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biologie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Anorexia nervosa



2.1. Definition >

Die Magersucht ist eine Essstörung, bei der die Betroffenen ein nicht dem Alter und der Statur entsprechendes minimales Körpergewicht anstreben. Dabei ist die Wahrnehmung von Figur, Gewicht und Aussehen häufig gestört und es besteht die Angst vor einer Gewichtszunahme. Die Gefahren, die sich aus dieser Situation ergeben, werden verleugnet. Hinzu kommt häufig eine soziale Isolation in Verbindung mit Depressionen.



Wörtlich übersetzt bedeutet Anorexia "Appetitlosigkeit", was eigentlich so nicht die richtige Bezeichnung für dieses Krankheitsbild ist, da nicht unbedingt der Appetit, sondern das Essverhalten gestört ist. Appetitlosigkeit ist entweder überhaupt nicht oder lange Zeit kein Symptom der Krankheit. Oft haben die Betroffenen ständig Appetit und auch Hunger, verleugnen dies aber und zwingen sich weiter zum Fasten. Der Zusatz "nervosa" weist auf die psychischen Ursachen der Essstörung hin. Die deutsche Bezeichnung Magersucht beschreibt das Krankheitsbild wohl besser, da die Betroffenen immer weiter abmagern und sämtliche Kriterien einer Suchterkrankung erfüllen.



2.2. Diagnosekriterien der Anorexia nervosa (DSM-IV-Kriterien):



Weigerung, das Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichts zu halten (z.B. der Gewichtsverlust führt dauerhaft zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts; oder das Ausbleiben einer während der Wachstumsperiode zu erwartenden Gewichtszunahme führt zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts).
Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden, trotz bestehenden Untergewichts.
Störungen in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts, übertriebener Einfluss des Körpergewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung, oder Leugnen des Schweregrades des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.
Bei postmenarchalen Frauen das vorliegen einer Amenorrhöe, d.h. das Ausbleiben von mindestens drei aufeinander folgenden Menstruationszyklen (Amenorrhöe wird auch dann angenommen, wenn bei einer Frau die Periode nur nach Verabreichung von Hormonen, z.B. Östrogen, eintritt).




2.3. Bestimmung des Typus:



Restriktiver Typus (asketischer Magersuchttyp): Während der aktuellen Episode der Anorexia nervosa hat die Person keine regelmäßigen "Fressanfälle" gehabt oder hat kein "Purging"-Verhalten (d.h. selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.



"Binge-Eating/Purging"-Typus (bulimischer Magersuchttyp): Während der aktuellen Episode der Anorexia nervosa hat die Person regelmäßig Fressanfälle gehabt und hat "Purging"-Verhalten (d.h. selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.





2.4. Häufigkeit



Ca.1% der Frauen bzw. Mädchen im Alter von 15 bis 25 Jahren soll betroffen sein.

Anorexia nervosa tritt zu rund 95% bei Mädchen und Frauen auf; der Prozentsatz der jungen Männer wird jedoch steigen. Meist liegt der Beginn der Krankheit zwischen dem 13. und dem 20. Lebensjahr. Die Letalität wird mit 5-18% angegeben.



2.5. Verlauf der Krankheit



Zu Beginn der Krankheit steht häufig eine Diät oder zumindest der Vorsatz, etwas abzunehmen; daran ist jedoch nichts Außergewöhnliches festzustellen. In der Pubertät beginnen viele Mädchen mit Diäten zu experimentieren, die meisten hören wieder auf zu fasten, wenn sie ihr gewünschtes Ziel erreicht haben. Manche jedoch hungern weiter und stecken sich ein immer tieferes Gewichtsziel. Die Grenze zur Magersucht ist überschritten. Es verändern sich sowohl die Verhaltensweisen bei der Gewichtsabnahme, als auch die Motive. Die Waage wird zur beherrschenden Instanz, sie entscheidet über Erfolg oder Misserfolg, über Freude oder Enttäuschung. Es geht längst nicht mehr darum, das Idealgewicht zu erreichen (das ist schon unterschritten), sondern Abnehmen wird mit persönlicher Leistung gleichgesetzt.

Dabei gibt es die verschiedensten Praktiken: Manche bevorzugen Diätvorschriften aus Zeitschriften (die meist noch reduziert werden), manche stellen sich ihren persönlichen Plan auf. Häufig werden Mahlzeiten ausgelassen oder durch Obst ersetzt. Die Lebensmittel werden meist in zwei Gruppen eingeteilt : "erlaubte" und "verbotene", wobei die Gruppe der erlaubten natürlich nur aus kalorienarmen Lebensmitteln besteht und im Laufe der Zeit immer kleiner wird. Auch die täglich erlaubte Kalorienmenge wird ständig reduziert, es darf nie mehr gegessen werden als am Vortag.

