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kunst artikel (Interpretation und charakterisierung)

Jasper johns im interview mit david sylvester









David Sylvester: Was hat Sie dazu veranlasst, Dinge wie Flaggen, Zielscheiben, Landkarten, Zahlen, Buchstaben und ähnliches als Ausgangspunkt zu benutzen?
Jasper Johns: Sie schienen mir vorgeformte, konventionsgebundene, entpersönlichte, faktische, äußere Elemente zu sein.

Und worin lag der Reiz von entpersönlichten Elementen?
Mich interessieren Dinge, die die Welt statt die Persönlichkeit evozieren. Mich interessieren Dinge, die Dinge evozieren, die es gibt, statt Werturteile. Der herkömmlichste Gegenstand, der allergewöhn¬lichste Gegenstand - es scheint mir, als könne man mit solchen Dingen umgehen, ohne sie bewerten zu müssen; sie scheinen mir als klare Fakten zu existieren und keine ästhetischen Hierarchien einzubeg¬reifen.

Wenn Sie mit einem alltäglichen Objekt, wie z.B. einer Flasche oder einem Brotlaib, beginnen würden, also wieder etwas, das eine herkömmliche und erkennbare Form hat - ich glaube, Sie sind dem am nächsten gekommen, als Sie einen Drahtbügel benutzten -, dann wäre dies ein anderer Weg, mit etwas Unpersönlichem und Äußerlichem und Faktischem umzugehen und es zu bearbeiten, weiterzutreiben und zum Verschwinden zu bringen. Aber Sie ziehen es vor, beispielsweise mit Ziffern, Buchstaben, Flaggen oder geometrischen Aufteilungen der Leinwand zu beginnen. Das ist doch eine Frage des Instinkts, keine Doktrin?
Oh gewiss, nur dass der Instinkt den Hang hat, Doktrin zu werden. Aber die Sachen sind sicher nicht im voraus so durchdacht worden. Sie sind einfach angefangen worden. Und man denkt auch daran, dass Dinge eine bestimmte Eigenschaft haben, und im Laufe der Zeit verändern sich diese Eigenschaften. Bei der Flagge zum Beispiel, da denkt man, sie hat 48 Sterne, und plötzlich hat sie 50 Sterne; dann ist sie nicht mehr sehr interessant. Die Coca-Cola-Flasche, die ein vollkommen gewöhnlicher, unverän¬derlicher Gegenstand in unserer Gesellschaft zu sein schien, tauchte vor einigen Jahren plötzlich als Literflasche auf: die kleine Flasche war vergrößert und zu einer sehr großen Flasche geworden, die äußerst seltsam aussah; nur der obere Teil der Flasche war immer noch genauso groß - es wurde noch der gleiche Kronenkorken verwendet. Die Taschenlampe: ich hatte eine bestimmte Vorstellung davon, wie eine Taschenlampe aussieht - dabei hatte ich wohl seit meiner Kindheit keine Taschenlampe mehr in der Hand gehabt -, und so hatte sich dieses Bild von einer Taschenlampe in meinem Kopf fest¬gesetzt, und ich wollte mir eine als Modell besorgen. Eine Woche lang suchte ich nach etwas, was mei¬ner Meinung nach wie eine gewöhnliche Taschenlampe aussah, und ich fand alle möglichen Arten von Taschenlampen, mit roten Plastikblenden, mit Seitenflügeln, mit allen möglichen Sachen, und schließlich fand ich, was ich wollte. Und so wurde ich gegenüber meiner Vorstellung sehr misstrauisch, weil es so schwer gewesen war, diesen Gegenstand zu finden, den ich für ganz gewöhnlich gehalten hatte. Und bei dieser alten Bierdose, die, wie ich dachte, ein Standardformat hatte und unveränderlich war, da ist vor nicht allzu langer Zeit das Design geändert worden.

