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biologie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Medizinische aspekte



2.1 Historische Anmerkungen Bereits 1826 erwähnte erstmals der norwegische Arzt Otto-Christian Stengel (1795-1889) das Krankheitsbild der heute als Juvenile Neuronale Ceroid-Lipofuscinose klassifizierten Erkrankung. Im Jahre 1903 beschrieb der britische Neurologe und Pädiater Frederic E. Batten (1865-1918) die bis dahin als 'Stengel'sche Krankheit' bezeichnete Erkrankung weiterführend. In den folgenden Jahrzehnten beschäftigten sich zahlreiche Wissenschaftler mit ihr, so unter anderem Walter Spielmeyer, Wilhelm Stock und Heinrich Vogt.

1939 entdeckte E. Klenk, daß es sich bei der Batten'schen Krankheit bzw. der Spielmeyer-Stock-Vogt Krankheit - wie sie damals auch genannt wurde - um eine Stoffwechselerkrankung handelt, bei der sich chemische Substanzen in den Gehirn- und Körperzellen der Betroffenen ansammeln und deren Leiden ursächlich bedingen. W. Zeman und S. Donahue analysierten 1963 die chemische Zusammensetzung des Stoffs und bezeichneten ihn als 'Ceroid-Lipofuscin-Pigment'. Die Batten'sche Krankheit wurde von da an als 'Juvenile Neuronale Ceroid-Lipofuscinose' (JNCL) bezeichnet.

Trotz dieses international einheitlichen nosologischen Konzepts existieren in der medizinischen Literatur bis heute für die JNCL eine Reihe unterschiedlicher Bezeichnungen. Gelegentlich wird noch die alte Benennung Spielmeyer-Stock-Vogt-Syndrom verwendet: In der anglo-amerikanischen Literatur ist der ursprüngliche Terminus 'Batten`s Disease' noch häufig anzutreffen.



2.2 Der Krankheitsmechanismus

Aufgrund eines bis heute noch nicht genau erforschten Umstandes kommt es bei der JNCL zu einer Ansammlung von lipofuscin-ähnlichem Lipopigment im neuronalen Gewebe. Das sich anhäufende Lipopigment besteht zum überwiegenden Teil aus verschiedenen Fetten, quasi Abfallstoffen aus dem Zellstoffwechsel. Der Gendefekt, der für die pathologische Speicherung von Fettstoffen verantwortlich ist - er wurde erst im Jahre 1995 entdeckt - , ist eine exakt definierte Deletion (d.h. eine Mutation durch Verlust eines Chromosomenabschnitts) im Chromosom Nr. 16, im Abschnitt p 12.1-11.2 .

Mit zunehmendem Lebensalter führen die stetig anwachsenden Fettspeicherkörper zu einem toxischen Klima innerhalb der Zelle. Die Folge dieser noch unzureichend erforschten Toxik ist die Nekrose, d.h. das Absterben der einzelnen Zelle, sowie in der Summe ganzer Zellverbände. Für das Gehirn bedeutet dies eine progrediente Atrophie, d.h. eine morphologische Gewebeveränderung im Sinne eines Zugrundegehens und einer mengenmäßigen Verringerung von Hirnzellen.