Manche Magersüchtige betreiben exzessiv Sport, um zusätzlich Kalorien zu verbrennen. Auch hier gilt: Die Vortagsleistung muss zumindest erreicht, besser noch überschritten werden. Aus dem gleichen Grund werden normalerweise sitzende Tätigkeiten im Stehen ausgeübt und Schlaf wird auf ein Minimum reduziert. Außerdem trinken die meisten Unmengen Wasser, nicht nur, um verlorene Flüssigkeit wieder zuzuführen, sondern auch, um das Hungergefühl einzudämmen. Auch andere kalorienfreie Getränke, wie z.B. Tee oder Kaffee, natürlich höchstens mit Süßstoff gesüßt, sind beliebt.

Manche wollen ihr niedriges Gewicht halten, essen jedoch lieber etwas weniger und nehmen ein bisschen ab, als dass sie etwas mehr essen und es riskieren zuzunehmen. Davor haben sie so große Angst, dass sie sich sozusagen eine "Negativreserve" anlegen wollen, welche so beträchtliche Ausmaße annehmen kann, dass nach unten hin kein Limit mehr erkenntlich ist.

Trotz des bestehenden Untergewichts sehen sich die Betroffenen jedoch nicht als dünn - im Gegenteil: sie fühlen sich weiterhin zu dick.



2.6. Verhalten gegenüber Angehörigen



Zu Beginn sind die meisten Betroffenen noch stolz auf ihren Gewichtsverlust, tragen anliegende Kleidung und bekommen meist auch Komplimente zu ihrer schlanken Figur. Wenn sie dann aber so dünn sind, dass die Angehörigen beginnen, sich Sorgen zu machen, kaschieren sie ihre Figur lieber mit weiteren Kleidungsstücken oder durch mehrere Schichten.

Gemeinsame Mahlzeiten werden zum größten Teil gemieden; es wird dann einfach behauptet, auswärts schon gegessen zu haben. Manche genießen es jedoch, am Tisch der Familie zu sitzen und zuzusehen, wie gierig die anderen das Essen verschlingen, während sie selbst mehr damit spielen. Sie brauchen ewig um ihr Essen zu präparieren, es zu zerkleinern, zu würzen und eventuell vorhandenes Fett zu entfernen.

Auf diese Weise "essen" Magersüchtige zwar gleich lang wie der Rest der Familie, nehmen jedoch nur einen Bruchteil der Nahrungsmenge zu sich.

Häufig vertreiben magersüchtige Mädchen die Mutter aus der Küche. Sie erledigen die Einkäufe, kochen und bestimmen so den Kaloriengehalt der Speisen, die auf den Tisch kommen. Dabei wird das Essen der Angehörigen nicht selten mit Fett und Kohlenhydraten angereichert, während die eigene kleine Portion ohne ein Gramm Fett zubereitet wird.

Essen ist kein unangenehmes Gesprächsthema für sie, sie können sich ständig darüber unterhalten, solange es nicht um ihre eigene Ernährung geht.



2.7. Persönlichkeit



Vor Ausbruch der Magersucht war die Betroffene meist ein "pflegeleichtes Vorzeigekind" mit anständigem Benehmen und glänzenden Schulnoten. Oft konzentrierten sich die Bedürfnisse und Wünsche der Eltern auf sie, die dem Druck irgendwann nicht mehr gewachsen war. Sie suchte immer nur Lob und Bewunderung, Schwächen und Ängste gab sie vor anderen niemals zu.



Magersüchtige zeichnen sich meist durch eine außerordentliche Hartnäckigkeit und Ehrgeiz aus. Sie sind sehr leistungsorientiert, fleißig, gewissenhaft, angepasst und nach außen hin sehr bescheiden. Sie sind meist überdurchschnittlich intelligent und erfolgreich in der Schule; für gewöhnlich sind sie aktiv und voller Tatendrang.

Sie sind sehr darum bemüht, den ganzen Tag über nur Sinnvolles zu tun und gönnen sich kaum eine Pause. Sie können jedoch hin und wieder in eine depressive Stimmung verfallen.



Es besteht eine gestörte Körperwahrnehmung. Selbst- und Fremdeinschätzung klaffen dabei sehr weit auseinander; d.h. Magersüchtige sehen sich selbst immer noch dick, wenn sie in Wirklichkeit schon extrem abgemagert sind. Mit der Störung des Körperbildes geht auch die Fehlwahrnehmung von Körpersignalen einher. Hunger wird solange geleugnet, bis er nicht mehr als solcher wahrgenommen wird und es somit zum Verlust der Fähigkeit, Körperreize wahrzunehmen, kommt.



