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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Judentum-



[hebr. Jehudi, »Bewohner Judas«, grch. Judaios, lat. Judaeus], ursprünglich das nach dem Stamm u. späteren Königreich Juda in Palästina benannte Volk, später nach der Zerstreuung ausgedehnt auf alle, die ihre Herkunft auf das Volk Israel zurückführten u. sich aufgrund der jüdischen Glaubensgemeinschaft ein gewisses Maß an gemeinsamem Brauchtum bewahrten. Nach jüd. Tradition gilt als Jude, wer von einer jüd. Mutter geboren wurde oder zum Judentum übergetreten ist. In Israel dient diese Definition zur Feststellung der jüd. Nationalität. Anthropolog. ursprüngl. zu den Orientaliden u. Armeniden gehörig, hat dieses Volkstum im Lauf der Jahrhunderte Beimischungen aller rass. Bestandteile der europ. Völker in sich aufgenommen, im nordafrikan.-südwestasiat. Raum auch negride. Unter den europ. J. unterscheidet man zwei Gruppen: die Sephardim oder spaniolischen J. (Spaniolen) u. die Aschkenasim oder mittel- bzw. osteurop. J. In Israel werden als Sephardim die J. orientalischer Herkunft bezeichnet.

Die Zahl der J. auf der Erde betrug 1933 rd. 16 Mill., ging durch die nat.-soz. Verfolgungen (rd. 6 Mill. Ermordete) bis 1947 auf 11,3 Mill. zurück u. stieg bis 1980 wieder auf 14,65 Mill. an. In Dtschld. lebten 1925 rd. 565 000 J. Nach 1933 verließen 295 000 J. Dtschld. wegen der nat.-soz. J.verfolgungen. 3,5 Mill. J. aus fast allen Teilen der Welt haben sich in Israel eine neue Heimat geschaffen (hier Israeli genannt).

Die Frühzeit: Wahrscheinlich faßten seit dem 17. Jh. v. Chr. einzelne Sippen u. Stämme aus den Wüstenrandgebieten im unbesiedelten Bergland des »Landes Kanaan« Fuß, dessen städt. Bevölkerung, im Schnittpunkt der großen Mächte u. Kulturen am Nil u. im Zweistromland, bereits ein hohes kulturelles Niveau aufwies. In der Auseinandersetzung mit diesen »Kanaanäern« schlossen sich die zugezogenen Sippen enger zusammen. In Südpalästina entstand ein Verband mit dem Stamm Juda als Kern, in Mittelpalästina bildete sich ein Kristallisationszentrum für die Nordstämme. Am Ende des 11. Jh. v. Chr. schloß sich der Großteil der Stämme unter Saul gegen den Angriff der Philister zusammen, unterlag aber schließlich, u. Saul fiel im Kampf.

Für die Religion des späteren Judentums waren Erfahrungen u. Traditionen aus dieser Frühzeit grundlegend, freilich in einer neu gedeuteten Form, als Geschichte eines Zwölfstämmebundes mit einheitl. Kult.

Die Zeit des geeinten Reiches: Die polit. Lage im Vorderen Orient erlaubte im 10. Jh. das Aufkommen regionaler Machtgebilde im syrisch-palästin. Raum. Während die Philister sich an der Südküste halten konnten u. die nördl. Küste von den phönizischen Stadtstaaten beherrscht wurde, wuchs im Nordwesten mit dem Zentrum Damaskus ein aramäischer Staat heran u. südlich davon das Reich Israel. Dessen Aufstieg begann mit der Wahl Davids zum König von Juda mit der Hauptstadt Hebron. Im Norden herrschte ein Sohn Sauls, er wurde aber ermordet, worauf auch die Nordstämme David als König anerkannten. Residenz der geeinten Reiche wurde Jerusalem. Der neue polit. Machthorizont bestimmte auch den Anspruch des Nationalgottes Jahwe, der endgültig an die Stelle des kananäischen Göttervaters u. Weltschöpfers El trat.

Unter Davids Sohn Salomo (972–932 v. Chr.?) festigte eine kluge Diplomatie u. Heiratspolitik den außenpolit. Status. Intern wurde ein Verwaltungsnetz mit Provinzzentren u. befestigten Garnisonen aufgebaut. Salomo ließ am Zionsberg einen Palast u. einen Tempel nach syro-phönizischen Vorbildern errichten.

