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biologie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Bulimia nervosa






3.1. Definition Bulimie oder Ess-Brech-Sucht ist eine Essstörung, die durch den Wechsel von Fressanfällen und Versuchen der Gewichtsreduktion gekennzeichnet ist. Charakteristisch für diese Fressattacken ist der Kontrollverlust, der die Betroffenen wahllos Unmengen an Nahrungsmitteln verschlingen lässt. Um diese übermäßige Energiezufuhr auszugleichen, wird das Essen erbrochen oder andere Kompensationsmaßnahmen ergriffen (Abführmittel, Diuretika, Fasten, exzessiver Sport). Die Betroffenen können untergewichtig, normal- oder übergewichtig sein.

3.2. Diagnosekriterien der Bulimia nervosa (DSM-IV-Kriterien):



Wiederholte Episoden von "Fressattacken". Eine "Fressattacken"-Episode ist gekennzeichnet durch beide der folgenden Merkmale:
Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb eines Zeitraums von 2 Stunden), wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist als die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen essen würden.
Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren (z.B. das Gefühl, weder mit dem Essen aufhören zu können, noch Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben).
Wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen, wie z.B. selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien, Diuretika, Klistieren oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung.
Die "Fressattacken" und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen drei Monate lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor.
Figur und Körpergewicht haben einen übermäßigen Einfluss auf die Selbstbewertung.
Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia nervosa auf.



3.3. Bestimmung des Typus:



Je nach den zur Gewichtsregulierung angewandten Verhaltensweisen, wird die Bulimia nervosa in zwei Subtypen unterteilt:



"Purging"-Typus: Die Person induziert während der aktuellen Episode der Bulimia nervosa regelmäßig Erbrechen oder missbraucht Laxantien, Diuretika oder Klistiere.



"Nicht-Purging"-Typus: Die Person hat während der aktuellen Episode der Bulimia nervosa andere unangemessene, einer Gewichtszunahme gegensteuernde Maßnahmen gezeigt wie beispielsweise Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung, hat aber nicht regelmäßig Erbrechen induziert oder Laxantien, Diuretika oder Klistiere missbraucht.




3.4. Häufigkeit



Da sich viele Betroffene ihrer Krankheit schämen und diese deshalb verleugnen, ist es schwierig, ihre Anzahl zu erfassen. Schätzungen zufolge leiden etwa 3% der jungen Frauen an Bulimie.




3.5. Verlauf der Krankheit

In der Vorgeschichte von Betroffenen finden sich häufig magersüchtige Phasen. Sie hungern so lange und halten sich zurück, bis sie es schließlich nicht mehr aushalten und es zu einer "Fressattacke" kommt. Danach werden sie von Schuldgefühlen geplagt und wollen alles wieder loswerden. Das kann den Übergang von Magersucht zu Bulimie darstellen. Auch im Verlauf der Bulimie kann es wieder zu Magersucht kommen. Essstörungen können sich immer wieder verlagern. Besonders Magersucht und Ess-Brech-Sucht haben fließende Grenzen. Die Symptomverlagerung ist eine scheinbare Lösung und begünstigt die Entwicklung zu einer chronischen Essstörung.

Die Bulimia nervosa ist aber auch unabhängig von der Anorexie als eigenständige Krankheit bekannt. Die Häufigkeit der Heißhungerattacken nimmt in der Regel im Laufe der Krankheit zu, schließlich finden sie oft mehrmals täglich statt. Manchmal dreht sich der gesamte Tagesablauf nur darum, Essen zu beschaffen, es zu verschlingen und wieder aus dem Körper zu entfernen. Menschen mit Bulimie sind ständig auf der Suche nach etwas Essbarem, werden aber niemals satt.

Auch die Nahrungsmenge, die bei einer Heißhungerattacke verschlungen wird, steigt mit der Zeit an. Es werden im Allgemeinen kohlenhydrat- und fettreiche Nahrungsmittel verschlungen, diese jedoch wahllos durcheinander und vermischt mit literweise Flüssigkeit. Ein solcher Fressanfall kann ganz unterschiedlich ablaufen. Er kann sich aus einer zunächst ganz normalen Mahlzeit entwickeln, wenn ein bestimmtes Limit überschritten wurde. Es wird dann noch mehr Nahrung zugeführt, damit sich das Erbrechen auch lohnt.