2.3 Die Symptomatik

Die Sehkraft: Die Folgen des neurodystrophen Prozesses werden bei der JNCL zunächst durch ein Schwinden der Sehkraft auffällig. Die Retina (Netzhaut) der Augen, die ein 'vorgeschobener' Teil des Gehirns darstellt, ist von der Atrophie des neuronalen Gewebes zuerst betroffen.
Die zunehmende Verschlechterung der Sehkraft gilt als Initialsymptom der JNCL und tritt im Durchschnitt um das 6. Lebensjahr auf (Kohlschütter u.a. 1988). Der Abbau der visuellen Fähigkeiten beginnt mit einer undeutlicher werdenden Wahrnehmung. Das Kind ist anfangs schwer, im weiteren Verlauf gar nicht mehr in der Lage, Einzelheiten zu sehen, normale Schrift zu erfassen, Bilder und Fotografien anzusehen oder Menschen zu erkennen. Nachtblindheit und Farbsehstörungen werden auffällig.
Zuerst geht das zentrale Sehvermögen verloren, das mit einem Ausfall im Zentrum des Gesichtsfeldes (Zentralskotom) verbunden ist. Da die Sehkraft dabei in den Randbereichen der Netzhaut am längsten intakt bleibt, kompensiert das Kind den Ausfall des Sehzentrums durch Drehung des Kopfes, wodurch der noch intakte Randbereich der Netzhaut zum Sehen genutzt werden kann. Die Sehkraft nimmt - individuell verschieden - langsam oder stufenhaft ab. Im Durchschnitt tritt im 10. Lebensjahr eine völlige Erblindung ein.
Die intellektuelle Leistungsfähigkeit: Hier ist vor allem das Kurzzeitgedächtnis schon früh (etwa um das 6.-9. Lebensjahr) in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Erste Symptome nachlassender Gedächtnisleistungen können zu Schwierigkeiten des unmittelbaren Behaltens von Wahrnehmungen führen und bei den Betroffenen das Beobachten und Erfassen längerer Vorgänge beeinträchtigen. Außerdem haben sie Probleme, ausgedehnten Gesprächen zu folgen. Konzentrationsabhängige Aufgaben und abstrakte Denkinhalte können immer weniger gelöst bzw. verstanden werden. Die Folgen sind in der Regel erst um das 10. Lebensjahr deutlich wahrnehmbar. Das intellektuelle Vermögen bleibt entweder für einige Jahre konstant oder verfällt rapide.
Bei Kindern und Jugendlichen mit JNCL bleibt das für das Lernen erforderliche Langzeitgedächtnis zwar deutlich länger als das Kurzzeitgedächtnis funktionsuneingeschränkt. Da jedoch im Langzeitgedächtnis nur gespeichert werden kann, was zuvor im Kurzzeitgedächtnis aufgenommen wurde, ist eine Langzeitspeicherung bei gestörtem Kurzzeitgedächtnis nur noch sehr eingeschränkt möglich. Neues kann folglich nicht mehr, kaum noch oder nur noch bei verkürzter Wirkungs- und Wiedergabedauer erlernt werden.
Darüber hinaus gehen im Verlauf der fortschreitenden Hirnatrophie bereits erworbene kognitive und motorische Fähigkeiten verloren. Selbst alltägliche Verrichtungen wie An- und Auskleiden, die Selbständigkeit in der Körperpflege und in der Nahrungsaufnahme sowie die Kontrollfähigkeit über Körperausscheidungen (Urin und Stuhl) können im Verlauf der Erkrankung verloren gehen (auch wenn dies von den motorischen Fähigkeiten her noch möglich wäre). Im Gegensatz dazu können die Kinder und Jugendlichen - ähnlich wie alte Menschen - Dinge und Ereignisse aus ihrem früheren Leben besser erinnern und wiedererkennen als unmittelbare oder kurz zurückliegende Eindrücke und Erlebnisse. Später jedoch wird auch das Langzeitgedächtnis nicht vom dementiven Abbau verschont bleiben. Bemerkenswert ist, daß sich selbst im fortgeschrittenen Stadium des intellektuellen Abbaus noch sog. "Gedächtnis-Inseln" (Boustany u. Filipek 1993) erhalten. Die Kinder bzw. Jugendlichen mit JNCL erinnern sich, auch wenn der intellektuelle Abbau bereits weit vorangeschritten ist, an verschiedene Dinge und Sachverhalte sehr genau und können diese auch wiedergeben (Lieder, Telefonnummern, fremdsprachliche Vokabeln, Tiernamen, Hauptstädte oder ähnliches).