Die Zeit der geteilten Reiche Israel und Juda: Die davidische Dynastiebildung stand im Widerspruch zur Tradition von den charismat. »Richtern«. Dies u. die wachsende Unzufriedenheit vor allem der Nordstämme über die aufgekommenen Steuer- u. Fronlasten führten ca. 932 v. Chr. unter Rehabeam zum Bruch. Die Nordstämme wählten Jerobeam I. (932/31–911/10 v. Chr.) zum König, der eigene staatl. Kultzentren in Bethel u. Dan einrichtete. Bis auf eine kurze Unterbrechung unter der Usurpatorin Atalja (842/41–837/36 v. Chr.) blieb Juda davidisch regiert, während es im Nordreich nur vorübergehend Ansätze zur Dynastiebildung gab.

722/21 v. Chr. wurde das Gebiet der Nordstämme assyrische Provinz, u. ein Teil der Oberschicht wurde deportiert. König Ahas von Juda unterwarf sich Assyrien u. entging so 722 v. Chr. dem Schicksal des Nordreichs.
Der Untergang des Nordreichs stärkte die Position der david. Dynastie u. die Jerusalemer Tradition, alsbald wurde »Israel« auch in Juda als Selbstbezeichnung verwendet. Während des folgenden Jahrhunderts blieb Juda in unterschiedl. Grade von Assyrien abhängig. 597 v. Chr. eroberte der Babylonier Nebukadnezar Juda. 587/86 v. Chr. wurde Jerusalem samt dem Tempel von den Babyloniern zerstört, die Ober- u. Mittelschicht deportiert u. das Reich Juda aufgelöst.


Exil u. persische Periode: Die Deportierten wurden in Babylonien geschlossen angesiedelt. Der Perserkönig Kyros eroberte Babylonien, gestattete 538 v. Chr. den Deportierten die Heimkehr u. ordnete die Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels u. Kults an. Der Hohepriester an der Spitze einer privilegierten Priesterschaft wurde die dominierende Instanz im kleinen Tempelstaat, der nur Jerusalem u. Umgebung umfaßte. Die Heimkehrer ließen die Altjudäer u. Altisraeliten zur Kultgemeinde nur zu, soweit sie sich ihren religiösen Ansichten u. Praktiken fügten. Gegen den Widerstand dieser Gruppen wurde die Neukonstituierung der Gemeinde von Esra u. Nehemia (um 445–430 v. Chr.) durchgesetzt. Sabbat-Heiligung, Beachtung ritueller Reinheitsregeln u. die strikte Ablieferung der kultischen Abgaben wurden streng überwacht.


Hellenistische Oberherrschaft: Alexander d. Gr. (332 v. Chr.) u. die Diadochen bestätigten den Status des Tempelstaates, der dann zwischen Ptolemäern (Ägypten) u. Seleukiden (Syrien) lange strittig blieb, bis 198 v. Chr. die Seleukiden das Gebiet übernahmen. Von einer hellenisierenden Richtung wurde ein synkretist. Kult eingeführt, der Tempel erschien den Traditionstreuen als entweiht, die Endzeit nahe, u. daher verschärfte sich auch der Widerstand in der Erwartung der kommenden Gottesherrschaft. Organisatoren des Widerstandes waren die Söhne des Hasmonäers Mattathias (die »Makkabäer«). Judas Makkabäus gelang 164 v. Chr. die Eroberung Jerusalems u. die Wiedereinweihung des Tempels. Er fiel 160 v. Chr. bei Elasa. Jonatan Makkabäus nützte die seleukidischen Thronfolgestreitigkeiten aus u. wurde 152/51 v. Chr. zum Hohepriester u. seleukid. Feldherrn ernannt, fiel aber 142 v. Chr. selber einem Thronprätendenten zum Opfer. Simon Makkabäus (12-137 v. Chr.) nahm die syrische Burg (Akra) von Jerusalem ein u. erreichte 141/40 v. chr. die volle Unabhängigkeit; eine Volksversammlung sprach ihm die erbl. Würde des Fürsten, Feldherrn u. Hohepriesters zu. Er u. Johannes Hyrkan (134–104 v. Chr.) betrieben zwar eine gezielte Expansions- u. Judaisierungspolitik, doch die Opposition wuchs. Eine priesterlich geführte Gruppe, die Sadduzäer, vertrat die Interessen der Oberschicht, mit ihnen kooperierten Johannes Hyrkan u. seine Nachfolger. Unterschiedlichste Gruppierungen erwarteten die nahe Gottesherrschaft. Eine vermittelnde Position nahmen die polit. aktiven Pharisäer ein. In der Harmonäerdynastie kam es zu Bruderkämpfen. Hohepriester Hyrkan II. focht mit den Pharisäern gegen Aristobul II.

