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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Abschnitt i



Das Entstehen der griechischen Nationbr /> Der Einsatz der archaischen und somit auch der griechischen Geschichte beginnt unmißverständlich mit der Großen oder Ägäischen Wanderung vom 12. Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende als eine Grenze zwischen der als \"Vorgeschichte\" der griechischen Geschichte bezeichneten kretisch- mykenischen Kultur und der archaischen Zeit. Als Vorgeschichte wird in diesem Falle näher erläutert, daß sich die kretisch-mykenische Kultur zwar innerhalb des griechischen Raumes abspielte und teilweise von Vorfahren der historischen Griechen getragen wurde, sie jedoch noch kein Griechentum kannte und, was entscheidender ist, die Griechen der mykenischen Zeit noch nicht zu einem Bewußtsein ihrer selbst gelangt sind. Die den Zustand ihrer Träger anzeigende kretische Formensprache, z.B. Sprache und Schrift, hat nichts mit dem Griechischen gemein und entbehrt einen Ausdruck, der einen jenseits der Alltäglichkeit liegenden Sinn hatte.
Um zu diesem Bewußtsein zu gelangen, bedurfte es für die Griechen eines elementaren, befreienden Ereignisses wie der Großen Wanderung, deren Träger sie jedoch nur teilweise waren, da diese Wanderung ihre Ursachen außerhalb Griechenlands hatte und weit über Griechenland und die Ägäis hinausgriff. Stets unter äußerem Druck strömten u.a. Nordwestgriechen aus Epirus und dem Pindus-Gebiet nach Griechenland und besiegelten das Schicksal der ohnehin sinkenden kretisch-mykenischen Kultur. Sehr wichtig war bei einem derartig einschneidenden Ereignis, daß diesem Dauer beschieden sein mußte, ansonsten wäre es für die Griechen unmöglich gewesen, sich unter starker Einwirkung äußerer Einflüsse zu sammeln und zu entfalten. Die weltgeschichtliche Lage im östlichen Mittelmeer während der Jahrtausendwende und den darauffolgenden Jahrhunderten schuf dafür die Voraussetzungen. Die Große Wanderung beseitigte endgültig die kretischen Restbestände und führte zum Zusammenbruch der großen vorderasiatischen Reiche (Hethiter, das ägyptische Neue Reich), sodaß erst die assyrische Expansion (von 745 an) wieder ein Großreich entstehen ließ, welches die Griechen aber nur peripher berührte. Bis zum Entstehen des persischen Reiches am Ende der archaischen Zeit gab es demzufolge keinen gefährlichen Gegner für die griechische Entwicklung, die zu dieser Zeit aber schon abgeschlossen und auch stark genug war, diesen Gegner abzuwehren.
In diesem durch geschichtliche Umstände abgeschotteten Raum konnte sich aus den ziehenden Völkerstämmen ein seßhaftes Volk als ein mit Gemeinbewußtsein ausgestatteter, über ein größeres Gebiet sich erstreckender gesellschaftlicher Körper herausbilden. Dieser Zusammenschluß erfolgte, was in der Geschichte einzigartig ist, nicht im Zusammenhang einer politischen Entwicklung. Obwohl die \"natürlichen\" Bedingungen, wie etwa eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Basis von Sitten, Gebräuchen und religiösen Anschauungen vorhanden war, fehlte der Einsatz einer äußeren Macht, um den Zusammenschluß und den inneren Durchformungsvorgang der Griechen auslösen und fördern zu können.
Wie bildete sich nun das griechische Volk in der archaischen Zeit? Dieser Vorgang spielte sich sowohl im Bereich der geistigen Entwicklung als auch im sozialen Dasein ab. Da wir ihn jedoch aufgrund fehlender Zeugnisse nur vom Ergebnis her kennen, müssen wir Rückschlüsse auf den Hergang bekannter Tatsachen ziehen und versuchen, diese einzuordnen:
- Mit der Erfindung einer griechischen Schrift am Anfang der archaischen Zeit taten die Griechen einen bedeutsamen Schritt in Richtung eines eigenen Bewußtseins. Die Anpassung des phönikischen Alphabets an die griechischen Bedürfnisse und die Einführung der Vokale zeigen deutlich, daß sich die Griechen der Art ihrer Sprache genau bewußt waren. Verschiedene Spielarten griechischer Schrift zeigen dabei, daß man sich zur gleichen Zeit an vielen Orten Griechenlands um dieselbige bemühte. Verteilung und Verbreitung erfuhr der Schriftgebrauch bis in die handwerklichen Schichten und verhinderte so einen Schreiberstand, wie er in Ägypten oder Babylonien anzufinden war.
- Für die Entstehung eines griechischen Einheitsbewußtseins war die Schaffung eines allen Griechen gemeinsamen Götterhimmels und der Ausgleich zwischen den örtlich begrenzten Kulten von Bedeutung, die sich annähernd durch die ganze archaische Zeit hindurchzog. Trotzdem wurde die Religion keine von sich aus gestaltende Macht, statt einer Offenbarungsreligion wurde sie in die bestehenden Verhältnisse der Gesellschaften und Stämme eingebaut, so daß die eigentlich gemeinschaftsbildenden Faktoren einer Religion nicht aufgegriffen worden sind.