Fressorgien können aber auch geplant sein, finden entweder immer zur gleichen Tageszeit statt oder wenn der Betroffene gerade ungestört ist. Bevorzugt sind Abend und Nacht. Manche Betroffene halten sich den ganzen Tag über zurück, um dann am Abend über das Essen herzufallen und solange im Wechsel zu essen und zu erbrechen, bis sie schließlich erschöpft einschlafen.

Heißhungerattacken können verschiedene Auslöser haben, so können sie z.B. nach Kränkungen, in Spannungssituationen, aus Langeweile, aus einem Gefühl der Leere oder aber auch aus Gewohnheit und Teil der Tagesstruktur stattfinden. Einige erbrechen eines Tages spontan, da ihnen nach dem vielen Essen übel geworden ist, andere versuchen es nach einer solchen Völlerei erstmals willentlich. Auch die Einstellung der Betroffenen zu ihren Heißhungerattacken und den anschließenden Versuchen, alles wieder ungeschehen zu machen, ist unterschiedlich. Die einen empfinden ihr Verhalten als Kontrolle, die anderen als Kontrollverlust. Für manche ist es eine Art Geheimtipp, für andere etwas Minderwertiges und Schuldhaftes.

Ein wichtiger Aspekt ist auch die Nahrungsbeschaffung. Anfangs bedienen sich die meisten zu Hause, wenn sie jedoch aufgrund der immer größer werdenden Mengen Gefahr laufen, sich zu verraten, fangen viele an, selbst Lebensmittel einkaufen zu gehen. Großmärkte und möglichst billige Produkte werden bevorzugt, reicht das Geld nicht aus, wird häufig ein Nebenjob angenommen. Nicht wenige beginnen eines Tages zu stehlen, entweder Geld zu Hause oder Esswaren in Geschäften. Die Nahrungsbeschaffung kann so zu einer sehr wichtigen - ja sogar zur Hauptbeschäftigung werden, die den Tagesablauf bestimmt. Häufig werden aber nicht nur Geld und Esswaren entwendet, sondern auch Kosmetika, Kleidung oder was immer die Betroffenen besitzen möchten. Wie das Fressen und Erbrechen kann auch das Stehlen eine Funktion im Leben dieser Menschen erfüllen. Sie begehen dieses Delikt, um Mut zu beweisen, aus Rache für erlittene Kränkungen, in heimlicher Genugtuung für erduldetes Unrecht oder als Kontrast zur Wohlanständigkeit der Familie. Das Stehlen kann somit zum Bedürfnis werden, darf aber trotzdem nicht als Symptom der Bulimie gesehen und damit gerechtfertigt werden.






3.6. Verhalten gegenüber Angehörigen



Diejenigen, die in einer Gemeinschaft leben, legen meist wert auf eine perfekte Spurenbeseitigung. Nach einem Fressanfall duschen sie, putzen sich die Zähne, säubern das Bad, ziehen frische Kleidung an und entsorgen den entstandenen Müll.

Während der Großteil versucht, die Krankheit so lange wie möglich geheim zu halten, setzen sie manche dagegen gezielt als Hilferuf ein. Sie wollen auf ihre seelische Not aufmerksam machen oder auch das Bild der perfekten Tochter zerstören, das sie nach außen hin bisher darstellten.


3.7. Persönlichkeit



Gefährdet sind Menschen, die eine Neigung zum übertriebenen Perfektionismus haben. Perfektionismus, verbunden mit einem sehr schwach ausgeprägten Selbstwertgefühl, wird im Verlauf einer Bulimie noch stärker und quält Betroffene nicht nur im Hinblick auf ihre Figur, sondern in allen Lebensbereichen: Schule, Ausbildung, Rolle als Tochter oder/und Freundin, Ehefrau, Mutter etc. Ständig ist das Gefühl da, nicht gut genug zu sein.