Dies veranlaßte Pompeius 63 v. Chr. zum Einmarsch in Judäa u. zur Eroberung Jerusalems.
Hyrkan II. wurde als Hohepriester u. Ethnarch anerkannt, die tatsächl. Macht lag beim romergebenen idumäischen Heerführer Antipas u. dessen Söhnen. Herodes d. Gr. (37–4 v. Chr.) eroberte innerhalb dreier Jahre ein Reich von davidischen Ausmaßen.



Die griechisch-sprachige Diaspora: Seit frühhellenistischer Zeit siedelten zahlreiche J. in Alexandria (2/3 der Bevölkerung), manche auch in den ägypt. Provinzen u. (später) in der Kyrenaika. Kleinere Niederlassungen entstanden im ganzen Mittelmeerraum. Diese westl. Diaspora sprach u. schrieb Griechisch. Auf der Rechtsbasis, die die Diadochen geschaffen hatten, bildeten die jüd. Niederlassungen autonome Verwaltungseinheiten. Bedeutsam war die im 3./2. Jh. v. Chr. in Alexandria entstandene griech. Bibelübersetzung (»Septuaginta«), die bibl. Inhalte auch Nichtjuden bekannt machte. Gegen Ende der Antike kehrte das westl. Judentum zum Hebräischen zurück u. nahm die palästin.-babylon. Tradition der Rabbinen an.


Die römische Herrschaft: Nach dem Tod Herodes\' d. Gr. (4 v. Chr.) wurde sein Reich auf drei Söhne aufgeteilt: Archelaos erhielt als Ethnarch Judäa, Samaria u. Idumäa, Antipas (bis 39 n. Chr.) als Tetrarch Galiläa u. Peräa, Philippus die Gebiete im Nordosten. Archelaos wurde 6 n. Chr. abgesetzt, sein Gebiet als Teil der Provinz Syria einem Prokurator mit Sitz in Caesarea unterstellt. Die innerjüd. Belange wurden durch das Synhedrion (hebr. Sanhedrin) unter Vorsitz des Hohenpriesters geregelt. Das Hauptproblem war die Unvereinbarkeit zwischen radikal-jüd. Anspruch auf Gottesherrschaft u. dem Anspruch des röm. Imperiums. Als 66 n. Chr. in Caesarea Kämpfe zwischen J. u. Nichtjuden ausbrachen, flackerten im ganzen Land Unruhen auf. Ein verfrühter Siegestaumel zog auch die Gemäßigten (Pharisäer u. Sadduzäer) in den Krieg gegen Rom hinein. Vespasian begann mit der Rückeroberung, u. sein Sohn Titus führte den Feldzug zu Ende, der 70 n. Chr. in der Zerstörung Jerusalems u. des 2. Tempels gipfelte.

132 erhob sich in Judäa Bar Kochba mit erhebl. Anhang gegen Rom. 138 wurde der Aufstand niedergeschlagen. Die jüd. Bevölkerung Jerusalems wurde größtenteils vertrieben, für das Land die Bez. »Palästina« eingeführt.
Der Sieg des Christentums im 4. Jh. brachte für das Judentum eine zunehmende Einengung seiner bisherigen Rechte. Babylonien übernahm die Rolle des geistigen Zentrums der Judenheit; der babylon. Talmud erlangte überall autoritative Geltung.

