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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die lebensverhältnisse nach der ankunft in wien



Am 13. März 1848 endete die Zeit des Vormärz. Die Erbuntertänigkeit der Bauern wurde aufgehoben und der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte wurde vom Religionsbekenntnis abgelöst. Die Juden erhielten die volle bürgerliche und politische Gleichberechtigung durch eine am 18. August 1855 an die Behörden hinausgehende Weisung der Regierung.
Die wirtschaftliche Tätigkeit der Juden in Wien in der Zeit um 1848 beschränkte sich im wesentlichen auf zwei Zweige, auf den Engroshandel in Textilien und in Landesprodukten. Der Aufstieg der Juden, der durchaus überproportionale Formen annahm, indem die Juden sich seit 1848 viel stärker vermehrten als die Christen, brachte begreiflicherweise den Antisemitismus auf den Plan, den wir in Kapitel 5.1 näher erklären.
Sassen Saskia erklärt die Entstehung des Feindbildes, mit der Angst vor der Überflutung im eigenem Lande vor den Außenseitern, "den Anderen".
Nach 1848 fielen die Fesseln, die der Presse während der Metternich Ära auferlegt waren, und die Juden konnten sie mit aller Macht für sich gewinnen.
Im Detailhandel waren die Juden bis 1859 zur Verkündung der Gewerbefreiheit überhaupt nicht vertreten, und ebenso wenig im Dienst von Staat und Gemeinden.
In der Tat faßten sie nach 1859 allmählich in allen Zweigen des Bedarfs mit ihren Geschäften Fuß.
Stefan Zweig schrieb sogar in seinen Memoiren, "Die Welt von gestern", daß neun Zehntel der Wiener Kultur vor 1914 von den Juden getragen waren.
Im Allgemeinen vermieden es die Juden jedoch politisch offiziell hervorzutreten.
Der Einfluß der Juden wuchs immer weiter an, und sie begannen allmählich auch wichtige Ämter zu erschließen.
Die Sozialstruktur der jüdischen Bevölkerung Wiens unterschied sich sehr stark von jener der übrigen Bevölkerung Wiens. Juden gehörten überwiegend der Mittelklasse an, während die nicht - jüdische Bevölkerung großteils in der Arbeiterklasse vertreten war.



Tabelle 4: Die Jüdische Bevölkerung Wiens, 1848 - 1910
Jahr Bevölkerung Wiens Prozentteil der Juden

An der Gesamtbevölkerung
1848 410.900 2,5 %

1880 721.550 10,06 %
1890 1,363.600 8,7 %

1900 1,675.300 8,8 %
1910 2,020.000 8,6 %

Auffallend ist in dieser Tabelle, der rapide Anstieg von 1848 bis 1880. Der Rückgang der Prozentziffer in der Zeit von 1880 bis 1890ist damit zu erklären, daß einige ziemlich "judenfreie" Vororte mit eingemeindet wurden
Marsha Rozenblit betont in ihren Untersuchungen über die Juden Wiens, daß man "Assimilation" in Gesellschaften anderer Glaubensgenossen erlebte, was ein völliges Aufgehen der Gruppen innerhalb der nichtjüdischen Umgebung verteilte. Die Wiener Juden waren lokal auf die Bezirke 1,2 und 9 konzentriert, lebten also mehrheitlich in jüdischer Nachbarschaft und hatten ebensolche Freunde und Ehepartner. Sie siedelten sich in erster Linie dort an, wo bereits Juden lebten.
Michael John und Albert Lichtblau schränkten diese Behauptung mit dem Hinweis ein, daß der hohe Selbständigen- und Angestelltenanteil unter den Juden ihre Ansiedlung nach der sozialen Zugehörigkeit in den bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Bezirken 1, 2 und 9 begünstigte. Gleichzeitig betonten aber auch sie, daß Juden aller sozialer Schichten in relativer Nähe zueinander wohnten, wenn auch in verschiedenen Straßen und Häusern. In diesen Bezirken bestanden zahlreiche Zentren jüdischen Lebens.
Der 9. Bezirk übte aufgrund der Nähe zur Universität große Anziehung auf Akademiker und Intellektuelle aus. Die Leopoldstadt wiederum bildete im 17. Jhd. ein jüdisches Ghetto. Sie galt als jüdischer Stammbezirk und beherbergte Juden aller Herkunftsländer und sozialer Schichten.



Tabelle 5: Prozentsatz der Wiener Juden von der Gesamtbevölkerung nach einzelnen Bezirken, 1880 -1910


