Startseite   |  Site map   |  A-Z artikel   |  Artikel einreichen   |   Kontakt   |  
  


geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die philosophsche naturbetrachtung





In der Tradition der ganzheitlichen Naturbetrachtung, wie sie in der griechischen Philosophie der vorklassischen und klassischen Zeit begründet, von der Stoa und Epikur weitergeführt worden war, stehen auf römischer Seite auch zwei Werke, die nicht eigentlich naturwissenschaftlichen Charakter haben, aber einen wichtigen Platz in der Entwicklung dieser einnehmen: Es sind dies auf epikureischer Seite die 6 Bücher De rerum natura des Lukrez und auf stoischer Seite die Naturales Questiones des Seneca:
Das Lehrgedicht des T. Lucretius Carus (97 - 55 v. Chr.) erhebt den Anspruch, das Wesen (natura) der ganzen sinnlich wahrnehmbaren Welt (rerum) aus atomistischer Sicht erklären zu können. Eine besondere Leistung des Lukrez liegt darin, daß er zum erstenmal griechische Naturphilosophie in den römischen Kulturbereich einführt und, nachdem hellenische Dichtung, Historiographie (Geschichtsschreibung) und Rhetorik längst ihren Einzug gehalten haben, den Römern nun auch den Zugang zur Naturbetrachtung eröffnet.
Eine weitere wesentliche Bedeutung des lukrezischen Lehrgedichts besteht darin, daß es die umfangreichste und detaillierteste Darstellung der Atomphysik aus der ganzen Antike enthält und somit nicht nur für die Kenntnisse der atomaren Vorstellung Epikurs aufschlußreich ist, sondern auch eine Fülle von Material, das über Epikur hinaus auf Demokrit und seine Umgebung zurückgeht. Er trägt im Zusammenhang mit der Beweisführung zur Existenz von Atomen eine ganze Beispielsreihe von Naturbeobachtungen zusammen - Stoffe, die verdunsten, sich abnützen oder sonstwie verflüchtigen -, welche das Vorhandensein unsichtbarer materieller Vorgänge veranschaulichen sollen.