Das Mittelalter: Die arab. Eroberungswelle seit 638 brachte den Orient, das südl. Mittelmeergebiet u. Spanien bis Südwestfrankreich in einen polit.-kulturellen Großraum mit einheitl. Sprache. Die Anhänger von »Buchreligionen« (Christen u. J.) wurden als Vertragsschützlinge der islam. Herrschaft unter bestimmten Auflagen geduldet. In Babylonien erkannten die Kalifen den Exilarchen als Oberhaupt der J. an. In Palästina durften J. wieder in Jerusalem siedeln, in Ägypten ließen sich palästin. wie babylon. J. nieder, manche erreichten über Nordafrika Spanien, wo zuvor unter westgotischer Herrschaft die J. schwer bedrängt worden waren. Es folgte das »goldene Zeitalter« des span. Judentums (Sephardim), eine Periode reicher, weltoffener Kultur, die mit dem Eindringen der fanatischen Berber aus Nordafrika u. mit der christl. Reconquista von Norden her endete.

Im Byzantin. Reich u. z. T. in Italien blieb die spätantike, durch christl. Gesetze stark eingeschränkte Rechtsbasis bestehen. Einzelne Herrscher verliehen jüd. Personen oder Gemeinden urkundlich fixierte Privilegien. Im Lauf der Zeit kam das (unter Friedrich II. 1240 abschließend definierte) Konzept der »Kammerknechtschaft« auf, nach dem die J. als Knechte u. Eigentum des christl. Herrschers galten, wohinter sich in erster Linie fiskal. Interessen verbargen. Ungünstig wirkte sich auch die kirchlich geforderte soziale Isolierung aus. Die meisten Gewerbe wurden den J. verschlossen, u. somit trat der Geldhandel in den Vordergrund. In Spanien gewährten christl. Herrscher während der Reconquista den J. noch manche Vorteile, doch im 14. Jh. setzte eine judenfeindl. Tendenz ein, u. 1492, nach dem Fall Granadas, wurde die Vertreibung der nicht bekehrungswilligen J. angeordnet. Portugal folgte 1497, die Provence 1500. Bereits zuvor waren 1290 alle J. aus England u. 1394 aus den Ländern der französ. Krone vertrieben worden. Im Heiligen Römischen Reich wechselte die Situation mit dem Zustand der Zentralgewalt, die immer öfter das Judenregal an Fürsten u. Städte verpfändete oder übertrug, so daß lokale u. regional begrenzte Vertreibungen u. Verfolgungen die Regel waren. Katastrophale Folgen hatten die Kreuzzüge, u. nach 1348 setzten mit der großen Pestepidemie verbreitete Verfolgungswellen ein, da den J. die Ursache (Brunnenvergiftung) zugeschrieben wurde. Viele J. zogen in der Folgezeit ostwärts, nach Polen u. Litauen, wo städt. Kolonisatoren gefragt waren u. annehmbare rechtl. Verhältnisse bestanden. Später nannte man den ganzen mittel- u. osteurop. Zweig des Judentums aschkenasisch.


Die Neuzeit bis zur Aufklärung: Die aus Spanien Vertriebenen zogen größtenteils ins Osmanische Reich. Palästina wurde erneut zu einem geistigen Zentrum des Gesamtjudentums, vor allem die Gelehrten von Safed (Galiläa) genossen weltweites Ansehen. Josef Karo (†1575) verfaßte den »Schulchan Aruch«, das maßgebl. Kompendium des jüd. Rechts u. Brauchtums, u. die großen Vertreter der späten Kabbala bestimmten von hier aus das religiöse Denken der ganzen Diaspora. Im 17./18. Jh. verlor das sephard. Judentum mit dem Niedergang des osman. Reiches rasch an Zahl u. Bedeutung.

