000 nach Großbritannien, 33.000 nach Palästina.

1941 änderte sich die Zielsetzung der Maßnahmen: Die Entfernung der Juden aus dem Deutschen Reich stieß mit Fortdauer des Krieges auf zunehmende Schwierigkeiten; viele Einwanderungsländer fielen weg, immer mehr Juden kamen in den deutschen Einflußbereich. "Territoriale Lösungen", zum Beispiel Evakuierung nach Madagaskar oder Sibirien, erwiesen sich als undurchführbar. Eine Zwischenlösung war die Ghettoisierung: Ab dem Herbst 1939 fanden Massendeportationen vor allem in polnische Ghettos statt. Für die österreichischen Juden über 65 Jahren war Theresienstadt vorgesehen.

Noch 1941 begann die "Endlösung der Judenfrage". In der Forschung ist umstritten, ob die physische Vernichtung schon früh geplant wurde oder sich aus Einzelaktionen entwickelte, die zur mangelnden Deportationsmöglichkeit "einen Ausweg" bieten sollten. Ab nun durften Juden nicht mehr emigrieren. In stationären Gaskammern wurden sie mit Gas getötet, aufbauend auf den Erfahrungen, die man bei der Euthanasie-Aktion "T4" gemacht hatte. Zu diesem Zweck wurden in Polen eigene Vernichtungslager gebaut: Chelmno, Beizec, Sobibor, Treblinka, Auschwitz. Teilweise wurde Zyklon B eingesetzt, das zuvor zur Ungeziefervertilgung in den KZ verwendet worden war.

Auf der "Wannsee-Konferenz" im Jänner 1942 wurden die schon stattfindenden Tötungsmaßnahmen koordiniert. In Wien führte die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" (Leiter Adolf Eichmann) die Deportationen durch.

In Polen und Rußland wurden Juden oft gleich an Ort und Stelle erschossen. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion im Juni 1941 übernahmen "Einsatzgruppen" diese Aufgabe, spezielle mobile Mordkommandos der SS, die hinter der Front agierten. Ortsansässige Antisemiten halfen ihnen, auch die kleinste jüdische Gemeinde aufzuspüren und mittels Massenexekutionen zu vernichten.

Der Holocaust kostete 5,3 bis 6 Mio. jüdischen Menschen das Leben, davon 65.000 Österreichern - die letzten neun wurden am Tag, bevor die Rote Armee Wien besetzte, von einem SS-Kommando erschossen.

Ungefähr 1,8 Millionen europäischer Juden überlebten die Herrschaft des Nationalsozialismus, darunter 300.000, die bei Kriegsende aus den KZ befreit wurden.


Massenerschießungen in Rußland
In einer Fallstudie über das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 schreibt der amerikanische Holocaust-Forscher C.R. Browning, wie aus ganz normalen deutschen Männern Massenmörder wurden. Mit "Befreiungsaktionen" im besetzten Polen beauftragt, erschossen sie vom Juli 1942 bis November 1943 mehr als 38.000 Juden und verluden 45.000 weitere Juden, die in das Vernichtungslager Treblinka deportiert wurden.

Die Täter
Fast 500 Männer mit einem Durchschnittsalter von 39 Jahren. Die Führer waren Berufspolizisten, die anderen landeten hier, weil sie aus Altersgründen nicht zur Wehrmacht eingezogen worden waren; sie arbeiteten im Zivilberuf als Lkw-Fahrer, Hafenarbeiter, Kran- und Baggerführer, Kellner Ungefähr ein Viertel gehörte der NSDAP an.


Die Verweigerer
Leute, von denen bekannt war, daß sie bei Erschießungen nicht mitmachen wollten, wurden im allgemeinen nicht dazu herangezogen. In Jozefow nahm ein knappes Dutzend das Angebot Kommandeur Trapps an, vom Auftrag zurückzugehen. Sie hatten KEINE schwerwiegenden Folgen zu befürchten. 10 bis 20% baten nach kurzer Zeit um Ablöse.

Die Strafen
Kommandeur Wilhelm Trapp 1948 hingerichtet (wegen Erschießung von 87 Polen im Zuge einer Vergeltungsaktion), 3 erhielten mehrjährige Gefängnisstrafen, der Rest blieb straffrei.

 
 

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