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philosophie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Ausblick: noch ein forschungsprogramm? - das paradigma der überindividuellen verhaltensregelung und verhältnisbestimmung und die soziologie der sachen





LINDE rückt die sozialen Verhältnisse in den Mittelpunkt seines Erkenntnisinteresses und sieht unter diesem Blickwinkel einmal die verhaltensregelnde und zum anderen die verhältnisbegründende Qualität der sachhaften Verhältnisse. Für die Begründung der Verhaltensregelungs¬qualität reicht ihm schon die Bezugnahme auf FREYERs Definition des "Geräts" als ein auf profane Verwendung hin angelegtes Artefakt, welches zweckgerichtete Handlungsabläufe vergegenständlicht. Die verhältnisbegründende Qualität sei ebenfalls unstrittig, wenn man auf die Fülle sozialer Verhältnisse blicke, die uns umgeben oder in denen wir selbst stehen und die "ohne die sie vermittelnden Sachen schlechthin inexistent wären: [etwa -Anm.d.Verf.] das soziale Verhältnis des Industriearbeiters zum Arbeitgeber oder zu den Arbeitskollegen ohne das technische Aggregat seines Arbeitsplatzes..." (S.59).

"Als soziale Sachverhältnisse i.e.S. seien daher alle diejenigen gesellschaftlichen Verhältnisse bezeichnet, die so durch Sachen vermittelt und in Sachen begründet sind, dass sie ohne diesen Sachbezug inexistent wären, als Sachverhältnisse i.w.S. auch solche, in die Sachen in anderer Weise mit ihren verhaltensregelnden Momenten und/oder Zwängen direkt einbezogen sind oder auf diese direkt einwirken" (S.59 ff.). Die Frage, was denn nun Sachen in Sozialverhältnissen determinieren, beantwortet LINDE am oben erwähnten Beispiel der Gemeindesoziologie (sachhafte Ausstattung eines Areals) wie folgt: (a) soziale Positionen einschliesslich ihrer Verhaltens- und Rangaspekte, (b) positionsneutrale oder -diffuse Verhaltensmuster und (c) Vorstellungen und Erwartungen in der ego-alter-res Triade. Die Frage, wie sich der determinierende Einfluss der Sachen in Sozialstrukturen bemerkbar macht, beantwortet LINDE zum einen mit dem Hinweis auf die Extremlage der Sachzwangproblematik (Übermacht der Sachen über die Gesellschaft, S.63 ff.) und zum anderen mit dem Hinweis auf die -zumindest analytisch differenzierbaren- zeitlichen Phasen der sachhaften Verhältnisse: Sachappropriation (Aneignung, Inbesitznahme, S.66 ff.) und Sachgebrauch (bzw. Sachverwendung, S.70 ff.). Die heute sicherlich virulente Frage der Entsorgung oder Vernichtung von Sachen, insbesondere unter Umweltschutzaspekten, fehlt im LINDEschen Themenkanon.

Die -nach LINDE- mehr technikphilosophisch motivierte Diskussion der Sachzwänge soll hier aus Platzgründen übergangen werden.