Von den in Spanien u. Portugal Zwangsgetauften (»Marranen«) wanderten im 16.–18. Jh. manche aus. Die Reformation brachte in Mitteleuropa den J. keine Erleichterung. Vertreibungen u. Verfolgungen hielten an, dazu kam die teilweise Zwangs-Gettoisierung. Große Gemeinden gab es nur in Frankfurt a. M., Metz u. Prag. Das soziale u. kulturelle Niveau lag weit unter dem der Sephardim. Das zahlenmäßige u. gesetzesgelehrte Schwergewicht des Gesamtjudentums verlagerte sich schon im 16. Jh. nach Polen/Litauen, wo die städt. Kolonisten ihr mitteleurop. Judendeutsch beibehielten u. zum Jiddischen ausformten. Später spezialisierten sich diese auf die Vermittlung der landwirtschaftl. Produkte an die städt. Verbraucher, gründeten dörfl. Siedlungen (»Schtetl«) u. nahmen zahlenmäßig trotz sozialer Not rasch zu. Um die Mitte des 18. Jh. entstand hier die bald weitverzweigte Bewegung des osteuropäischen Chassidismus.


Aufklärung, Assimilation, Emanzipation: Nur wenige J. (Hoflieferanten, Großkaufleute, Ärzte) erreichten in jenen Jahrhunderten den Standard der gebildeten Umwelt, in der sich durch das neue Menschenbild der Aufklärung auch die Einstellung zu den J. (nicht unbedingt zum Judentum) wandelte. Joseph II. erließ ab 1781 für die Nichtkatholiken u. J. des Habsburgerreiches Toleranzedikte; dieses Modell fand rasch Nachahmer, wurde aber durch die Maßnahmen der Französ. Revolution radikal überholt. Die Gleichberechtigung verbreitete sich mit den napoleon. Eroberungen, doch um den Preis der nationalen Assimilation. Napoleon erreichte 1807 vom »Grand Sanhedrin« der J. Frankreichs das Bekenntnis zur französ. Nation. Danach lösten immer mehr J. die traditionelle Einheit von Volks- u. Religionszugehörigkeit auf u. verstanden sich als Angehörige ihrer bisherigen Gastnation, nur mit jüd. Konfession. Die meisten Staaten gewährten erst nach 1860 die volle Emanzipation, von liberalen, demokrat. Bewegungen getragen, durch konservative christliche u. nationalist. Kräfte bekämpft. Zu der Zeit war in Mittel- u. Westeuropa die kulturelle u. nationale Assimilation für die Mehrheit der J. bereits selbstverständlich.



In Dtschld., England u. in den USA kam es zur Gründung von Reformgemeinden neben der Orthodoxie. Im Gegenzug entstand eine »konservative« Richtung, die moderne Bildung u. Kultur mit einem möglichst hohen Maß von Tradition verbinden wollte. Kulturell dominierte bis in die 1920er Jahre das deutschsprachige Judentum mit seiner »Wissenschaft des Judentums«, doch in Frankreich, in England u. in den USA folgte rasch eine nicht minder effektive Assimilation. Freie Berufe u. bürgerlich-liberale Orientierung kennzeichneten dieses »Westjudentum«. Gerade in Dtschld. betonten manche J. in Abwehr antisemitischer Angriffe ihre nationale Assimilation, gegenüber dem aufkommenden Rassismus freilich vergeblich.

Im zarist. Rußland konnte die assimilationswillige jüd. Aufklärung, der starke othodoxe Kräfte gegenüberstanden, angesichts der antisemit. russisch-nationalist. Gegenkräfte ihre Zielsetzung, die Eingliederung der J. in eine moderne Gesellschaft, nicht mehr verständlich machen. Als 1880 lokale Ausschreitungen gegen J. von staatl. Instanzen geschürt u. gedeckt wurden, verzweifelten auch Aufklärer an einer Emanzipation der J. durch den nichtjüd. Staat. L. Pinsker forderte 1882 die nationale Selbstbefreiung (»Autoemanzipation«) auf eigenem Territorium, u. die ersten Siedler gingen nach Palästina.

Um die gleiche Zeit entstand in Osteuropa u. unter den immer zahlreicheren jüd. Auswanderern aus Osteuropa in England u. in den USA eine jüd. Arbeiterbewegung.
In den USA lebten um 1820 etwa 8000 J., um 1900 1 Mill., 1939 fast 5 Mill., hauptsächl. jiddischsprachige, aus Osteuropa zugewanderte J. meist in Großstädten u. sozial dem Proletariat zuzurechnen. Schon die zweite Generation rückte in die Mittelschicht auf, so daß im 20. Jh. das bürgerl. Lager bald überwog; zunächst kulturell mehr an den deutschsprachigen Einwanderern orientiert, mehr u. mehr mit diesen amerikanisiert. Binnen weniger Jahrzehnte entstand eine Anzahl wirksamer Organisationen, deren Gewicht im Weltjudentum mit ihrer Finanzkraft ständig wuchs.