Neurologische Symptome: Sie treten in Form epileptischer Anfälle auf, die als sehr markante und schwerwiegende Begleitsymptome der JNCL einzustufen sind. Erste epileptische Anfälle (in der Regel in Form generalisierter Anfälle) tauchen bei Kindern mit JNCL überwiegend nach dem 10. Lebensjahr auf (Kohlschütter u.a. 1988). Sie sind für Ärzte sehr oft der diagnostische Fingerzeig, daß es sich bei dem vorliegenden Krankheitskomplex um ein neuronal begründetes Leiden handelt.
Der große generalisierte (Grand-mal) Anfall ist der bei der JNCL vorherrschende Anfallstypus. Es kommen aber auch andere Anfallsformen vor, z.B. der myoklonische Typ sowie Absencen. In der Regel sind die Epilepsien der JNCL medikamentös leicht kontrollierbar. Während der Pubertät kann die medikamentöse Einstellung der Epilepsie jedoch aufgrund hormoneller Schwankungen erschwert werden (Boustany u. Filipek 1993).

Motorische Auffälligkeiten: Erste motorische Symptome der JNCL sind um das 10. Lebensjahr in Form von Auffälligkeiten des Gangbildes zu beobachten (Zeman/Goebel 1992). Die Kinder zeigen Unsicherheit beim Gehen und fallen häufiger hin. Zwar sind die meisten von ihnen zu dem Zeitpunkt, da die ersten motorischen Auffälligkeiten bemerkbar werden, bereits völlig erblindet, doch sind diese Bewegungsunsicherheiten nicht ursächlich auf die Erblindung zurückzuführen.
Ihre anfangs leichte Ungeschicklichkeit weitet sich aus zu einer Störung der Koordination von Bewegungsabläufen (Dyssenergie) und führt schließlich zum Verlust der Fähigkeit, komplizierte Bewegungsabläufe auszuführen (z.B. Schnürsenkel binden).
Das Gang- und Haltungsbild von Kindern bzw. Jugendlichen mit JNCL prägt sich im weiteren Verlauf der Erkrankung in charakteristischer Weise aus: Kleinschrittiger, schlurfender Gang, mit anfangs leichter, später stärkerer Rigidität der gesamten Muskulatur. Den Kindern fällt es zunehmend schwerer, gerade zu stehen. Außerdem treten Gleichgewichtsstörungen auf. In charakteristischer Haltungsanomalie die Kinder bzw. Jugendlichen stehen leicht vornübergebeugt und haben die Knie eingeknickt .
Die wachsende Neigung zu allgemeiner motorischer Antriebsarmut (Hypokinese), die sich z.B. in allgemeiner Bewegungsarmut, Langsamkeit und der Schwierigkeit zeigt, begonnene Aktionen zu Ende zu führen, wird nur zeitweilig durch hohe motorische Unruhe unterbrochen. Die Fähigkeit zu großer Kraftentwicklung bleibt lange erhalten.
Infolge der fortschreitenden hirnneuronalen Schädigung kommt es im späteren Verlauf der JNCL zu spastischen Lähmungen, Tonusschwankungen (Dystonie) und blitzartigen Zuckungen (Myoklonie) (Kohlschütter u.a. 1988). Der Abbau führt im Durchschnitt im 17. Lj. zu völliger Steh- und Gehunfähigkeit, so daß die Jugendlichen in diesem Alter mehr und mehr auf den Rollstuhl angewiesen sind .

Die Sprache: Von der Degeneration des Gehirns sind auch die die Sprache steuernden Hirnregionen betroffen. Die Folge ist u.a. eine zentrale Sprachstörung (Aphasie). Die fortschreitende globale Atrophie der Sprachzentren kann bei der JNCL bis hin zum völligen Verlust der aktiven Sprache führen. Das passive Sprachverständnis hingegen bleibt bei Kindern und Jugendlichen mit JNCL lange erhalten.
Zusätzlich zur Aphasie beeinflußt eine zunehmend schwere Dysarthrie die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation. Die Dysarthrie ist eine Sprechstörung infolge einer Schädigung der an der Sprechmotorik beteiligten Hirnzentren und Nervenbahnen. Sie zählt somit zu den motorischen Ausfallerscheinungen.
Die Sprach- und Sprechstörung wird zwischen dem 10.-14. Lj. auffällig (Kohlschütter u.a. 1988). Anfängliche Symptome sind stockendes, verlangsamtes Sprechen, verbunden mit Wortfindungsschwierigkeiten. Später treten Perseverationen auf. Dabei werden Wörter oder Sätze zwanghaft und ausdauernd wiederholt (Echolalie). Dies wird zum Teil als organisches, zum Teil auch als psychisches Symptom gewertet. Stottern und unartikuliertes Stammeln, eine gestörte Laut- und Satzbildung, ein Aneinanderreihen von Satzbruchstücken und Echolalie gehören zu typischen Symptomen des sprachlichen Abbaus bei der JNCL (Gombault 1985).