Außerdem haben die meisten bulimischen Frauen nicht gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und gegenüber anderen zu vertreten. Häufig berichten sie über starke Abhängigkeitsgefühle, die mit großen Verlust- und Trennungsängsten einhergehen. Dies trägt zur Unterdrückung eigener Gefühle und Bedürfnisse bei und hat eine starke Orientierung an den Erwartungen anderer Menschen zur Folge. Das mangelnde Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen bewirken depressive Verstimmtheit sowie Gefühle der emotionalen Leere, Hilflosigkeit, Anspannung und Scham über die Unzulänglichkeit des eigenen Körpers.



Das Wahrnehmen, Benennen und Ausdrücken der eigenen Gefühle gelingt den Frauen nur schwer. Die in der eigenen Wahrnehmung bestehenden Unterschiede zwischen dem »Wie ich sein will« und dem »Wie ich bin« führen zu Spannungszuständen, die sich dann im Essverhalten entladen.






§ Ursachen von Essstörungen



Sowie es nicht einen Schuldigen gibt, gibt es auch nicht eine Ursache für eine Essstörung. Es muss viel geschehen, damit jemand in solch eine Krankheit hinein gerät, wobei sowohl soziokulturelle und familiendynamische, als auch persönlichkeitsspezifische Aspekte eine Rolle spielen. Auch biologische und genetische Faktoren dürfen nicht unbeachtet bleiben, wobei besonders in dieser Richtung noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Dazu können auch noch traumatische Trennungssituationen oder sexueller Missbrauch als Auslöser einer Essstörung kommen.



Magersucht und Bulimie sind - so die Überzeugung der Ärzte - Krankheiten, die ohne Gesellschaft nicht denkbar wären. Niemand kann sich gesellschaftlichen Einflüssen wie z.B. dem herrschenden Schlankheitsideal entziehen. Schlankheit wird gleichgesetzt mit Schönheit, Attraktivität, Dynamik und Erfolg; dieses weibliche Schönheitsideal der westlichen Gesellschaft ist sicherlich ein wichtiger Grund dafür, dass viele junge Frauen mit ihrem Körper unzufrieden sind. Eine Untersuchung ergab, dass üppige weibliche Formen mit einem Mangel an Intelligenz und mit beruflicher Inkompetenz assoziiert werden. Entsprechend legen Frauen, die einen hohen Bildungsgrad und berufliche Karrieren anstreben, Wert auf einen schlanken Körper.



Ein weiterer wichtiger Aspekt ist unsere Überflussgesellschaft; auch ohne sie wären Essstörungen nicht denkbar. Hungern ist nur dort eine Leistung, wo es freiwillig geschieht; wo es nicht genug zu Essen gibt, spielen Essstörungen kaum eine Rolle.



Auch die Rolle der Frau in Gesellschaft und Familie ist ein heikles Thema im Zusammenhang mit Essstörungen. Von Magersüchtigen wird oft behauptet, dass sie ihre Rolle als Frau nicht annehmen wollen, was auch in manchen Fällen zutreffen mag. Dann wird das Hungern als Mittel zur Aufrechterhaltung kindlicher Körperformen und zum Aufhalten der Entwicklung zur Frau eingesetzt. In anderen Fällen ist es jedoch nicht die Rolle der Frau allgemein, gegen die sich die Betroffene auflehnt, sondern die Rolle der Frau, wie sie von der Mutter vorgelebt wird. Ihr Leben ist geprägt von Verzicht und Opfern der Familie zuliebe, sie ist häufig verstimmt und wirkt lustlos und missmutig. Diese Unzufriedenheit geht meist auf ein Gefühl des Unausgefülltseins zurück; die Mutter identifiziert sich innerlich nicht mit der Rolle, die sie übernommen hat, leugnet dies aber vor sich und den anderen und spielt ihre Mutterrolle perfekt. Die essgestörte Tochter, die nicht selten in einer Art Symbiose mit der Mutter lebt, spürt jedoch deren innere Unzufriedenheit und wehrt sich gegen das gleiche Schicksal.



Da familiäre Einflüsse überhaupt eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer Essstörung spielen, sollen hier noch einige auffällige Fakten im Bezug auf die Familie genannt werden.



Die Betroffenen kommen meist aus Familien der sozialen Mittel- und Oberschicht. Auf Karriere, Erziehung, Ausbildung und auch Fitness wird allgemein großer Wert gelegt; es gibt kaum finanzielle Probleme. Werte wie Ordnung und Disziplin spielen eine wichtige Rolle, Emotionalität und Austausch von Zärtlichkeit werden dagegen eher abgelehnt.