Zionismus, Holocaust, Israel: Der Zionismus, die moderne Spielart eines territorial fixierten Nationalismus, wurde vom größten Teil der Orthodoxie, von allen bürgerl. »Konfessionsjuden« wie von jüd.-sozialist. Richtungen abgelehnt. Erst der anwachsende Nationalsozialismus u. die Gefährdung der J. Palästinas durch die arab. Gewaltausbrüche der 1930er Jahre führten über eine zunehmende praktisch-finanzielle schließlich zu einer auch ideolog. Unterstützung des Zionismus. Das Aufbauwerk in Palästina ((1) Israel) wurde vom sozialist. Pionier-Zionismus getragen; der »revisionistische Zionismus«, der die Religion im Sinne »völkischer« Ideologie als Lebensäußerung der Nation u. als polit. Instrument wertete, hatte lange keine Chance. Die religiöse Organisation des palästin. Judentums blieb aber trotz der ab 1920 unter dem brit. Völkerbundmandat erfolgreich ausgebauten jüd. Selbstverwaltung die nämliche orthodox beherrschte wie unter türkischer Herrschaft, u. so auch noch im Staat Israel.

Der rassistische Antisemitismus der dt. Nationalsozialisten verneinte die Möglichkeit einer Assimilation u. sah in den J. eine »minderwertige Rasse«. Sofort bei seinem Machtantritt 1933 leitete das Regime die diskriminierende Ausschaltung der J. im Deutschen Reich ein.
Boykottmaßnahmen u. offener Terror (»Kristallnacht« 9.11.1938) folgten. 1941 wurde die »Endlösung«, d. h. die Ermordung aller in dt. Machtbereich befindl. J., in Angriff genommen. Man schätzt, daß in den Lagern etwa 4 Mill., bei sog. Sondereinsätzen 1,5 Mill. J. umgebracht wurden.

1948 wurde der Staat (1) Israel gegründet. Die Namengebung knüpft sowohl an die bibl. Zeit wie an die traditionelle Selbstbezeichnung des Judentums an, um dieses insgesamt zu verpflichten.




Judentum
Judentum, Bez. für die Religion des ›Volkes Israel‹ sowie für die Gesamtheit derer, die ihr als ethn. und religiöse Gemeinschaft angehören.

Grundlehren
Der jüd. Glaube ist die älteste monotheist. Religion und Mutterreligion von Christentum und Islam. Religiöse Autorität beanspruchen allein die Thora und die Halacha. Dogmen kennt das Judentum nicht; jedoch können bestimmte Kriterien der Rechtgläubigkeit angegeben werden: das Bekenntnis zu Jahwe, die Anerkennung der Thora und die thoragemäße Verwirklichung des Gotteswillens (Orthopraxie). Die religöse Tradition erhebt den Anspruch, daß der einzige wahre Gott und Schöpfer der Welt (Jahwe), der sich in der Bibel geoffenbart hat, in Abraham das Volk Israel dazu auserwählt hat, den Glauben an den einen Gott in der Welt zu bekennen. Zeichen dieses ›Abraham-Bundes‹ ist die Beschneidung. Die Offenbarung des Gotteswillens durch Moses am Berg Horeb/Sinai in der Thora verpflichtete als konstitutiver Erwählungsakt das (Gottes)volk kollektiv zu religiöser und sozialer Solidarität. Um diesen Erwählungs- und Sendungsauftrag zu erfüllen, muß der Offenbarungsinhalt ›rein‹ bewahrt werden. Die deshalb nötige und für das J. schicksalhafte Abgrenzung wird durch zahlr. Vorschriften und Bräuche (v.)a. Speisevorschriften, Beschneidung, Sabbatfeier) garantiert. Im Zentrum der Religiosität steht also weniger das persönl. Heil des einzelnen als die Erfüllung des kollektiven Erwählungsauftrags bzw. die Verwirklichung der Gottesherrschaft.

