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philosophie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Aristoteles

Der abriß einer aristotelischen handlungsphilosophie



Äußerer / innerer Aspekt. Veränderungen. Umstände und Zielsetzungen. Entscheiden und Ursache. Körper. Freiwilligkeit / Unfreiwilligkeit des Handelns. Ansichten (Wissen). Planen. Absichten. Willen. Handlungsfreiheit / Willensfreiheit.


Welche Art von Entität ist menschliches Handeln im aristotelischen Ansatz? In meiner Rekonstruktion gehe ich von der Hypothese aus, daß es zunächst einen inneren und äußeren Aspekt des Handelns gibt. Der äußere Aspekt mag dabei zunächst einmal direkt (d.h. mit \"unbewaffneten\" Sinnesorganen) Beobachtbares am Leib des Handelnden umfassen, also etwa Körperbewegungen, der innere Aspekt hingegen Zustände oder Vorgänge der Seele, also zunächst einmal direkt nicht Beobachtbares (Unbeobachtbares). Man kann hierzu das aristotelische Beispiel des Erlebnisses von Lust bzw. Unlust anführen, die jeder Tat folgt (II,2,S.38). Zum äußeren Aspekt von Handlungen gehören aber auch die in Kap.I erwähnten Veränderungen in der Welt, speziell in dem Weltausschnitt, der durch Einzelfälle charakterisiert ist und das letztlich Gegebene umfasst (vgl. VI,12,S.170). In diesem Bereich des Konkret-Einzelnen werden die wesentlichen Faktoren des Handelns verortet: die Umstände und Zielsetzungen (III,2,S.58). Diese gilt es denn auch in einer Handlungsanalyse offenzulegen (z.B. über einen Syllogismus, angedeutet in VI,13,S.173, aber auch im Rahmen einer Heuristik der sechs \"W-Fragen\" wie sie in III,2,S.57 vorgestellt wird).

Wir hatten darüberhinaus in Kap.I auch festgehalten, daß Verändern eine Form der Bewegung ist und diese auf ein bewegendes Prinzip, eine Ursache, hin erfolgt. Als solche (als bewegende Ursache, nicht als Zweckursache, vgl. VI,2,S.155) war die Entscheidung identifiziert worden. Die Entscheidung wiederum wird kausal hervorgerufen durch seelische Phänomene (durch ein von Überlegen gesteuertes Streben und eine abwägende Reflexion über die Ziele der betreffenden Handlung, siehe Kap.I). Bei Aristoteles ist Handeln also ein verursachtes Geschehen und der Mensch selbst ist der Erzeuger dieser Handlungen (III,7,S.67). Da Handlungen - unter dem äußeren Aspekt zumindest - Körperbewegungen sind, ist nach der Spezifizierung dieser \"Erzeugung\" zu fragen. An anderer Stelle (Kap.II) wurde ja schon darauf hingewiesen, daß die Rolle des Körpers bei Aristoteles (zumindest in seinen expliziten Beispielen für Handlungen) im Hintergrund verbleibt. So spricht er etwa vom \"...[bewegenden, Anm.d.Verf.] Prinzip, das die dienenden Glieder des Leibes bei solchem Handeln bewegt...\" (III,1,S.55). Auf eine noch ungeklärte Weise verursacht also Inneres (Vermögen der Seele) Äußeres (Körperbewegungen). Ein in unserer Definition als \"äußerer Aspekt\" charakterisiertes Tun beschreibt er etwa wie folgt: \"Beispiel: jemand packt die Hand eines zweiten und schlägt damit einen dritten, so hat der zweite nicht freiwillig gehandelt, denn der Schlag ist nicht in seiner Macht gewesen. Der Geschlagene kann der eigene Vater sein, der Täter aber kann wohl merken, daß es ein Mensch oder jemand in seiner Nähe war, dagegen kein Wissen davon haben, daß es sein Vater gewesen ist.\" (V,10,S.141, Hervorhebung v.Verf.). Zwei wichtige Phänomene werden als interne Aspekte einer Handlung angesprochen: Freiwilligkeit und Wissen.

Befassen wir uns zunächst mit der Freiwilligkeit: \"Der Mensch handelt aber freiwillig. Denn das Prinzip, das die dienenden Glieder des Leibes bei solchem Handeln bewegt, ist im Menschen, und immer da, wo das bewegende Prinzip im Menschen liegt, steht es auch in der Macht des Menschen zu handeln oder nicht zu handeln. So ist denn dieses Handeln freiwillig.\" (III,1,S.55). Das Wort \"freiwillig\" (insofern von \"Willen\" herrührend) ist in diesem Zusammenhang irreführend: es ist nicht die Freiheit des Willens (vgl. auch die Anm. III,1,S.314 von E.A.Schmidt), um die es Aristoteles geht, sondern die Freiheit der Handlung: sie zu tun oder sie zu unterlassen wie es in der Macht (vgl. Kap.X) des Handelnden steht und dies wiederum abhängig von seiner Entscheidung. Diese Entscheidung verlangt nun aber zutreffende Ansichten über bzw. ein Wissen (und dies ist der zweite o.a. Punkt nach der Freiwilligkeit) von den Einzelumständen (vgl. III,2,S.58). Dieses Wissen erlangt der Handelnde durch Überlegung (im Sinne einer \"Kalkulation\", eines Abwägens von Einsatz und Gewinn, vgl. VI,1,S.55, bzw. durch Hin- und Herüberlegen bezüglich der Mittel, die zum Ziel führen oder den Zweck erfüllen, vgl. III,5,S.62 ff.). Andernfalls, d.h. ohne eine solche Überlegung, läge ein irrtümliches Handeln vor, also ein solches, welches der Aktor nicht im Sinn gehabt hatte (vgl. V,11,S.141).