Es existiert häufig die unausgesprochene Regel, über negative Gefühle wie zum Beispiel Wut, Angst oder Überforderung nicht zu reden.

Nach außen hin läuft alles perfekt und harmonisch ab, es entsteht der Eindruck einer netten, intakten Familie. Doch besonders in einem sehr harmonischen Klima besteht eine große Gefahr, doppelbödig zu kommunizieren, etwas anderes zu sagen, als man fühlt. So übernimmt z.B. die Mutter Pflichten mit einem freundlichen Lächeln und fühlt dabei Wut und Ärger, dass sie sich wieder einmal hat überreden lassen. Der Vater hört scheinbar geduldig zu, wenn Tochter und Mutter über ihre Probleme reden, in Gedanken ist er jedoch bei seiner Arbeit. Die Tochter spürt, dass die Worte nicht zu den Gefühlen passen und lernt dadurch, nicht auf ihr Gefühl zu hören.

Auch Leistung und Perfektionismus haben einen hohen Stellenwert in den Familien und werden von beiden Elternteilen vorgelebt: Der Vater schont sich nicht bei der Arbeit, macht ständig Überstunden und geht auch noch krank seinen Pflichten nach; er weigert sich, festzustellen, dass es auch ohne ihn geht. Auch die Mutter ist ständig im Einsatz und grundsätzlich nur für andere da; sie äußert keine Kritik oder eigene Meinung. Sie ist immer freundlich, kümmert sich sehr um die Großeltern und achtet nicht auf ihre körperlichen Grenzen. Die Grundstimmung der meisten Mütter ist jedoch gedrückt. Sie äußern sich nicht direkt, sondern mit schweigendem Vorwurf oder leiden unter psychosomatischen Störungen.



Häufig hat die Mutter zugunsten von Haushaltsführung und Kindererziehung, welchen sie sich verpflichtet fühlt, auf eine eigene berufliche Karriere verzichtet. Der Vater hingegen kommt meist erst spät abends von der Arbeit nach Hause und möchte dann nur die angenehmen Seiten der Familie erleben.



Die Geschwister sind meist nicht so familienorientiert und -abhängig wie die spätere Essgestörte. Diese ist das so genannte "Elternkind", das aus dem Subsystem der Geschwister herausgerissen ist und zwischen diesen und den Eltern steht. Trotzdem konkurriert sie ständig mit den Geschwistern um die Zuwendung der Eltern und fühlt sich stets weniger geliebt. Nicht wenige sehen ihre Aufgabe darin, in der Ehe der Eltern zu vermitteln und fühlen sich für Glück und Harmonie in der Familie verantwortlich. Viele meinen, erreichen zu müssen, was den Eltern selbst nicht gelungen ist. Sie empfinden ein starkes Gefühl der Dankbarkeit für alles, was diese für sie getan haben und sind sehr darum bemüht, sich durch besondere Leistungen auch dankbar zu erweisen

Die meisten sind sehr darauf bedacht, herauszufinden, was andere von ihnen erwarten und hassen es, hinter diesen Erwartungen zurückzubleiben.



Untersuchungsergebnisse lassen nun vermuten, dass auch die genetische Veranlagung an der Entstehung von Essstörungen beteiligt ist. So zeigten einzelne Studien, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der eineiige Zwilling einer anorektischen Patientin ebenfalls an Magersucht erkrankt, bei rund 50% liegt; bei zweieiigen Zwillingen beträgt diese Wahrscheinlichkeit weniger als 10%.



Außer den bereits genannten Ursachen für Essstörungen wird in der Wissenschaft auch die Frage diskutiert, ob Unterernährung ab einem gewissen Zeitpunkt einen so genannten Circulus vitiosus ( lat.: krankhafter Kreis) in Gang setzt : Die für die zentrale Stoffwechselregulation verantwortlichen Nervenzellen werden durch das Hungern so gestört, dass das Krankheitsgeschehen aufrechterhalten wird und weiter fortschreitet.