Religiöses Leben
Nach rabbin. Tradition ist Jude, wer von einer jüd. Mutter abstammt oder nach orthodoxer Norm (›rite‹) zur jüd. Religion übergetreten ist. Ort gottesdienstl. Handelns sind häusl. Kreis und die Synagoge. Im Mittelpunkt des synagogalen Gottesdienstes steht die Lesung der Thora im jährl. Zyklus, die durch eine Prophetenlesung ergänzt wird. Die ältesten und wichtigsten Gebete sind das Schema Israel und das Schemone Esre. Zu einem Gottesdienst sind zehn religionsgesetzl. volljährige (nach abgeschlossenem 13. Lebensjahr) männl. Gemeindemitglieder nötig. Der Gottesdienst wird durch den Vorbeter (Chazzan) geleitet. Dem Rabbiner, dem Gesetzesgelehrten, sind keine bes. Funktionen im Gottesdienst vorbehalten; seine vornehmste Aufgabe ist es, in seiner Gemeinde religionsgesetzl. Fragen zu entscheiden. Der Gemeinde obliegt die Sorge für Gottesdienst und Religionsunterricht, Sozialfürsorge und die Aufgabe, daß denjenigen, die die Speisegesetze halten wollen, hierzu die Möglichkeit gegeben wird. Orthodoxe Gemeinden unterhalten das rituelle Bad (Mikwe) zur Befolgung der Reinheitsgebote. Höhepunkte des religiösen Lebens sind die Feste. Passah erinnert an den Auszug aus Ägypten, Schawuot an die Sinaioffenbarung, das Laubhüttenfest an den Aufbruch aus Ägypten, Chanukka an die Wiedereinweihung des Tempels und das Purimfest an die Rettung der pers. Juden. Jom Kippur ist als ›Versöhnungstag‹ Buße und Gebet gewidmet. (siehe Tabelle Judentum: Jüdische Festtage).