Zum \"Vollbegriff\" der aristotelischen Handlung (als einer freiwilligen und wissentlichen Handlung) gehört ferner, daß es nicht unter Zwang (äußerer Aspekt einer Handlung) stattfinden darf und auch nicht den Zug des Zufälligen tragen darf (vgl. auch sein Beispiel in V,11,S.141): \"Unter freiwillig aber verstehe ich...jede Tat, die (a) in unserer Macht steht und die wir (b) mit vollem Wissen vollbringen...Und dabei darf (c) weder das Moment des Akzidentellen noch auch Zwang eine Rolle spielen.\" (V,11,S.140). Während das fehlende Freiwilligkeitsmoment im Zusammenhang mit sittlichen Handlungen zu \"unbeabsichtigten\" und fremdbestimmten (bei Aristoteles: nicht in der eigenen Macht stehenden) Handlungen führen kann (vgl. die Beispiele in III,1,S.54: \"Nötigung\" beim Tyrannenbefehl bzw. \"Notstand\" beim Ladung über Bord werfen), führt Nichtwissen und Unwissenheit bezüglich der Handlungsumstände zu \"versehentlichen\" Aktionen oder Irrtümern (vgl. die Beispiele in III,2,S.58). In meinem Interpretationsansatz geht es Aristoteles hier also um das Phänomen, das wir \"Absicht\" nennen würden. Der unglückliche Zufall und das irrtümliche Handeln wird eben nur mittels dieses Absichtsbegriffs ausgegrenzt (vgl. V,11,S.142). Das von Aristoteles an anderen Stellen hervorgehobene In-Bewegung-setzende-Denken (vgl. VI,2,S.155) führt schließlich zum vollumfänglichen Handlungsbegriff, indem einerseits der \"beabsichtigte Endzweck\" zum Grundprinzip erhoben wird (VII,9,S.198) und andererseits im Bereich des Sittlichen explizit von wissentlichem und willentlichem Ausgangspunkt des Handelns die Rede ist (II,3,S.40), welches dann auch mit unerschütterlicher Sicherheit ausgeführt wird (ebd., vgl. auch Kap.VI).

Man kann den aristotelischen Handlungsbegriff wie folgt zusammenfassen: Handlungen als Aufgabe und Leistung des Menschen vollziehen sich im Bereich des letztlich Gegebenen, d.h. der veränderbaren Einzelfälle. Auf dieser Grundgesamtheit als Gegenstand des dem Handeln vorgelagerten Überlegens findet die intellektuelle Gewandtheit (eine Fähigkeit des rationalen Seelenteils) das auf einen beabsichtigten Endzweck (Ziel) Hintendierende (VI,13,S.173): es sind dies die Mittel und Wege zum Ziel. Das Vermögen der Seele (a) Güter anzustreben und (b) mittels der Reflexion Zwecke aufzuzeigen, drängt auf eine Entscheidung. Die Entscheidung schließlich als bewegende Ursache im Menschen setzt die Handlung in Gang. Da der Mensch aber freiwillig handelt und jederzeit über ein Wissen über die Einzelhandlungen verfügt, kann er in die Handlung \"eingreifen\" (III,8,S.70).

Wenn man diese Überlegungen in einem strukturalistischen Ansatz modelliert, so kann man als Trägermenge das Einzelgegebene bzw. die Einzelfälle ansehen (III,1,S.56), also die Umstände und Gegenstände, d.h. Ziele des Handelns (III,1,S.57) sowie die Handelnden selber. Ausgezeichnete Elemente hierin sind jene Einzelgegebenheiten, die \"in unserer Macht stehen und verwirklicht werden können\" (III,5,S.62), also Elemente aus dem Bereich des Veränderlichen (vgl. Kap.I). Eigenschaften bzw. Relationen auf dieser Trägermenge sind: die Zweck-Mittel-Beziehungen, ferner die Verursachung durch die handelnde Person aufgrund einer Entscheidung, das Zustandekommen der Entscheidung durch Streben und sittliche Einsicht, das Ausgrenzen irrationaler Regungen,...das Überlegen (Planen) der Wege / Mittel zum Ziel etc.

Die Struktur der aristotelischen Handlungsphilosophie sei also folgendes m+6 tupel:


(4) (M, U, Z, m, u, z, R1,...,Rm )

mit: M: Klasse der Menschen als Handelnde, U: Klasse der Umstände im Sinne von Mittel und Wegen, Z: Klasse der Ziele (Zwecke) der Handelnden; ausgezeichnete Elemente sind: m: Menschen, die nicht nur irrationale Regungen an den Tag legen, u: Umstände, deren Handhabung in \"unserer Macht steht\" (aus den Bereichen: Natur, Notwendigkeit und Zufall, Geist, menschliche Wirkenskraft, vgl. III,5,S.62), z: Ziele, deren Erreichung durch Einsicht nahegelegt wird; R1: Zuordnung von Mitteln und Zielen vermöge intellektueller Gewandtheit einerseits und Einsicht andererseits, R2: Freiheit bei der Wahl von Handlungen im Sinne des Tuns oder Unterlassens, etc.

 
 

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