- Der eng mit den olympischen Göttern verbundene Mythos hat die Entfaltung des griechischen Geistes in Richtung eines nationalen Selbstbewußtseins erheblich vorangeführt. Das beruht neben der zeitlichen Jünge des Mythos darauf, daß er das Dasein in seiner Sinnfälligkeit wiedergibt. Die erzählten Ereignisse der Götter- und Heldensagen bewegen sich in einem zeitlichen Kontinuum und sind im Raum der Vergangenheit an bestimmten Stellen angesetzt, sodaß die im Mythos erzählten Begebenheiten die Welt in ihrem Dasein repräsentieren und er auch in schlüssiger Weise Vergangenheit einfängt. So lag es nahe, den Mythos zu historisieren und den gegenwärtigen Zustand der Welt stets mit der Frage nach dem Mythos zu erschließen. Somit gelangten die Griechen zu einem geschichtlichen Bewußtsein, was sich oftmals lebendig in der Gegenwart wiederspiegelte und sogar zu einer bis zur politischen Aktualität gesteigerten Gegenwärtigkeit des Mythos führen konnte (Verfolgung Adrasts durch den sikyonischen Tyrannen Kleisthenes, Hdt. 5, 67). Da der griechische Mythos den gesamten Raum Griechenlands erfüllte, stellte er auch die Vergangenheit der ganzen griechischen Welt dar. Besonders kommt dieses in den Epen Homers vom troianischen Krieg zum Tragen, obwohl Homer diese Unternehmung nicht als eine panhellenische darstellt. Die Griechen werden als Danaer, Argiver usw. genannt, nicht jedoch als Hellenen, obschon es von da an nur noch ein kleiner Schritt zur Konzeption eines Begriffes von einem griechischen Volk war. Der Hellenenname als Bezeichnung für alle Griechen war dann auch nachweisbar am Anfang des 7. Jahrhunderts bereits vorhanden.
- Neben der Abgrenzung der Hellenen als geschlossene Gruppe formte sich das griechische Volk durch einen anderen Vorgang der inneren Aufgliederung heraus, dessen Erbegnis die drei bekannten Stammgruppen der Ioner, Dorier und Äoler waren und die von den Griechen als der Inbegriff des ganzen Volkes angesehen wurden. Die Ahnen dieser Stämme waren direkte Nachfolger des Hellen (Sohn des Menschenschöpfers Deukalion und der Pyrrha, Urenkel der Titanen, Vater von Aiolos, Doros und Xuthos) und standen somit in einer geradezu funktionalen Beziehung zum griechischen Volk. Diese Stämme, die auch Homer größtenteils noch unbekannt waren, sind - genau wie das griechische Volk selbst - ein Ergebnis der archaischen Geschichte. Sie haben keinen realen Verband gebildet und es ist fraglich, ob sie es früher, auf der Wanderung oder vorher, jemals getan haben. Die Griechen bejahten dieses, und so ist zu vermuten, daß eine Einheit zwischen den sehr unterschiedlichen Angehörigen einer Stammesgruppe lediglich auf dem Bewußtsein einer Zusammenghörigkeit fußte. Dabei spielten echte historische Erfahrungen eines Verbandes von Individualitäten eine wesentlichere Rolle als Erinnerungen an die Frühzeit, von der die Griechen nichts wissen konnten und die sie sich auf Grund ihrer Gegenwart zurechtlegten. Deshalb ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl auch am Ende der archaischen Epoche, als gegenseitige Erfahrungen reichlich vorhanden waren, am stärksten. Gegenseitige Beobachtungen und das Wissen um Gemeinsamkeiten ergaben eine Vorstellung, die allein, unterstützt durch die Entstehung der griechischen Poesie und Musik, in der Lage war, das Stammestum dieser Gruppen zu begründen. Die Gestalthaftigkeit dieses Stammesbegriffes zog seine Nährkraft aus der Lebhaftigkeit der Anschauungen, mit der man jeweils die Gegenwart deutete, und der Stärke des Selbstgefühles der sich zu den Stämmen rechnenden Staaten und derjenigen, die sich als ihre Repräsentanten vorkamen. Das setzte sich in ein historisches Wissen um und verfestigte die Anschauungen dadurch, daß es ihnen einen Rückhalt in der Form geschichtlicher Erinnerung gab. Aus diesem Bedürfnis heraus schufen die Griechen ein Bild von sich selbst.