Magersüchtige waren meist schon vor Beginn der Krankheit eher introvertierte Personen, dies wird im Verlauf der Krankheit noch zusätzlich verstärkt. Da die Gedanken ständig ums Essen und Nichtessen kreisen, ist die Beschäftigung mit etwas bzw. jemand anderem sehr schwierig. Sie verlieren immer mehr das Interesse an sozialen Kontakten und ziehen sich in ihre eigene Welt zurück. In ihrer sozialen Isolation ist Rivalität häufig die einzige Form von Beziehung zu anderen Menschen. Magersüchtige haben nämlich ein sehr stark ausgeprägtes Konkurrenzdenken und vergleichen sich ständig mit anderen.



2.8. Funktion der Magersucht



Krankheit assoziieren wir für gewöhnlich mit durchwegs Negativem, während anorektische Patienten ihre Essstörung als etwas durchaus Positives bezeichnen. Abgesehen davon, dass sie nicht nur die negativen Seiten, sondern ihr Kranksein an sich leugnen, ist es für ein Verständnis der Essstörung unumgänglich, auch die positiven Aspekte dieser Krankheit zu akzeptieren.

Am Anfang steht meist ein Schönheitsideal, das mit Schlanksein gleichgesetzt wird, dies kann jedoch kaum der einzige Grund einer so komplexen Krankheit sein.

Viele finden in ihrer Magersucht Selbstbestätigung; das Abnehmen ist eine messbare Leistung, die ihnen die Waage täglich anzeigt. Sie brauchen diesen Leistungsbeweis, um ihr niedriges Selbstwertgefühl zu heben.

Magersucht bedeutet auch absolute Kontrolle, Magersüchtige sind stolz darauf, ihre Triebe unterdrücken zu können.

Auch die Sorge der Eltern kann eine wichtige Rolle spielen. Die Tochter will wahrgenommen und akzeptiert werden, die Eltern sollen nicht nur ihre Noten bzw. Intelligenz sehen, sondern auch ihr Inneres.

Manche wollen absichtlich das Bild der idealen Tochter zerstören, sie wollen nicht mehr perfekt funktionieren und immer nur den Erwartungen anderer entsprechen.

Für andere ist jedoch genau die Meinung anderer ausschlaggebend, sie hungern nach Anerkennung, wobei sie Sorge mit wirklicher Zuwendung verwechseln.

Vielen gibt die Magersucht auch das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, das sie von den anderen abhebt. Sie haben Angst, in der breiten Masse unterzugehen, wenn sie die Krankheit aufgeben.

Oft ist die Magersucht ein Versuch, auf einem außerschulischen Gebiet etwas zu beweisen; viele wollen die "Beste" im Hungern bzw. die "Dünnste" werden, denn Hungern-Können bedeutet Stärke und einen starken Willen.

Außerdem verleiht die Magersucht unheimliche Macht. Viele genießen es, dass sie ihre Eltern in der Hand haben, diese ihnen alle Wünsche erfüllen und ihre Ansprüche zurückschrauben.

Die Magersucht übernimmt auch diverse Alibifunktionen; sie ist eine Entschuldigung für Versagen und wertet zugleich erbrachte Leistungen auf. Gleichzeitig kann sie als Alibi für Unglücklichsein verwendet werden, denn eigentlich sollte die Magersüchtige aufgrund ihrer harmonischen Familiensituation glücklich sein.

Manche wollen auch noch länger in dieser Familiensituation verharren, für sie übernimmt die Magersucht die Funktion des Aufschubs des Erwachsenwerdens. Nicht selten ist sie auch eine rebellische Antwort auf die verschiedenen Herausforderungen an die Frauen.

Für viele stellt die Magersucht angesichts der überfürsorglichen Mutter scheinbar die einzige Möglichkeit dar, sich innerhalb der Familie abzugrenzen. Sie ist ein Unabhängigkeitsbeweis, der jedoch noch größere Abhängigkeit verursacht.

Bei manchen wandelt sich das positive Gefühl der Stärke in Selbsthass, und zwar dann, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden konnten. Die logische Folge daraus ist Hungern: Eine bestimmte Leistung wurde nicht erbracht, also besteht auch kein Recht auf Nahrung.

Viel häufiger als diese zerstörerische Einstellung ist jedoch eine positive Sichtweise der Magersucht als gesamter Lebensinhalt, denn sie gibt Halt und Sicherheit. Auch wenn die Magersüchtige damit nicht gut lebt, so ist ihr die Magersuchtswelt wenigstens vertraut, während ihr das reale Leben schon längst fremd geworden ist.

 
 

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