Die in diesem Zusammenhang vielleicht wichtigste Studie wurde 1950 in Minnesota durchgeführt und sollte die Konsequenzen von Hungern auf die Psyche und die körperliche Verfassung untersuchen. Die Teilnehmer waren 36 junge, psychisch gesunde Männer mit durchschnittlichem Gewicht, deren Essgewohnheiten 3 Monate lang beobachtet wurden. In den darauf folgenden 6 Monaten wurde ihre individuelle tägliche Kalorienmenge halbiert, wobei die Teilnehmer durchschnittlich 25% ihres Gewichts verloren. In dieser Diätphase zeigten sich auch überraschende Veränderungen im Verhalten der Männer: Sie beschäftigten sich in Gedanken immer stärker mit Essen, begannen, Kochbücher zu lesen, Nahrungsmittel zu horten und einige verbrachten schließlich Stunden mit dem Essen einer Mahlzeit, für die sie früher nur wenige Minuten benötigt hätten.

Die Teilnehmer erlebten auch große Stimmungsschwankungen, verloren ihre Freunde an sozialen Kontakten, hatten weniger sexuelles Interesse und Konzentrationsschwierigkeiten. Trotz herabgesetzter Leistungsfähigkeit betrieben manche exzessiv Sport um abzunehmen, viele hatten Heißhungerattacken und manche reagierten auf ihre Fressanfälle mit Übelkeit und Erbrechen. Das normale Gefühl für Hunger, Appetit und Sättigung war den meisten Teilnehmern schließlich vollständig abhanden gekommen und auch nach Beendigung der Diät zeigten manche noch länger ein gestörtes Essverhalten. Diese Untersuchung zeigte, dass auch bei bislang psychisch Gesunden im Rahmen einer Reduktionsdiät alle Symptome einer Anorexia oder Bulimia nervosa auftreten können. Solange also bei psychogenen Essstörungen das Gewicht unter einer bestimmten Grenze liegt, ist das Erreichen eines unauffälligen Essverhaltens und eines normalen Sättigungsempfindens wenig wahrscheinlich.



§ Die Behandlung von Magersucht und Bulimie



Es gibt kein allgemein anerkanntes Therapieschema der Essstörungen, sondern es existieren viele unterschiedliche Ansätze, wobei keiner eine Heilung garantiert. Jede(r) Betroffene muss für sich selbst entscheiden, welche Therapieform für sie/ihn die richtige ist. Dazu muss jedoch erst einmal die Einsicht vorhanden sein, dass das eigene Essverhalten gestört ist und der Wille, die Krankheit aufzugeben. Die Bereitschaft, nur lästige Seiten der Essstörung zu bekämpfen, wie z.B. ein extremes Untergewicht oder zu häufige Heißhungerattacken, reicht keinesfalls aus.



Die wichtigste Form der Behandlung von Essstörungen ist die Psychotherapie, wobei die verschiedensten Therapieformen zur Verfügung stehen. Am stärksten vertreten sind die Gesprächs- und Verhaltenstherapie, weiters werden Psychoanalyse, Körperwahrnehmungs-, Gestalt- und Tanztherapie angewandt. Die verschiedenen Therapieformen können auch miteinander kombiniert werden; zusätzlich können auch Entspannungsübungen hilfreich sein.



Psychotherapie wird sowohl von Ärzten als auch von Psychologen durchgeführt, die eine Zusatzausbildung in Psychotherapie haben. Da die Zusammenarbeit mit dem Therapeuten für einen erfolgreichen Therapieverlauf von großer Bedeutung ist, ist es wichtig, dass dieser dem Patienten sympathisch ist. Daher empfiehlt es sich, mehrere Psychotherapeuten aufzusuchen und sich erst nach einem Kennenlern-Gespräch zu entscheiden.



Die Psychoanalyse gehört zwar zu den klassischen Behandlungsmethoden, ihre Wirksamkeit bei der Behandlung von Essstörungen gilt aber als recht umstritten. Ziel der Psychoanalyse ist es, ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit, die nach Freud, dem Begründer dieser Behandlungsmethode, zu Neurosen führen, wieder ins Bewusstsein zu rufen, um diese bearbeiten und lösen zu können. Wichtig ist, dass der Patient dabei mit Hilfe der freien Assoziation selbst Einsichten gewinnt, der Analytiker sollte sich mit Fragen und Ratschlägen möglichst zurückhalten. Die klassische Psychoanalyse ist sowohl zeitlich als auch finanziell ein relativ aufwändiges Verfahren und hat nur eine niedrige Heilungsquote.