Die Taschenlampe, die Sie wollten, war also eine ideale Taschenlampe, ohne besondere Auswüchse, eine Art universelle Taschenlampe, und in Wirklichkeit war sie seltsamerweise schwer auffindbar.
Ja, es stellt sich heraus, dass die Wahl eigentlich ziemlich persönlich ist und überhaupt nicht auf Beo¬bachtung beruht.

Aber wenn Sie erst einmal das Element haben, mit dem Sie anfangen, mit wie viel Vorsatz bearbeiten Sie es dann? Oder malen Sie einfach, bemalen es, übermalen es, und sehen, was passiert?
Ich halte es mir bei der Arbeit immer vor Augen, genug, damit es erkannt werden kann, wenn jemand die Arbeit betrachtet. Und während der Arbeit bin ich es, der sie betrachtet, und so arbeite ich damit so, dass ich es immer finden kann. Ich arbeite mit jedem Motiv so, dass vielleicht von Bild zu Bild mit, sagen wir, ähnlichen Motiven ein unterschiedlicher Blickwinkel nötig ist, um es zu finden, um das Mo¬tiv zu finden, aber ich glaube nicht, dass es jemals zweifelhaft ist, ob es da ist.

Aber sind Sie sich irgendeines Ziels bewusst, auf das Sie zusteuern, während sie daran arbeiten?
Ich mag jetzt etwas nachschwätzen, was ich von jemand anders gehört habe, aber ich glaube, ich ar¬beite, bis ich für eine bestimmte Sache keine Energie mehr habe. Ich kann dafür keine Energie mehr aufbieten, und dann höre ich auf.

Und dann hören Sie auf.
Aber wenn ein Bild fertig ist, dann langweilt es mich meist schon, es anzusehen.

Aber ist es fertig, weil es Sie langweilt, oder werden Sie manchmal auch fertig, bevor es Sie langweilt?
Ich glaube, normalerweise langweile ich mich, bevor ich fertig werde. Ich denke, das hat damit zu tun, dass ich in dem Bild nichts anderes mehr vorschlagen kann, dass ich keine Energie mehr habe, Dinge umzuarrangieren, keine Energie mehr, es anders zu sehen; und dann glaube ich, das Bild ist, wie es ist.

Untersuchen Sie also bei Ihrer Arbeit die verschiedenen Möglichkeiten, wie die Elemente, mit denen Sie angefangen haben, gesehen und nicht gesehen und halb gesehen werden können?
Das gehört sicher dazu. Ich würde zwar nicht sagen, dass das alles ist, aber es gehört sicher dazu. Ich glaube, meine Vorstellung ist die: Du malst etwas und du siehst es. Die Vorstellung eines \"Dings\", einer \"Sache\", eines \"Es\" kann allerdings großen Veränderungen unterworfen sein, so dass wir in eine be¬stimmte Richtung blicken und eine Sache sehen und in eine andere Richtung blicken und eine andere Sache sehen. So dass das, was wir als \"Sache\" oder \"Ding\" bezeichnen, sehr flüchtig und sehr veränder¬lich ist und die Anordnung von Elementen vor uns sowie die Anordnung unserer Sinne in dem Augen¬blick, wo wir dieser Sache begegnen, mit einschließt. Außerdem schließt es mit ein, wie wir unsere Augen einstellen, was wir als vorhanden zu akzeptieren gewillt sind. Während ich an einem Bild ar¬beite, interessieren mich all diese Dinge. Während ich einer Sache eine bestimmte Gestalt gebe, neige ich dazu, mich davon wegzubewegen, hin zu einer anderen Möglichkeit innerhalb des Bildes, glaube ich. Jedenfalls wäre das mein Ziel; ob ich es erreiche, weiß ich nicht. Und mein Arbeitsprozess schließt diese indirekte, unverankerte Betrachtungsweise dessen, was ich tue, mit ein.

Jeder neue Impuls wird natürlich durch das bestimmt, was schon auf der Leinwand ist; wodurch wird er noch bestimmt?
Durch das, was nicht auf der Leinwand ist.

