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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Modernisierung der japanischen stadt



In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden die japanischen Bemühungen, es den westlichen Industrieländern gleichzutun, auch in architektonischen und städtebaulichen Formen Ausdruck. Die Einführung des Berufsfeldes Architekt und die Idee der modernen Stadt mußten erst einmal Eingang in das japanische Denken finden. Um westliche Ideen der Stadt zu beschreiben, wurde in der frühen Meiji-Zeit das Wort toshi (Stadt) geprägt. Erst 1919 anläßlich seiner Verwendung im Stadtplanungsgesetz wurde der Begriff toshi offizieller Bestandteil der Verwaltungssprache. Gleichzeitig entwickelte sich toshi keikaku (Stadtplanung) zu einem Synonym für die zentral gesteuerte, großräumige Planung von Expertenhand, die sich in erster Linie auf die Gestaltung der Infrastruktur und der sogenannten städtischen "Hardware\" konzentrierte.



Lebensumfeld und Referenz für die Bevölkerung ist jedoch weniger die Stadt als baulich definiertes Ensemble, sondern vielmehr die Nachbarschaft als soziale Einheit. Der Begriff machi (oder chô) besitzt - im Gegensatz zu toshi - eine lange Geschichte. Die Begriffe machi und chô wurden über die Jahrhunderte mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: Sie stehen für eine spezialisierte Stadt - etwa eine Poststation oder eine Tempelstadt - ebenso wie für einen städtischen Bezirk oder eine Nachbarschaft. Diese Einheiten besaßen eine gewissen Autonomie. Ihre Form hat sich über die Jahrhunderte gewandelt, vielfach bestanden sie jedoch aus zwei gegenüberliegenden Straßenfronten, die durch Tore begrenzt waren. Die dazwischenliegende Straße fungierte als nachbarschaftliches "Wohnzimmer\". Im Unterschied zu europäischen oder amerikanischen Städten sind Straßen in Japan auch heute nur im Ausnahmefall Teil einer durchgehenden Infrastruktur.



Die Anlage der Stadt in großmaßstäbliche und kleinteilige Bereiche, wie sie in dem Begriffspaar für Stadt - toshi und machi - ausgedrückt wird, fand sich bereits in der Struktur von Edo, wie Tokio vor der Meiji-Restauration von 1868 hieß. Edo bestand aus unterschiedlichen Bezirken, zum einen aus den Bereichen für die Aristokratie der Militärkaste auf den hochgelegenen yamanote-Gebieten (Oberstadt) und zum anderen aus den kleinteilig parzellierten shitamachi-Wohnvierteln (Unterstadt) der Stadtbevölkerung in den tiefer gelegenen Bereichen. Diese städtische Gliederung bot nach der Meiji-Restauration den Ausgangspunkt für die Modernisierung Japans. Mit der Entmachtung der Militärkaste gingen große Teile ihres Landbesitzes in den Besitz der Meiji-Regierung über. Diese ausgedehnten Flächen boten Platz für neue Funktionen und Großbauten, die mit der Modernisierung des Landes notwendig wurden, für Ministerien und andere Verwaltungen ebenso wie für neue Industrien und Infrastrukturen.



Trotz großflächiger Zerstörungen durch das Kanto-Erdbeben von 1923 und den Zweiten Weltkrieg blieb die grundlegende Struktur von Tokio erhalten. Visionen für großräumige Umstrukturierungen bestanden zwar, konnten aber nicht durchgesetzt werden. Obwohl 1945 die hölzernen Bauten weitgehend abgebrannt waren und nur noch die Schlote der öffentlichen Bäder und die Umgrenzungsmauern der Grundstücke standen, folgte der Wiederaufbau in der alten Kleinteiligkeit. Ursachen dafür waren sowohl der Wohnungsmangel und die Notwendigkeit eines schnellen Wiederaufbaus, als auch der extrem kleinteilige Grundbesitz und die Vielzahl von Landrechten, die oft an eine Parzelle gebunden waren und eine Enteignung erschwerten.



Als zentrales Instrument der Stadtplanung entwickelte sich daher die japanische Form der Landumlegung (kukakuseiri). Die Parzellen in einem Gebiet werden dabei so verschoben und geformt, daß durch Landabgaben Straßen und öffentliche Flächen sowie Baugrundstücke von angemessenem Zuschnitt geschaffen werden. Dieses Verfahren verzichtet auf kostspielige, großflächige Enteignungen und ist daher für die japanische Kultur des privaten Grundbesitzes besonders geeignet. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem japanischen Vorgehen und den Stadtumgestaltungen nach dem Haussmann\'schen Vorbild liegt in der Gestaltung der an die Straße grenzenden Grundstücke. Im Unterschied zu den Pariser Boulevards wurden die Straßenrandparzellen in Tokio selten zusammengelegt, und anstelle von Appartementhäusern entstanden am Rand der neuen Tokioter Boulevards die sogenannten "Pencil Buildings\", zeitgemäße hohe Gebäude auf schmalen Grundstücken. Nach der Aufhebung der Bauhöhenbegrenzung von 31 Metern im Jahre 1963 sind viele dieser Bauten weiter gewachsen: Wenn die Geschoßflächenzahl es erlaubt, recken sich 10- bis 15-geschossige Gebäude in den Himmel, deren Fassaden oft nicht breiter als die obligatorischen Feuertreppen sind.



Der Wirtschaftsboom der sechziger Jahre verstärkte die Verstädterung und Verdichtung in Tokio und anderen japanischen Städten. Neue Flächen mußten für den Bau großer Infrastrukturmaßnahmen, wie z.B. für die Stadtautobahnen, gefunden werden. Da Enteignungen meist zu kostspielig und langwierig waren, wurden die Autobahnen über die Kanäle der ehemals wasserreichen Stadt Tokio gebaut: Die neuen Stadtautobahnen ersetzten somit die alten Wasserwege durch neue Verkehrsstraßen, ohne aber grundlegend in den Grundriß der Stadt einzugreifen.



Auch die Ausbreitung der Stadt jenseits der yamanote-Gebiete führte nicht zu großflächigen Projekten. Die vormals landwirtschaftlich genutzten, großen Flächen wurden von privaten Investoren aus Spekulationsgründen so kleinteilig wie möglich unterteilt. Schmale Wege, oft nur 2,50 Meter breit, erschlossen die Blockinnenbereiche, auf denen einfache Holzbauten erstellt wurden. Die Modernisierung der japanischen Stadt konzentrierte sich auf Gebiete, die für Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung von Bedeutung waren. Großflächige Umgestaltungen zum Bau überregionaler Infrastrukturen, von Bahnhofsplätzen, Geschäfts- oder Einkaufszentren fanden daher nur an gesamtstädtisch bedeutenden Stellen statt. Die Erneuerung der traditionellen Nachbarschaften mit ihren winzigen Häusern wurde dabei zurückgestellt. Dennoch bildet die Nachbarschaft nach wie vor den Hintergrund für das Wohnen in der japanischen Stadt, deren unendliches Häusermeer sich als weltgrößte urbane Agglomeration von Tokio über Osaka bis Kobe nahtlos ausdehnt.

 
 

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