Geschichte
Frühzeit Israels: Israels Frühgeschichte ist nur begrenzt rekonstruierbar. Außerbibl. Quellen sind spärlich, die bibl. Texte (im AT) enthalten eher Geschichtsdeutung als zeitgenöss. Material. - Nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil setzten die Heimkehrer ihre Auffassung von Religion gegen die nicht deportierte und z.)T. mit Fremden vermischte Landesbevölkerung durch (diese gründete die Religionsgemeinschaft der Samaritaner) und orientierten sich streng an der Thora. Mittelpunkt wurde der wiederaufgebaute und 515 v.)Chr. vollendete (›zweite‹) Tempel in Jerusalem. Für einige Zeit erlangte Juda unter Führung der Makkabäer (Hasmonäer) auch polit. Souveränität (141 v.)Chr.). Als oberste polit. und religiöse autoritative jüd. Instanz wurde das Synedrium eingerichtet. Nach schweren inneren Kämpfen büßte die Makkabäerdynastie ihre polit. Macht ein. Pompejus eroberte 63 v.Chr. Jerusalem, und nach einer Übergangsphase etablierte sich Herodes)I., d.)Gr., als röm. Vasallenkönig (37-4 v.)Chr.). Der Kampf der Zeloten gegen die röm. Herrschaft führte 66 n.)Chr. zum 1. jüd. Krieg, den die Römer erst 70 mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels entscheiden konnten.
Talmud. Zeit (70 bis etwa 640): Nach der Niederlage von 70 organisierte sich das palästinens. J. neu. 132-135 kam es unter Bar Kochba noch einmal zu einer vergebl. Erhebung gegen Rom. Doch wurde dem J. eine Selbstverwaltung eingeräumt, bestehend aus dem rabbin. Synedrium unter Vorsitz des Nasi (Patriarch), des jüd. Oberhauptes im Röm. Reich. Um 200 entstand die Mischna. Die auf ihr aufbauende religionsgesetzl. Tradition fand im 5. und 6.)Jh. im Talmud ihren schriftl. Niederschlag. Mit seinen großen Talmudschulen übernahm vom späten 3.)Jh. an das babylon. J. für einige Jh. die Führungsrolle, der babylon. Talmud (um 600 abgeschlossen) erlangte autoritative Geltung.
MA und frühe Neuzeit: Durch engen Kontakt zur islam. Umwelt entstand ab dem 7.)Jh. eine an der antiken Philosophie orientierte jüd. Theologie und Philosophie, eine hebr. Sprach-Wiss. und Poetik. Das jüd. Recht wurde bes. im 7. und 8. Jh. in Babylonien, im übrigen arab. Raum (mit Ausstrahlungen nach Frankreich und Italien) v.)a. im 11. bis 13. Jh. durch Talmudkommentare und Kompendien systematisiert. – In Spanien wurden die Juden nach dem Ende der Reconquista 1492 zur Auswanderung gezwungen (Osman. Reich, Maghreb) oder zwangsgetauft, in Frankreich wurden sie 1394 endgültig des Landes verwiesen. Blutige Verfolgungen hatte es in Europa zuvor anläßlich der Kreuzzüge (ab 1096) und der Pest (ab 1348/49) gegeben. Vielfach wurden Judenordnungen erlassen, die die persönl. Bewegungsfreiheit einschränkten und Sondersteuern, Kennzeichnung und im Falle von Städten vom 16. Jh. an das Wohnen in gesonderten Straßen (Ghettos) vorschrieben. In W-Europa lebten die Juden überwiegend vom Waren- und Geldhandel, in O-Europa standen ihnen auch handwerkl. Berufe offen. Seit dem 13. Jh. entwickelte sich der Gedanke der ›Kammerknechtschaft‹ der Juden, deren Ansiedlung zum verkäufl. Hoheitsrecht des Königs wurde (›Schutzbrief‹). Dem auch im J. aufkommenden Rationalismus versuchten die Kabbala und später der osteurop. Chassidismus zu begegnen.
18.-20.)Jh.: Die Erschütterung durch den Sabbatianismus bereitete im J. M- und W-Europas den Boden für die Aufklärung, deren Ziele (Regeneration der hebr. Sprache und Literatur, gegenwartsbezogene Erziehung, Assimilation) jedoch nicht ohne innerjüd. Widerstand blieben. Die bürgerl. Gleichstellung der Juden wurde Ende des 18.)Jh. in den USA, Frankreich und den Niederlanden erreicht. Die dt. Staaten verfolgten eine ›Erziehungspolitik‹ (Berufsumschichtung, schrittweise Assimilation), die erst in den 1860er Jahren zur endgültigen rechtl. Gleichstellung führte. Nach 1881 vollzog sich nach mehrfachen blutigen Pogromen und auf dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise eine Massenauswanderung osteurop. Juden nach Amerika, W-Europa und Australien. In O-Europa sahen sich die Juden mehrheitlich als nat. Minderheit (Bundisten, Zionisten), als Orthodoxe (Chassidismus, Mussar-Bewegung) oder als Staatsbürger ›mosaischer Herkunft‹. - Mitte des 19.)Jh. entstand mit dem rassist. Antisemitismus eine neue Qualität der Feindschaft gegen die nun als Rasse definierten Juden, denen man keine Möglichkeit zur Assimilation in die christl. geprägte Mehrheitsgesellschaft einräumte. In dieser Tradition stehend verfolgte das nat.-soz. Schreckensregime die Juden als rassisch minderwertig und staatsfeindlich: Nach 1933 wurden die Juden aus dem Beamtentum entfernt, die ›Nürnberger Gesetze‹ legalisierten 1935 die Diffamierung der Juden (Judengesetze), in der Reichspogromnacht wurden 1938 fast alle Synagogen in Brand gesteckt, 1941 wurde den nunmehr aus dem gesellschaftl. und wirtschaftl. Leben ausgeschalteten Juden das Tragen des Judensterns befohlen; nach 1940 wurden zwei Drittel der europ. Juden (etwa 6 Mio. Menschen) von den Nationalsozialisten und ihren Kollaborateuren im Rahmen der ›Endlösung‹ auf bestialische Weise ermordet. – Die seit Ende des 19.)Jh. gehegten Autonomiehoffnungen nach einer ›gesicherten Heimstätte‹ in Palästina (Zionismus) verwirklichten sich 1948 mit der Gründung des Staates Israel.

 
 

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