Bei der Gesprächstherapie geht man davon aus, dass das gestörte Verhalten auf falsche Lernprozesse zurückzuführen ist. Die lebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten und die Frage nach den Ursachen und Auslösern der Essstörung stehen im Vordergrund. Im Laufe der Therapie sollen die Bedingungen, die die Krankheit verursacht haben, ergründet werden; es wird nach einem konkreten Auslöser gesucht und auch versucht zu analysieren, welche Faktoren zur Aufrechterhaltung der Essstörung beitragen. Aufgrund dieser Anhaltspunkte werden Veränderungen angestrebt, die sowohl die äußeren Lebensbedingungen, als auch verzerrte Einstellungen und Annahmen betreffen.



In der Verhaltenstherapie stehen hingegen die aktuelle Problematik und die momentane Lebenssituation des Patienten im Vordergrund. Es werden dem Patienten neue Wege zur Problemlösung gezeigt und es wird versucht, wieder ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist herzustellen. Dies soll zum Beispiel mit Hilfe von Körper-Bewegungstechniken, Entspannungsverfahren und Meditation erreicht werden und dem Patienten ermöglichen, seinen Alltag besser zu bewältigen.



Da essgestörte Patientinnen sich meist schon relativ lange fehl- bzw. mangelernährt haben, ist es sehr schwer für sie, von selbst wieder richtig mit Nahrung umzugehen. Deshalb kann auch eine Ernährungstherapie sehr hilfreich bei der Behandlung einer Essstörung sein. Dabei hat eine dem Wissensstand der Patientin angepasste Ernährungsberatung einen hohen Stellenwert. Diese kann jedoch nicht lediglich aus Informationsvermittlung bestehen, sondern muss auf die Patientin und ihre persönlichen Wünsche, Abneigungen, Erwartungen und Ängste hinsichtlich Ernährung eingehen. Außerdem wird in Gruppen gemeinsames Kochen und Essen gelernt. Dabei bereitet in den Kochgruppen meist das Teilen von Verantwortung Schwierigkeiten und das gemeinsame Einnehmen der Mahlzeiten ist zumindest zu Beginn großteils mit Konkurrenzgefühlen verbunden.



In der Gestalt- oder Kunsttherapie geht es nicht darum, perfekte Kunstwerke herzustellen, was die meisten Magersüchtigen und bulimisch Kranken zuerst im Sinn haben. Sondern es geht darum, Gefühle auszudrücken, womit sie meist Schwierigkeiten haben. Die PatientInnen stellen nämlich meist sehr hohe Ansprüche an sich selbst und wollen stets ausgezeichnete Leistungen erbringen, sind jedoch nur selten in der Lage, Gefühle zuzulassen oder gar auszudrücken. Die Therapie hat das Ziel, den Betroffenen zu helfen, einen Zugang zum unmittelbaren Selbstausdruck zu finden und sie von dem Druck zu befreien, perfekte Kunstwerke erstellen zu müssen.

Ein wichtiges Symptom der Anorexia nervosa ist auch eine Störung in der Wahrnehmung des eigenen Körpers und auch bei der Bulimia nervosa spielt diese eine wichtige Rolle. Viele PatientInnen fühlen sich diesbezüglich extrem unsicher, worauf in der Körperwahrnehmungstherapie eingegangen wird. Dazu werden nicht nur Übungen zur Selbstwahrnehmung durchgeführt, sondern auch zur Wahrnehmung von Nähe und Distanz zu anderen Menschen, wobei die PatientInnen lernen sollen, Grenzen zu erkennen und zu behaupten. Diese Art der Therapie soll ihnen helfen, zu einem neuen Körperbewusstsein zu gelangen und den eigenen Körper als einen Teil von sich zu akzeptieren.