Aber es gibt sehr viele Möglichkeiten, was auf die Leinwand kommen könnte.
Das stimmt, aber das Denken, allein der Denkprozess selbst, schließt viele Möglichkeiten aus. Und der Sehprozess schließt viele Möglichkeiten aus, denn beim Sehen sehen wir jeden Augenblick das, was wir sehen, und in einem anderen Augenblick sehen wir vielleicht anders. In keinem Augenblick kann man alle Möglichkeiten sehen. Und man verfährt, wie man verfährt, man tut etwas und dann tut man etwas anderes.

Aber die Bildzeichen, die Sie setzen, werden nicht automatisch gesetzt? Aber wie werden sie dann ge¬setzt? Genau das wüsste ich gern. Sind Sie sich der verschiedenen Art und Weise, auf die Sie sie setzen, bewusst?
Manchmal ja. Manchmal bin ich mir bewusst, ein Bildzeichen irgendwie zweckgerichtet zu setzen, auf¬grund einer Idee, auf die mich das Bild gebracht hat. Manchmal bin ich mir bewusst, ein Bildzeichen zu setzen, um das zu ändern, was mir das Hauptanliegen des Bildes zu sein scheint, um es zu zwingen, an¬ders zu sein, um es zu verstärken, um es abzuschwächen, im rein akademischen Sinne. Manchmal versu¬che ich, etwas zu machen, was nun wirklich nicht ins Bild zu gehören scheint, damit sich das Bild nicht ganz so logisch von da weiterentwickelt, wo es gerade ist, sondern sich woandershin entwickelt. Es gibt Augenblicke, wo eine Konfiguration von Zeichen auf der Leinwand vielleicht eine bestimmte Art von Organisation oder eine bestimmte Art von akademischer Idee oder eine bestimmte Art von emotio¬naler Vorstellung oder irgend so etwas nahe legt. Und in diesem Augenblick kann man sich dann zwi¬schen zwei Möglichkeiten entscheiden: sie zu verstärken, indem man alles in seiner Kraft liegende tut, um sie zu unterstützen, oder sie zu leugnen, indem man ein Element einführt, das in diese Situation nicht hineingehört, und dann von dort aus zu einer größeren Komplexität vorzudringen.

Es ist Ihnen also bewusst, dass das Bild eine bestimmte dominante emotionale Idee übernommen hat?
Emotional oder visuell oder technisch - man kann seine Aufmerksamkeit auf jede Art von Idee rich¬ten; wahrscheinlich ist es eine Idee: es ist ein Vorschlag.

Ist Ihnen bewusst, dass das Bild eine bestimmte Stimmung haben kann?
Gewiss.

Ist das oft eine Stimmung, die Sie ihm von vornherein verleihen wollten oder hat sie sich einfach so ergeben?
Ich glaube, in meinen Bildern hat sie sich ergeben, denn ich bin nicht an irgendeiner bestimmten Stimmung interessiert. Verstandesmäßig wäre es mir am liebsten, wenn die Stimmung die wäre, dass man die Augen offenhält und schaut, ohne sich auf etwas zu konzentrieren, ohne irgendeinen begrenz¬ten Blickwinkel. Ich glaube, wenn Bilder fertig sind, neigen sie dazu, eine bestimmte Eigenschaft anzu¬nehmen. Das ist einer der Gründe, dass sie fertig sind, denn alles hat sich in diese Richtung entwickelt, und es gibt kein Zurück. Die Energie, die Logik, alles, was du tust, nimmt bei der Arbeit eine Form an; die Energie lässt gewöhnlich nach, die Form erfüllt sich gewöhnlich oder wird endgültig festgelegt. Und dann ist es entweder das, was man beabsichtigt hatte (oder womit man sich zufriedengibt), oder man war in einen Prozess verwickelt, der sich auf eine Art und Weise entfaltete, die man vielleicht nicht angestrebt hatte, der jedoch so gründlich vollzogen worden ist, dass es aus dieser Situation kein Zurück mehr gibt. Du musst diese Situation so belassen, wie sie ist, und dann mit etwas anderem fort¬fahren, neu anfangen, eine neue Arbeit beginnen.

 
 

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