Naturales Questiones


. Vorläufer und Quellen (Rec.: 516-520)
Anfangs war es das Hauptanliegen der griechischen Philosophen, Naturvorgänge, die mythologisch gedeutet wurden, rational zu erklären. Den Griechen blieb systematisches Experimentieren so gut wie unbekannt; sie begegneten den Naturphänomenen vorwiegend spekulativ, erklärten auch das kosmische Geschehen eher biologisch als mathematisch-mechanisch. Dies wirkt bei Seneca nach; auch er versucht die Wahrheit viel mehr durch Argumente als durch Experimente zu erkennen.
Die Vorsokratiker zitiert er nicht so sehr aus erster Hand, sondern übernimmt ihre Ansichten aus Referaten bei Aristoteles, Theophrast und anderen Doxographen. Auch platonische Denkformen wirken wohl bei Seneca ein.
Eine meteorologische Literatur gibt es erst seit Aristoteles, der die Meteorologie wissenschaftlich begründete. Dessen Grundmuster scheint bei Seneca durch, besonders auch der physikalische Grundsatz der Verwandlung der Elemente ineinander. Es ist zwar nicht zu beweisen, daß er das Buch des Aristoteles unmittelbar benützte, doch spricht alle Wahrscheinlichkeit für gründliche Lektüre.
Kallisthenes, der Großneffe des Aristoteles, schrieb mehrere Bücher über den Untergang der Städte Helike und Buris (373 v. Chr.). Seneca zitiert sie mehrfach, doch ist auch hier unmittelbare Verwendung nicht zu beweisen; vielleicht ist Poseidonios Zwischenquelle.
Auch Theophrast, der Nachfolger des Aristoteles, schrieb über meteorologische Fragen unter anderem über die Nilschwelle. Hier geht er an mehreren Stellen (namentlich) auf diesen zurück. Derselbe stellte auch die Ansichten seiner philosophischen Vorgänger über physikalische Probleme zusammen, und es ist wahrscheinlich, daß Seneca diese Zusammenstellung benützte.
Trotz des Aufschwungs der Einzelwissenschaften im Hellenismus fanden die Philosophen keinen rechten Zugang zu ihnen. Erst Chrysipp (ca. 281 - 208 v. Chr.) erklärte die Fachwissenschaften zur Vorschule der Philosophie. Auch er schrieb naturwissenschaftliche Untersuchungen (Physika zetemata) und wurde so Vorläufer Senecas.
Von dem Weltbild der Stoa übernahm Seneca den ausgeformten Physisbegriff, der auf ein organisches, ebenso theologisch wie physikalisch als Einheit zu erfassendes Weltganzes zielt, dazu die Vorstellung der Weise müsse im Einklang mit der Weltseele "naturgemäß" leben. Das stoische Weltbild wurde durch die sympatheia ergänzt. Alle Elemente stehen in Zusammenhang miteinander und hängen voneinander ab. Zugleich kristallisiert sich stoische Physik im zentralen Begriff des Kontinuums in Raum, Zeit, Materie und der kontinuierlichen Ausbreitung der physikalischen Erscheinungen.
Poseidonios, der durch Reisen und Durchforschung der älteren Literatur das Beobachtungsmaterial vermehrte, hat mit Sicherheit auf die Naturales Questiones eingewirkt, auch wenn er den Sinn für Beobachtungen nicht weitergegeben hat, weil sich seine Nachfolger zumeist mit dem von ihm erbrachten Material begnügen.
Auch daß Seneca kosmologische und psychologische Fragen gleichermaßen behandelt, geht vielleicht auf Poseidonios zurück. Zudem könnte er die Überzeugung, daß die erklärende Naturbetrachtung Geist und Charakter zugleich bildet, ihm verdanken.
Römisches verwendet Seneca kaum. Mit Lukrez ist er insofern verwandt, als beide durch rationales Ergründen der letzten Dinge die Menschen von quälenden Vorstellungen befreien wollen, doch scheint er weder Lukrez viel benützt zu haben, noch finden sich bei ihm größerer Spuren des Römers Varro.
Da sich Seneca schon früh mit naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigte, las er wohl nahezu zeitlebens zu diesem Thema, doch wissen wir nicht, wieweit er die über dreißig Autoren, die er zitiert, selbst ausgewertet hat. Er wird vielfach aus dem Gedächtnis zitieren, denn seine Referate aus (z.B.) Aristoteles sind manchmal ungenau. Am meisten scheint er Poseidonios direkt auszuwerten. Vieles sonstige mag aufbereiteten Doxographien entstammen, doch wird Seneca, neben der Lektüre vieler Originalwerke, nicht nur eine einzige Zusammenstellung verwendet haben, sondern mehrere nebeneinander.
Seneca verschwieg wohl auch die Namen von Theoretikern; ihm kam es nicht in erster Linie auf eine Doxographie an, sondern auf die Inhalte von Theorien, und er wollte auch nicht als Kleinigkeitskrämer erscheinen. Im übrigen verwendet Seneca die Quellen nach eigenem Urteil und gibt nicht fremde Ideen mechanisch wieder, sondern kommentiert sie selbständig. Er würdigt Gelehrte auch nicht nach Schule oder Weltanschauung, sondern einzig nach ihrem naturwissenschaftlichen Scharfsinn. Freilich, auch er übernahm aus seinen Quellen die Schwäche griechischer Naturforschung: rasche Systembildung auf schmaler Faktenbasis.