Fast alle psychotherapeutischen Verfahren sind sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie anwendbar. Welche man bevorzugt, hängt von der Persönlichkeit der PatientInnen ab und muss dem entsprechend in jedem Fall individuell entschieden werden. Seit einigen Jahren wird die Gruppentherapie als die durchwegs erfolgreichere angesehen, da sie den einzelnen PatientInnen den Kontakt und Austausch mit Gleichaltrigen ermöglicht, die in etwa die gleichen Probleme haben wie sie selbst. Trotz gelegentlicher Rivalitätskämpfe verbindet sie meist ein starkes Solidaritätsgefühl und es entwickelt sich in der Gruppe eine Atmosphäre des Vertrauens. Dadurch lernen die PatientInnen, Kritik zu üben und auch anzunehmen und es wird ihnen ermöglicht, sich untereinander mit gemeinsamen Problemen auseinanderzusetzen. Zentrale Themen der Gruppengespräche sind Selbstunsicherheit, Egozentrik, Ängste, Perfektionismus, sowie das Verhältnis zu den Eltern, eigenes und fremdes Rollenverhalten, Beziehungen zu Gleichaltrigen und der Umgang mit der Sexualität.



Da Magersucht und Bulimie nicht allein als Störung eines Individuums, sondern auch als ein Familienproblem verstanden werden, ist es sinnvoll, die Angehörigen - in erster Linie der Eltern bzw. Partner - mit in die Therapie einzubeziehen. Auch hierbei gibt es sowohl die systematische Therapie der Einzelfamilie als auch die Familiengruppentherapie. Die Einbeziehung der Angehörigen kann sich jedoch aus unterschiedlichen Gründen als schwierig erweisen. Sei es aufgrund großer räumlicher Entfernungen, sei es, dass die Angehörigen eine innere Abwehr entwickeln oder auch die Patientin Widerstand leistet.



Die Behandlung einer Essstörung kann im Allgemeinen ambulant oder stationär durchgeführt werden, es gibt jedoch einige Kriterien, bei deren Erfüllung zu einer stationären Behandlung geraten wird:

- ein schlechter psychischer oder körperlicher Zustand

- eine Dauer der Erkrankung über mehrere Jahre

- eine gescheiterte ambulante Behandlung

- unerträgliche Spannungen in der Familie

- der Wunsch, ohne Familie zurechtzukommen

- die Überzeugung, in einer stationären Behandlung besser aufgehoben zu sein als in einer ambulanten, aus welchen Gründen auch immer



Als Beispiel einer stationären Behandlung möchte ich hier kurz das Konzept der Grazer Kinderklinik vorstellen, das ein sehr hohes Ansehen genießt.



Nach Stellung der Diagnose werden den PatientInnen und deren Eltern die unbedingte Notwendigkeit einer Behandlung und die Behandlungsgrundsätze erläutert. Anschließend wird mit beiden ein schriftlicher Behandlungsvertrag geschlossen, in dem sie sich zur persönlichen Mitarbeit bzw. zur Zusammenarbeit sowie zur Einhaltung der Stationsregeln verpflichten. Der Vertrag definiert die Krankheit über das Gewicht anstatt als Essproblem. Allen Beteiligten wird die Regel mitgeteilt, dass es verboten ist, übers Essen zu sprechen. Entscheidend ist, dass ein vereinbartes Zielgewicht erreicht wird, das im Normalbereich liegt.

Gemeinsam mit der Patientin wird auf Millimeterpapier eine "Gewichtskurve" angefertigt: Ausgehend vom Aufnahmegewicht wird eine Linie gezeichnet, wobei für jeden Tag eine (minimale) Zunahme von 100g festgelegt ist (Solllinie). 1 kg unter dieser Linie wird eine parallele Linie gezeichnet. Die PatientInnen werden täglich vor dem Frühstück gewogen und der Gewichtswert wird in die Kurve eingezeichnet. Liegt das aktuelle Gewicht auf oder über der Solllinie, ist die Patientin in Freiheit und darf an allen Stationsaktivitäten teilnehmen. Liegt das Gewicht zwischen den beiden Linien, hat die Patientin Bettruhe und darf das Bett nur zu den Psychotherapiestunden verlassen. Bei einem Gewicht von 1 kg oder mehr unter der Solllinie, wird die Ernährung über eine Nasenmagensonde verabreicht.

