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biologie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die psychosoziale situation





3.1. Entwicklungsverläufe bei Betroffenen

Editha Gombault (1985), eine erfahrene Blindenpädagogin, die über viele Jahre hinweg eine große Zahl von JNCL-kranken Schülern betreut, beschreibt den Verlauf der JNCL in folgenden Phasen:

1. Aufbauphase (0.-8. Lebensjahr)
a) Normale Entwicklung ( - ohne Krankheitssymptome)
b) Krankheitsausbruch zwischen 3.-8. Lebensjahr ( - Sehschädigung; - Verflachung der intellektuellen Entwicklung fällt noch nicht auf)
2. Mittlere Phase (8.-12. Lebensjahr/12.-16. Lebensjahr)
c.) Stagnation ( - allmähliche und punktuelle Abnahme der intellektuellen Fähigkeiten;

- evtl. erste epileptische Anfälle)
d.) Markanter Abbau der geistigen und körperlichen Kräfte.
3. Phase des rapiden Abbaus (Pflegephase)

e.) Zunehmende und schließlich völlige Pflegebedürftigkeit.



JNCL bedeutet für das kranke Kind bzw. den kranken Jugendlichen den Verlust von visuellen, intellektuellen und motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, eine zunehmende, schwere körperliche und geistige Behinderung sowie später eine völlige Pflegeabhängigkeit und ein frühes Sterben.
Das bewußte Erleben der Abnahme und des Verlusts der eigenen körperlichen und geistigen Unversehrtheit fordert vom betroffenen Kind eine starke intrapsychische Auseinandersetzung mit den eigenen Veränderungen. Dabei ist das Kind vor allem auf Hilfe von nahestehenden Menschen (Eltern, Lehrer, u.a.) angewiesen. Seine Auseinandersetzung mit der Erkrankung gleicht einem psychischen Reifungsprozeß, wobei das kindliche Verständnis für Vorgänge rund um seinen Körper mit der kognitiven Entwicklung wächst.
Bereits im Alter von 6 Jahren erlebt das Kind eine ihm unerklärliche Veränderung seiner visuellen Wahrnehmungsfähigkeit. Die Abnahme der Sehkraft führt dabei nicht nur zu dem vom Kind als beängstigend erlebten Verlust der Visualität, sondern sie bedeutet auch, daß es weiterhin von der elterlichen Fürsorge abhängig sein wird, anstatt mehr Selbständigkeit anstreben zu können. Häufig kommt es dabei zu regressiven Tendenzen, d.h. eine Rückkehr zu frühkindlichen Verhaltensweisen (Bettnässen, 'Daumen lutschen', vermehrtes Anlehnungs- und Schutzbedürfnis, Retardierung der Sprache ect.).
Im Alter von sechs Jahren findet sich in der kindlichen Vorstellung noch gelegentlich das Denken, daß eine Krankheit die Strafe für ein Vergehen darstellt. Dadurch erklären sich unter Umständen auftretende Schuldgefühle des Kindes. Nicht selten glauben die Kinder, daß eine Krankheit durch Kontakt mit schädlichen Objekten oder Personen übertragen wird. Dieses diffuse Denken entlastet das Kind zwar von unmittelbarer Schuld, belastet es aber mit dem Glauben, sich nicht ausreichend gegen die Krankheit geschützt zu haben.
Das Kind lernt in der Entwicklungsphase vom 6.-10. Lebensjahr mehr und mehr, daß Krankheiten konkrete Ursachen haben. Es lernt auch zu verstehen, daß manche Krankheiten Folgen haben und zum Beispiel nicht zu heilen sind oder zum Tode führen. Etwa ab dem Alter von zehn Jahren haben Kinder realistische und ausdifferenziert Erklärungsweisen für das Zustandekommen von Krankheiten.
Die kindliche Auseinandersetzung mit der eigenen Erkrankung ist darüber hinaus beeinflußt vom Verlauf und Grad der Erkrankung und von den Erklärungen und dem Verhalten der das Kind umgebenden und betreuenden Personen. Die betroffenen Kinder erleben in allen Lebensbereichen die Auswirkungen ihrer zunehmenden Sehbehinderung. Mißerfolgserlebnisse und der Verlust bereits erworbener Fähigkeiten erschüttern das kindliche Selbstvertrauen. Die Beeinträchtigung der Teilnahme an gemeinsamen Kindergarten-, Schul- oder Freizeitaktivitäten führt zu Frustration, Isolation und verminderter Lebensqualität. Freundschaften sind gestört oder gehen verloren. Es droht dem Kind die Desintegration in seiner sozialen Umwelt. Besonders belastend ist während dieser Zeit der langwierige Diagnoseirrweg, der die Kinder in viel zu viele Kliniken und Arztpraxen führt und sie mit viel zu vielen Untersuchungen belastet.
Verstehen es Eltern und Sonderpädagogen, dem Kind einen Weg zu ebnen, mit der sich ankündigenden Blindheit zu leben, so wird es die innere Verarbeitung und Bewältigung der
neuen Situation einigermaßen erfolgreich vollziehen können.