Sachen stehen im Eigentums- und Besitzverhältnis zu natürlichen oder juristischen Personen. WEBER hat das Appropriationsverhältnis als "monopolisierte Chance des Rechtsgenossen" beschrieben, die Verwendung einer Sache durch andere (a) auszuschliessen, (b) zu beschränken oder (c) an Bedingungen zu knüpfen. Die sozialen Verhältnisse werden dabei wie folgt im einzelnen determiniert: (1) die hier interessierenden Sachen (oder Artefakte vom Typ Gerät) sind in mehr oder weniger komplexen Produktionsprozessen hergestellte Dinge, haben Warencharakter und werden somit durch Kauf erworben. (2) Dieser Kauf ist ein Wahlakt, der sich auf der Anbieterseite auf Dinge bezieht, die mit begrenzten Ressourcen hergestellt oder gehandelt wurden und die dann auf der Abnehmerseite -ebenso mit Nutzenkalkülen hinterlegt- erworben wurden. (3) Im einfachsten Fall ist der Nutzen der Akte der Verwendung dieser Sachen auf der Käuferseite eindimensional; oft ist er jedoch mehrdimensional in dem Sinne, dass mit dieser erworbenen Sache für den Erwerber neue Ziele erreicht oder Zwecke verfolgt werden können. Der Erwerber, d.h. der neue Eigentümer der Sache, hat sich also aufgrund dieses Kaufwahlaktes festgelegt auf eine zeitlich fixierte Zweck/Mittel-Kombination. Die Fixierungsdauer ist sicherlich mitbestimmt von der technisch bedingten Lebensdauer der Sache (aber daneben auch von ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer, in jedem Falle aber durch in der Sache selbst angelete Umstände). "Diese Festlegung ist insofern...die erste Grundkategorie einer Soziologie der Sachverhältnisse, als wir ihr hypothetisch eine Gültigkeit zuschreiben, die sich sowohl (a) prinzipiell auf alle Sachkategorien der Klasse Gerät (nach ihren Funktionen: Gebrauchsgerät, Erwerbsgerät; nach ihrer technischen Struktur: Werkzeug, Apparat, Maschine, Automat u.a.) erstreckt, als auch (b) unabhängig von den institutionellen Varianten der Eigentumsordnung ist" (S.68). Zwar sind die Akte der Verwendung einer Sache zum erheblichen Teil in der Sache selbst angelegt, aber bei regelwidriger Verwendung werden Sanktionen sozusagen mechanisch ausgelöst: Beschädigung der im Eigentum eines anderen befindlichen Sache, Gefährdung des Bedieners, Gefährdung der Umgebung, Haftungsfragen bis hin zur juristischen Sanktion etc. Sachen sind in diesem Sinne nicht reinen Zweck/Mittel-Kombinationen unterworfen, sondern mindestens Zweck/Mittel/Sanktions-Kombinationen. "In dieser Definition begreifen wir die Sache ,Gerät' als die total vergegenständlichte instrumentelle Institution, als den Typ des perfekt institutionalisierten sozialen Handlungsmusters" (S.70).

Im Zusammenhang des Sachgebrauchs entwickelt LINDE die zweite Grundkategorie einer Soziologie der Sachverhältnisse: es ist dies die Kategorie der Fähigkeiten/Fertigkeiten, die ein Sachverwender bieten muss, damit die in der Sache programmierten Verwendungsakte oder "Vollzüge ihrer Handhabung" (S.70) (technisch betrachtet: aufgrund der konstruktiv fixierten Merkmale) effektiv zur Entfaltung kommen können. "Damit erscheint die technologische Struktur der Sache als die regierende Instanz auch dieser Klasse von Sachverhältnissen" (S.74). Diese Regulierung geht mitunter so weit, dass selbst der "berufsbildend motivierte Lernprozess" (S.75), d.h. Bildung und Ausbildung, sich an den Anforderungen der technologischen Struktur des etablierten Sachaggregates ausrichtet. LINDE differenziert dieses Phänomen sowohl an -durch Privatkonsumenten verwendeten- persönlichen Gebrauchsgerätschaften als auch an institutionell verwendeten Erwerbsgeräten. Während im Bereich des privaten Konsums die Einfachheit der Gerätebedienung kultiviert wird (LINDE spricht von der "Minimierung des zur Verwendung des Gerätes erforderlichen Sachverstandes", S.71), haben wir im Bereich der Produktionsmittel sowohl die analoge Tendenz zur Spezialisierung (z.B. Montage eines und nur eines bestimmten Bauteils am Fliessband) als auch die gegenläufige Tendenz zur Universalität (z.B. numerisch gesteuerte Universalautomaten mit der erforderlichen Fähigkeit zur Programmierung). Es sind dies die bestimmenden Parameter für die Versorgungs- und Erwerbschancen der durch Verträge geregelten Arbeitsbedingungen des Bedienungspersonals von Sachaggregaten, also von Personenkreisen, die "ihre Existenz nicht auf eigenes Geld- oder Sachvermögen stellen können" (S.75).

Zusammenfassend und die Verbindung zum DURKHEIMschen Begriff des Zwanges noch einmal pointierend, hat man -gem. LINDE- folgende soziale Phänomene in einer Soziologie der Sachen zu thematisieren: "(a) den manifesten sozialen Zwang zur Ausbildung kohärenter Sachsysteme, (b) den manifesten sozialen Zwang zur progressiven Dynamisierung dieser Systeme und (c) zur sozialen Hierarchisierung und Privilegierung des Sachverstandes und schliesslich (d) den permanenten Reaktionszwang auf latente Effekte der Sachverwen¬dung" (S.76).

 
 



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