. Die Absicht des Werkes (Rec.: 521-522)
In den Naturales quaestiones liegt Seneca die Stellung des Menschen in der Welt fest. Wie Cicero Rom den Zugang zur Philosophie bahnte, will er seiner Zeit die ganze Philosophie darstellen, will, wie er sagt, die Welt durchschreiten, ihre Ursachen und Geheimnisse ergründen und anderen zur Kenntnis bringen. So wird der Mensch Bürger im großen und wahren Staat des Kosmos. Physik wird Theologie, erschließt den Sinn des Lebens, der in Erkenntnis des Alls, Gottes und der wahren Natur des Menschen besteht.
Immer schon wurde bei den Naturales quaestiones nach dem Verhältnis von Fachwissenschaft und ethischen Teilen gefragt. Es ist ein alter Vorwurf, das Werk klaffe in Naturerklärung und ethischer Lehre auseinander. Doch ist es falsch, von einer Verbindung physikalischer Probleme mit ethischer Paränese (= 1. Mahnpredigt 2. (beabsichtigte) Nutzanwendung einer Predigt) zu sprechen, denn Naturerkenntnis ist für Seneca Grundlage jeder Ethik, und sowohl die naturwissenschaftlichen Ausführungen wie die moralischen waren ihm gleichwertige Teile seines Werkes. Senecas Ethik ruht auf naturwissenschaftlicher Grundlage, und selbst Erörterungen wie die über den Spiegel dienen der Erhellung der Begriffe, die ihrerseits zur Erfassung der Natur und rechter Lebensgestaltung hilft.
Die Klärung schwieriger Sachverhalte bildet die Vorstufe zur Zergliederung philosophisch-ethischer Probleme. Seneca macht es dabei dem Leser nicht leicht. Seine eigene Ansicht zu einem Problem ließe sich meist auf zwei Seiten darstellen, doch läßt er uns miterleben, wie er forscht und sucht und er weiß, daß so geübter Scharfsinn auch anderen Fragen gewachsen ist. Im Verstehen des Weltprozesses erlangte das Denken Leichtigkeit und führt die Seele zur Weisheit.
Der forschende Mensch erkennt die Natur, und dies ist das größte Erreichbare. Obschon die Dinge selbst dem Bereich des Unwichtigen (Adiaphora) angehören, nimmt von ihrer transsubjektiven Gegenständlichkeit das sittlich-religiöse Leben seinen Ausgang. Anfangs eröffnen die Sinne den Zugang zur Wirklichkeit, doch dann wird der Zusammenhang der Welt begrifflich erforscht. Im Erfahren göttlichen Wirkens kehren wir zum Urgrund, zur Gottheit zurück.
Naturwissenschaft schenkt uns Einsicht in den gottdurchwirkten Kosmos; Naturerkenntnis wird Erkenntnis der Gottheit. Zugleich erweist sich die Gottheit als vollkommene Vernunft und als Norm zur Heranbildung eines ebenso vernünftigen Seelenhegemonikons in unserem Inneren. So entsteht eine ethisch wertvolle Haltung aus der Erkenntnis der göttlichen Vernunft, die Kosmos und Mensch durchdringt. Die Erkenntnis des Weltlogos gibt uns Klarheit über die eigene Bestimmung. Sie ermöglicht vernunftgemäße Lebensführung, rechten Verstand und Gesundheit der Seele,; in diesem naturgemäßen Leben liegt der Schlüssel zum Lebensglück. Die Einsicht in den Weltprozeß läßt den stoischen Weisen jene Vollendung erreichen, die Tugend genannt und der zur höchsten Erkenntnis fähigen Vernunft gleichgesetzt wird.
Seneca verwendet die Vorstellung vom göttlichen Urfeuer und seine Keimkräften, die bei rechter Lebensweise zur Entfaltung kommen. Luxus ist dann Abwendung von der Natur. Zugang zur Natur bietet aber auch deren Schönheit, so daß neben die Erkenntnis der Naturgesetze auch das ästhetische Erleben tritt; doch verfolgt Seneca diesen Gedanken nicht sehr weit.