Ein wichtiges organisatorisches Grundprinzip ist die Trennung der unterschiedlichen Aufgaben in der Betreuung anorektischer und bulimischer PatientInnen durch unterschiedliche Personen: Für das Gewichtsmanagement sind im Allgemeinen die Krankenschwestern zuständig; Einzel- und Familientherapie werden von unterschiedlichen Psychotherapeuten durchgeführt. Die bei der somatischen Behandlung erforderliche Konsequenz und Strenge würde nämlich den verständnisvollen, psychotherapeutischen Zugang behindern, während das, was in Einzeltherapiestunden besprochen wird, nicht den Eltern mitgeteilt werden darf, um das Vertrauen der PatientInnen nicht zu brechen.

Ist das Zielgewicht erreicht, wird die Patientin aus dem Krankenhaus entlassen, die Behandlung ist damit aber noch nicht beendet. Gewichtskontrolle und Psychotherapie werden ambulant weitergeführt, zuerst wöchentlich, später in steigenden Zeitabständen. Es wird jedoch ein Wiederaufnahmegewicht festgelegt, das meist 1-2 kg unter dem Zielgewicht liegt. Wird dieses unterschritten, kommt es erneut zu einer sofortigen stationären Aufnahme und die Behandlung wird entsprechend dem Schema bis zum neuerlichen Erreichen des Zielgewichts weitergeführt.




Heilungsaussichten


Wie wahrscheinlich eine Heilung erreicht wird, ist schwer zu sagen, da es keine einheitliche Definition dafür gibt. Das hat zur Folge, dass Forscher unterschiedliche Kriterien heranziehen, um "Heilung" bzw. "Besserung" zu beschreiben. Dem entsprechend vielfältig und unterschiedlich fallen auch die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen aus. Während ältere Studien sich meist nur auf die Besserung der körperlichen Symptome beziehen, berücksichtigen neuere Untersuchungen auch psychische und soziale Faktoren.

Die Vielzahl der existierenden Studien lässt zwar nicht wirklich exakte Aussagen zu, es lassen sich aber gewisse Trends bezüglich der Besserungs- und Heilungsraten aufzeigen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass aufgrund vermehrten Wissens und effektiverer Interventionsmethoden die Sterblichkeitsrate erheblich sank, ca. 30% der Erkrankten gelten jedoch als unheilbar, da sie trotz erfolgter Therapie(n) an ihrer Sucht festhalten.

Durchschnittlich gelingt es ca.67% der Betroffenen, sich von dem auffälligsten Symptom, dem Untergewicht, zu entfernen und bei rund 60% pendelt sich auch der Menstruationszyklus wieder ein. Das Essverhalten normalisiert sich jedoch nur bei etwa 47%, bei den Übrigen bleibt meist die selektive Nahrungsaufnahme bzw. gelegentliches Erbrechen erhalten. Durchschnittlich 65% gelingt es, ihre Isolation zu überwinden und sich wieder in ihr soziales Umfeld zu integrieren. Jedoch fühlt sich fast die Hälfte der ehemals Magersüchtigen noch Jahre danach in irgendeiner Form psychisch beeinträchtigt; sie weisen insgesamt stärkere Tendenz zu Misstrauen, depressiven Verstimmungen, Angstzuständen oder negativem Selbsterleben auf.

Deutlich wurde, dass PatientInnen mit einem Erkrankungsbeginn vor einem Alter von 17 Jahren durchschnittlich eine größere Heilungschance aufwiesen, als solche, die erst später an einer Essstörung erkrankten. Die Chance wird umso geringer, je länger die Krankheit dauert, da es den Betroffenen immer schwerer fällt, gewohnte Muster abzulegen. Auch die Persönlichkeit der Erkrankten spielt eine nicht ganz unwesentliche Rolle. So haben eher neugierige, interessierte, lebensfrohe und zielstrebige Magersüchtige zum Beispiel bessere Aussichten auf eine Heilung als eher introvertierte und depressiv wirkende. Bei Magersüchtigen ist auch der Typus der Erkrankung relevant; "purging"-AnorektikerInnen zeigen im Großen und Ganzen einen schlechteren Genesungsverlauf als "restriktive".

 
 



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