Der griechische Volks- und der Stammestumsbegriff verdichteten sich im Laufe der Zeit immer mehr. Das Nationalbewußtsein kam beständig stärker zur Geltung. Das Hellenion in Naukratis, die Beschränkung der olympischen Spiele auf Hellenen, die Ausschließung der Fremdsprachigen von den Eleusinischen Mysterien etc. sind dafür bekannte Beispiele. Die Anreicherung des Nationalen war eine Folge der allgemeinen Bewußtseinsentfaltung, in ihm nahm man nach einiger Zeit auch den Tatbestand einer allen Griechen gemeinsamen Sittlichkeit auf. Auf diesen Gang fördernd hat auch die Entwicklung des \"agonalen\" Denkens gewirkt, d.h. das gegenseitige Abmessen individueller Leistungen auf den verschiedensten Gebieten. Beim Vergleich Hellenen gegen Hellenen wurde den Griechen ihre Zusammengehörigkeit immer gegenwärtiger und fand in den Perserkriegen ihren Höhepunkt, als sich die Volks- und Stammesbegriffe auch in vielen politischen Auseinandersetzungen wiederfanden. Abschließend muß jedoch angemerkt werden, daß die Politisierung des Volks- und Stammesbegriffes über eine Ideologie von verhältnismäßig schwacher Durchschlagskraft nicht hinausgekommen ist.
- Nicht zufällig fällt die Entstehung des Hellenennamens in die Zeit der griechischen Kolonisation. Gerade zu dieser Zeit liegt es nahe, daß sich das griechische Selbstgefühl und Selbstbewußtsein besonders ausprägte, als die durch die Kolonisation untereinander enger zusammengeführten Kolonisten von oftmals verschiedenster Herkunft fern des Mutterlandes eine neue Heimat suchten. Andererseits führte das in Kolonisationsgegenden mit dichter Streulage auch zu einer starken Ausprägung der stammesmäßigen Differenzierungen untereinander, sodaß die von Haus aus mitgebrachten Unterschiede in verschärfter Art und Weise hervortraten. Weiterhin lieferte die Kolonisation für die Griechen ein Vorstellungsmodell des Hergangs der Großen Wanderung ab. Diese wurde als eine von bestimmten örtlichen Punkten ausgehende Reihe von Kolonisationszügen gedeutet, sodaß man als Ergebnis für verschiedene Beziehungen mutterländischer Poleis zu den Inseln oder den kleinasiatischen Griechen eine geschichtliche Selbsterklärung fand. Man hat also nur mit einem indirekten Bezug zwischen Kolonisation und griechischer Einheit zu rechnen. Der Kolonisation ging eine wirkliche Gruppenbildung mit nachfolgender Verdichtung der äußeren Beziehungen der Griechen untereinander ab.
- Die Möglichkeit zu einer solchen wurde in den Amphiktyonien (´Umwohner´. Die zur Pflege eines gemeinsamen Heiligtums, zu Festversammlungen und zugleich zu regelmäßiger Beratung und Beschlußfassung über gemeinsame Angelegenheiten zusammengeschlossenen Stämme oder Städte bzw. deren Vertreter in der Bundesversammlung) dargestellt, allerdings war auch der Grad der ihnen eigenen \"Vergesellschaftung\" relativ gering und ging im Grunde genommen über Nachbarschaftsverhältnisse nicht hinaus. Falls sich Entwicklungen vollzogen, dann nicht in einer Intensivierung der Nachbarschaftsverhältnisse, sondern in einer räumlichen Ausdehnung derselben. Beispiele hierfür sind Olympia und die pyläisch-delphische Amphiktyonie, die so etwas wie ein solidarisches Handeln in bestimmten Fällen gekannt hat.
- Diese Einrichtungen reichten in die älteste archaische Zeit und vielleicht noch weiter zurück und wurden von der damaligen Gesellschaft Griechenlands und ihrem adligen Rückgrat getragen. Den \"sozialen Unterbau\" der geistigen Vorgänge, die das griechische Einheitsbewußtsein hervorbrachten, bildete der griechische Adel. Als sich das Volks- und Stammesgefüge im griechischen Bewußtsein abzeichnete, suchte und fand der sich mit dem Mythos in enge Verbindung setzende und die geneologische Geschichte pflegende Adel die Erklärung dafür, ganz nach seiner Gewohnheit, in der Herkunft des Volkes und der Stämme von bestimmten heroischen Vorfahren. So war das geschichtliche Bewußtsein an sich ein Ergebnis ständisch bedingter Haltung und sozialer Anschauung. Dies hängt mit dem griechischen Ehr- und Persönlichkeitsbegriff der frühen adligen Gesellschaft zusammen, der den Wert des Menschen immer im Spiegel seiner Mitmenschen sieht. Ruf und Ruhm (kleos) ist wesentlicher Bestandteil adliger Lebensweise und seine Träger führten ihn als einen integrierten Bestandteil des eigenen Bewußtseins mit sich. Praktische Bewegungen werden ständig unter der Berufung auf den Ruhm und die Begutachtung durch andere angestellt. Somit entsteht ein historisches \"Ichbewußtsein\" im griechischen Lebensgefühl, daß die Adligen ihr ganzes Handeln auf das Urteil der Gegenwart und der Zukunft abstimmen läßt und einen engen Bezug zur Geschichtlichkeit des Daseins herstellt.

 
 

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