. Senecas Naturbild (Rec.: 524-525)
Die Wissenschaft unserer Tage beschreibt die Natur als mathematisch faßbares Netz von Phänomenen; der Römer hingegen folgt dem in Hellas (Griechenland) ausgeformten Physisbegriff, der auf ein organisches, theologisch und physikalisch als Einheit zu fassendes Ganzes zielt. Die Rationalität der Welt ist das Werk einer überlegenen Intelligenz. Der Mensch besitzt einen Teil dieser Intelligenz, verwendet ihn aber nicht selten falsch. Die Welt wird durch die Vorsehung Gottes gelenkt. Gott ist der Geist des Universums, ist Logos und Vorsehung zugleich. Er ist der Schöpfer der Welt, Ursache der Ursachen, Natur und Fatum, schöpferischer Seinsgrund und schaffende Vernunft. Er vermischt sich mit Natur und Welt, durchwaltet sein Werk und sorgt für die Erhaltung des Geschaffenen und damit seiner selbst.
Der menschliche Geist erkennt, daß die Natur im ganzen harmonisch, jedoch aus Gegensätzen zusammengesetzt ist. Alles hat eine Ursache, die wir freilich nicht immer erkennen. Die Natur ist ein lebendes Wesen. Die Elemente, die sie bilden, befinden sich in dauerndem Austausch und Kreislauf. Alles entsteht aus allem. Urelement war das Feuer, das die Verdichtung der übrigen Elemente erzeugte. Das Feuer ist mit dem Weltgrund und Gott identisch. Es kreist im All und nähert sich von den Ausdünstungen der Erde, so daß ein ständiger Austausch zwischen Himmel und Erde erfolgt. Auch die Gestirne erhalten Nahrung von der Erde.
Ein solcher Energiestrom setzt Spannung der Elemente voraus. Sie ist der tonos , der die Einheit der Welt stiftet und besonders in der Luft erscheint, die das große Band des Universums bildet. Die Luftspannung erklärt das Wachsen der Pflanzen, das Ansteigen des Wassers, das Erdbeben. Kleanthes hatte diese Lebenskraft in der Wärme erblickt, Poseidonios im Pneuma, Seneca, wie gesagt, in der Luft. Der Kosmos, der als Organismus dem Gesetz des Alterns unterliegt, zerstört und erneuert sich nach den ewigen Regeln des in ihm wirkenden Logos. Der in Perioden auftretende Weltbrand (ekpyrosis) reinigt die Welt von allem Schlechten.

 
 



Datenschutz
Top Themen / Analyse
indicator ZOSIMUS:
indicator Bücherverbrennung Erich Kästner
indicator DER NEANDERTALER
indicator Typenschichten der Städtebildung
indicator Zeus gott der Götter
indicator Aeneis
indicator Jugend im 3.Reich ----
indicator Die Zweite Internationale
indicator Von der Peripherie ins Zentrum: der alliierte Vormarsch in Italien
indicator Die Christlich Demokratische Union (CDU)




Datenschutz
Zum selben thema
icon Industrialisierung
icon Realismus
icon Kolonialisierung
icon Napoleon Bonaparte
icon Mittelalter
icon Sozialismus
icon Juden
icon Atombomben
icon Pakt
icon Widerstand
icon Faschismus
icon Absolutismus
icon Parteien
icon Sklaverei
icon Nationalismus
icon Terrorismus
icon Konferenz
icon Römer
icon Kreuzzug
icon Deutschland
icon Revolution
icon Politik
icon Adolf Hitler
icon Vietnam
icon Martin Luther
icon Biographie
icon Futurismus
icon Nato
icon Organisation
icon Chronologie
icon Uno
icon Regierung
icon Kommunistische
icon Imperialismus
icon Stalinismus
icon Reformen
icon Reform
icon Nationalsoziolismus
icon Sezessionskrieg
icon Krieg
A-Z geschichte artikel:
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z #

Copyright © 2008 - : ARTIKEL32 | Alle rechte vorbehalten.
Vervielfältigung im Ganzen oder teilweise das Material auf dieser Website gegen das Urheberrecht und wird bestraft, nach dem Gesetz.
dsolution