Die Beschreibung des psychoemotionalen Erlebens der Erblindung steht beispielhaft für eine Reihe von weiteren Abbau- und Verlusterfahrungen, die Kinder bzw. Jugendliche mit JNCL im Verlauf ihrer Erkrankung machen. Die zunehmende Sehverschlechterung ist nur die erste in einem Kontinuum von Verlusten. Es bleiben dem Kind langfristig, weitere frustrierende Erfahrungen der Abnahme von Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht erspart. Neben den bereits beschriebenen Konzentrationsstörungen und psychischen Veränderungen stellt das plötzliche Auftreten epileptischer Anfälle um das 10. Lebensjahr den vorläufig tiefsten Punkt in den kindlichen Abbau- und Veränderungsprozessen dar. In den Stadien des markanten und rapiden Abbaus verwehrt die Erkrankung dem Kind bzw. Jugendlichen immer mehr kognitive und kommunikative Möglichkeiten. Hinzu kommen häufig psychische, z.T. psychotische Störungen (Unruhe, Aggression, Halluzination, Depression).
Der Jugendliche mit JNCL ist sich seines physischen und psychischen Abbaus bewußt und er setzt sich mit der als real angenommenen Vorstellung des eigenen 'Sterben-könnens' auseinander. Ihn in diesen Prozessen zu unterstützen und ihm beizustehen, ist die schwierige und herausragende Herausforderung der Betreuung und Begleitung des Schülers mit JNCL.
Im Endstadium der Erkrankung verfügt der JNCL-kranke Jugendliche nur noch über minimierte kommunikative Fähigkeiten. Er ist vollkommen abhängig von der pflegerischen Betreuung. Die Eltern und betreuenden Personen müssen schon über ein sehr gutes Gespür und eine sehr gute Kenntnis des Sterbenden und seines auf das äußerste reduzierten Ausdrucksvermögens verfügen, um seine Bedürfnisse und emotionalen Regungen zu erkennen. Wenn der Mensch mit JNCL im Sterben liegt, dann können die Erwachsenen nur noch zwei Dinge tun. Sie sollten ihm erlauben, sich gehenzulassen und sich im Kampf mit der Krankheit geschlagen zu geben.



3.2 Die Situation der Eltern

Für die Eltern des Erkrankten hat durch die Diagnose JNCL die lange Zeit des Suchens
und Irrens nach den 'wahren' Ursachen der Veränderung ihres Kindes endlich ein Ende. Gleichzeitig zwingt es sie zur Auseinandersetzung mit der Unabwendbarkeit der Prognose eines frühen Todes, einschließlich der Probleme, die mit der zunehmenden Behinderung und Veränderung des eigenen Kindes verbunden sind, sowie der Trauer um das kranke, behinderte und schließlich sterbende Kind. Es heißt für die Eltern, die seelische Erschütterung und die eigene narzißtische Kränkung, ein behindertes Kind zu haben, zu überwinden und einen Trauerprozeß zu durchleben, an dessen Ende sie vielleicht die veränderten Realitäten annehmen können.

Alle Eltern sehen sich im Verlaufe der Erkrankung ihrer Kinder mit der Frage konfrontiert, ob sie ihr krankes Kind über die Diagnose und den tödlichen Verlauf seiner Erkrankung informieren sollen oder nicht. Die Kinder bzw. die Jugendlichen merken nach der Diagnose (die sie als solche vielleicht gar nicht bewußt wahrnehmen) sehr genau, daß sich ihre Eltern verändert haben und sich ihnen gegenüber anders verhalten als sonst. Blume (1987) führt eine Reihe überzeugender Argumente dafür ins Feld, den Kindern und Jugendlichen die 'Wahrheit' um ihre Erkrankung nicht vorzuenthalten. Der vielfach vorgetragene Einwand, die Kinder und Jugendlichen seien vor den schrecklichen Tatsachen ihrer Erkrankung zu 'schützen', damit sie möglichst lange 'unbefangen' und 'unbelastet' ihren Lebensalltag 'positiv erleben', muß angesichts folgender Beispiele bezüglich einer 'Ver-schonung' des Kindes vor den Tatsachen relativiert werden:

. "daß gerade das ausweichende oder nicht wahrheitsgetreue Antworten beim Kind große Unsicherheit und Angst hervorruft und zu verzerrten, unrealistischen Phantasien führen kann;
. daß eine Krankheit, über die man nicht zu sprechen wagt, viel furchterregender ist als eine, die man ruhig beim Namen nennen und über die man offen sprechen kann;
. daß wichtiger als das Beschützen vor der Wahrheit der sichere Rückhalt in der Familie ist;
. daß tabuisierende Kommunikationsstrukturen innerhalb der Familie die Kinder verstummen lassen. Sie spüren, daß ihre Krankheit ein Un-Thema ist, stellen keine Fragen mehr und äußern sich nicht, wenn sie sich Sorgen machen oder Angst haben. Schließlich weichen sie sogar aus, wenn sie jemand auf die Krankheit anspricht oder ihnen eine wichtige Information geben will;
. daß die betroffenen Kinder spätestens dann ihr Vertrauen in die Eltern (...) verlieren, wenn sie aus anderer Quelle die Wahrheit erfahren;
. daß man Kinder, die ihrem Alter entsprechend informiert sind, besser von der Notwen-
digkeit und der Bedeutung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen überzeugen kann, weil sie sich ernst genommen fühlen;
. daß Kinder auf den Kummer der Eltern, den sie an veränderten Verhaltensweisen oder ganz einfach an den verweinten Augen ablesen können, verwirrt und furchtsam reagieren, wenn sie immer nur hören, alles sei in Ordnung. Denn sie müssen sich mit zwei Informationen herumschlagen, die sie in ihrer Widersprüchlichkeit nicht verarbeiten können" (Blume 1987, 37ff.).

 
 



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