Die Wesensveränderung: Schon in der Zeit nachlassenden Sehvermögens sind die Kinder der ungeheuren psychischen Belastung ausgesetzt, mit dem Verlust der Sehkraft fertig werden zu müssen. Ängste, Fragen und Unsicherheiten tauchen auf, müssen bewältigt und ausgehalten werden. Während des gesamten Krankheitsprozesses, vor allem aber im Jugendlichenalter, kommt es bei den JNCL-Patienten zu einer Veränderung ihres gesamten Wesens (Boustany u. Filipek 1993). Aus psychologischer Sicht ist es eine in ihrer Situation durchaus verständliche und angemessene Traurigkeit, resultierend aus dem Erleben ihres sich verschlechternden Gesamtzustandes. Die anhaltende Depressivität kann in eine psychogene Depression überleiten. Symptome dieser Erschöpfungsdepression sind vor allem Gleichgültigkeit, Apathie, Rückzug, Kraftlosigkeit, Schmerzempfindlichkeit, Schlaf- und Appetitmangel, aber auch aggressive Ausbrüche.
Im Laufe der fortschreitenden Erkrankung stellt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Hirnveränderung eine somatogene, also organisch bedingte Depression ein. Die Symptome der somatogenen sind denen der psychogenen Depression ähnlich. Allerdings treten häufig gravierende Begleitsymptome hinzu, sog. psychotische Erscheinungen. Diese können sein: Reizbarkeit, Aggressivität und Ruhelosigkeit, plötzliche Wutausbrüche, körperliche Gewaltbereitschaft, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, lebhafte visuelle und auditorische Halluzinationen, verknüpft mit paranoiden Wahnvorstellungen, Angstzuständen, autoaggressivem Verhalten und zwangsartige Handlungen sowie der häufig auftretende Verlust des Tag-Nacht-Rhythmus. Einer ernsthaften psychotischen Krise kann nur durch Medikamentengabe erfolgreich begegnet werden . Es ist dabei nicht leicht zu unterscheiden, welche der psychischen Symptome aus der Hirnveränderung und welche aus dem Erleben der Hilflosigkeit und Frustration der eigenen Situation resultieren, welche Symptome lediglich die Angst und Unsicherheit der sozialen Umgebung widerspiegeln und welche Symptome mögliche Nebenwirkung verabreichter Medikamente sind.


2.4 Epidemiologische und genetische Aspekte

Die JNCL kommt weltweit vor und ist in allen Ethnien beobachtet worden. Sie gilt als eine der häufigsten erblich bedingten, progressiv-neurodegenerativen Erkrankungen des Kindesalters. Die Inzidenzrate, d.h. die Vorkommenshäufigkeit der JNCL, beträgt in Deutschland umgerechnet ca. 1:140.000 Lebendgeburten. Von JNCL sind männliche wie weibliche Patienten gleichermaßen betroffen. Die Krankheit wird rezessiv vererbt.

Die Diagnose der JNCL ist durch die elektronenmikroskopische Untersuchung von Körperzellen des Erkrankten relativ leicht und sicher zu stellen. Die Lipoid-Zelleinschlüsse lassen sich deutlich erkennen, da sie in Form und Aussehen charakteristisch sind (Zeman u. Goebel 1992). Gründe für den sich häufig unnötigerweise über Jahre hinziehenden diagnostischen Irrweg sind Fehlinterpretationen der Symptome und/oder ärztliche Unkenntnis der Krankheit.

 
 

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