1880 1890 1900 1910
I Innere Stadt 17,9 19,1 19,4 20,4

II Leopoldstadt 29,6 31,0 36,4 33,9
III Landstraße 6,0 6,6 6,0 6,3

IV Wieden 3,4 3,9 4,2 6,0
V Margareten 2,8 3,2 2,7 3,5

VI Mariahilf 4,9 7,2 9,5 12,9
VII Neubau 4,1 6,4 9,1 11,1

VIII Josefstadt 3,3 4,2 5,8 8,8
IX Alsergrund 10,1 14,7 18,2 20,5

X Favoriten 2,4 2,5 2,5 2,2
XI Simmering 1,6 1,5 0,9

XII Meidling 2,3 2,2 1,8
XIII Hitzing 1,5 1,7 2,7

XIV Sechshaus 4,2 3,9 3,9
XV Fünfhaus 5,1 5,1 5,4

XVI Ottakring 3,2 2,8 2,5
XVII Hernals 4,3 4,1 3,3

XVIII Währing 4,9 4,0 4,5
XIX Döbling 4,2 4,9 7,4

XX Brigittenau 15,7 14,0
XXI Floridsdorf 2,3


Das Leben in jüdischer Nachbarschaft zog natürlich ebensolche gesellschaftlichen Kontakte nach sich. Auch die Schulen in den Bezirken 1, 2 und 9 wiesen zum Teil einen überproportional hohen Anteil von jüdischen Schülern auf.
Der Bereich der Bildung behielt seinen hohen Stellenwert. Die Juden, die im zu behandelnden Zeitraum durchschnittlich 8-10 % der Wiener Bevölkerung ausmachten, stellten rund 30 % der Gymnasiasten. Ihre Eltern wollten damit den eigenen gesellschaftlichen Aufstieg absichern, das durch kommerziellen Erfolg errungene Sozialprestige verbessern, den Kindern Karrieremöglichkeiten bieten und ihre Assimilation in die europäische Kuturwelt in die Wege leiten. Darüber hinaus legte die bürgerliche Gesellschaft im allgemeinen großen Wert auf die Bildung, sie ähnelte damit der jüdischen Form von Statutsbestimmung.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der jüdischen Gymnasiasten trotz des Anwachsens der Gemeinde nicht mehr proportional zu. Der Grund dafür lag in der Dominanz der galizischen Juden unter den Neuzuwanderern. Sie waren zum überwiegenden Teil unbemittelt und konnten ihre Kinder nicht so ohne weiteres auf die Mittelschule schicken. Trotz allem besuchten Söhne von Juden mit geringem Sozialprestige zu einem höheren Prozentsatz Gymnasien, als nichtjüdische Kinder dieser Schicht.
Verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, war auch der Prozentsatz von jüdischen Studenten an der Wiener Universität, vor allem an der medizinischen und der rechtswissenschaftlichen Fakultät immer relativ hoch. Von 1881 bis 1891 betrug er 33 %, von 1891 bis 1896 29,2 %, von 1896 bis 1901 24,8 % und von 1901 bis 1904 23,7 %.
Der Rückgang ist ähnlich, wie an den Schulen mit der Dominanz von verarmten galizischen Juden unter den Neuzuwanderern zu erklären.















Tabelle 6: Verteilung der Hörer nach Konfessionen an den Fakultäten österreichischer Universitäten (%)


Juridische Fak.

Kath. Juden and. Mediz. Fak.
K. J. and. Philo. Fak.

K. J. and. Im Gesamten
K. J. andere

Czernowitz

1883/84
1893/94
1902/03

1913/14
Lemberg

1883/84
1893/94

1903/04

1913/14

An allen Universitäten
1863/64

1873/74

1883/84
1893/94

1903/04
1913/14
31,9 36,2 31,9

29,6 40,8 29,6
22,6 52,4 25,0

23,3 45,3 26,4


82,1 17,3 0,6
73,8 25,3 0,9

70,4 29,4 0,2
70,4 29,1 0,5



88,1 8,8 3,1
80,7 15,0 4,3

79,9 16,1 4,0
78,6 16,0 5,4

76,1 18,0 5,5
74,5 20,2 5,3

-- -- --

-- -- --

-- -- --

-- -- --

-- -- --
-- -- --
62,6 35,5 1,9

52,3 46,5 1,2


60,9 29,5 9,6

64,5 23,4 12,1
52,3 38,7 9,0

62,9 28,1 9,0
58,6 27,6 13,8

61,2 28,0 10,2
34,9 33,3 31,8

34,7 30,6 34,7
38,0 27,5 34,5

29,8 42,3 27,9


88,4 11,6 --
78,0 11,6 --

84,6 14,2 1,2
75,5 23,3 1,2



86,1 4,8 9,1
92,9 2,6 4,5

81,7 8,5 9,8
79,7 11,1 9,2

79,5 12,4 8,1
76,2 14,6 9,2

24,0 25,8 50,2
25,7 33,0 41,3

24,9 40,5 34,6
24,2 36,9 39,9

89,0 10,7 0,3

81,0 18,3 0,7
78,5 21,0 0,5

70,9 28,4 0,7


83,6 11,2 5,2

81,9 12,4 5,7
73,6 19,9 6,5

74,4 18,5 7,1
76,2 16,4 7,4

72,6 19,5 7,9



Der Trend zur Universität bewirkte wiederum den hohen Anteil von Freiberuflern unter den Wiener Juden. Neben der Tätigkeit als Ärzte und Anwälte blieben sie mehrheitlich Händler, Kaufleute, selbständige Kapitalisten und Angestellte. Sie lehnten viele, sich in der Großstadt bietende Berufsmöglichkeiten ab, ganz gegen die Interessen der liberalen Förderer, zum Beispiel in den Sparten Fabriksarbeit und Handwerk. Aufgrund der galizischen Zuwanderer gab es in diesen Bereichen um die Jahrhundertwende einen leichten Zuwachs.
Die Konzentration innerhalb spezifischer Berufszweige zog entsprechende geschäftliche und gesellschaftliche Kontakte nach sich, was durch ein dichtes Netz sozialer, kultureller und politischer jüdischer Organisationen zusätzlich forciert wurde.
Zusammenfassend sei festgehalten, daß der Akkulturationsprozeß innerhalb der Großstadt beschleunigt wurde. Die Zuwanderer fühlten sich nicht so beengt wie innerhalb der traditionellen jüdischen Gemeinschaft und entledigen sich zu Teil überkommener sozialer und religiöser Verhaltensweisen. Sie wurden zu mitteleuropäischen Städtern, nachdem die Kleidung, Sprache und Benehmen des Schtetls abgelehnt hatten; man strebte nach säkularer Bildung an den Gymnasien und Universitäten. Viele der wohlhabenden, gebildeten Juden nahmen nicht mehr am religiösen Leben Anteil.
Einige taten sogar den letzten Schritt und konventierten.

 
 

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