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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die flucht der juden aus deutschland





Obwohl es, aufgrund des gerade beschriebenen Verhaltens der Juden in Deutschland, den Anschein haben könnte, daß es beinahe niemanden gab, der aus Deutschland geflohen ist, so entspricht dies nicht der Wahrheit, da es, obwohl der Großteil der Juden tatsächlich in Deutschland blieb, natürlich auch genügend jüdische Menschen gab, die geflohen sind.


3.1. Auswanderung deutscher Juden von 1933 bis zur Reichskristallnacht

Den jüdischen Menschen, die sich dazu entschlossen hatten, vor dem nationalsozialistischen Terror zu kapitulieren und Deutschland zu verlassen, standen ab 1935 drei verschiedene Organisationen zu Verfügung, die sich mit ihren Problemen befaßten.
So gab es zum einen das sogenannte "Palästina-Amt", welches sich ausschließlich mit den Problemen der Juden befaßte, die nach Palästina emigrieren wollten und bei der Durchführung half. Die zweite Organisation war der "Hilfsverein der Juden in Deutschland", der bei der Organisation von Fluchten nach Übersee (außer Palästina) oder innerhalb Europas half. Darüber hinaus existierte noch die "Hauptstelle für jüdische Wanderfürsorge", die mit der Aufgabe betraut wurde, ausländische Juden, die in Deutschland lebten, bei ihrer Rückkehr in die ursprüngliche Heimat zu unterstützen. Dies waren allesamt jüdische Organisationen, die nicht von den Nazis kontrolliert wurden.
Allein diese drei Organisationen waren in der Zeit von 1933 bis November 1938 mit der Abwicklung der Angelegenheiten von 75551 jüdischen Flüchtlingen betraut, was einen Prozentsatz von rund 45% an den 169.000 aus Deutschland emigrierten Juden zu dieser Zeit ausmacht. An diesen Zahlen wird die Wichtigkeit dieser Organisationen deutlich, ohne die, für die meisten zur Ausreise entschlossenen Juden, eine Emigration gar nicht möglich gewesen wäre.
Die oben bereits angesprochene Überalterung der in Deutschland lebenden Juden, bekam in den fünf Jahren von 1933 bis 1938 einen zusätzlichen Schub, da die meisten der Emigranten jung waren. Dies belegt eine 1936 veröffentlichte Studie über das Alter der Deutschland verlassenden Emigranten von Michael Traub von 1936, die besagt, daß aufgrund der größeren Bereitschaft junger Leute zur Emigration, die Prozentzahl der unter 20-jährigen im Vergleich zur Volkszählung von 1933 weiter fällt.
So macht diese Bevölkerungsgruppe nicht mehr, wie noch 1933 21% der jüdischen Bevölkerung in Deutschland aus, sondern nur noch16%. Die Altersgruppe der 20 bis unter 45-jährigen stellt im Vergleich zu noch 39% in 1933 inzwischen nur noch 33%. Die Altersgruppe der über 45-jährigen jedoch macht 1936 bereits 51% der Juden in Deutschland aus, gegenüber nur 40% in 1933.
Um diese Tendenz zu bestätigen, braucht man sich nur die Altersverteilung der jüdischen Emigranten, die aus Deutschland kamen, anzusehen. Dort nämlich zeigt sich logischerweise das umgekehrte Bild. So waren von 100 Emigranten aus Deutschland 25 unter 20, 60 zwischen 20 und 45 und nur 15 über 45 Jahre alt, was sicherlich mit der bei weitem höheren Mobilität jüngerer Menschen zu erklären ist, die noch nicht ihr gesamtes Leben in einer bestimmten Stadt verbracht haben, welche ihnen über die Jahre zur Heimat geworden ist und die sie im Alter nicht mehr verlassen wollen.
Die bevorzugten Länder der deutschjüdischen Flüchtlinge waren Palästina, die U.S.A. und die Länder, die direkt an Deutschland grenzten, weil die meisten Flüchtlinge glaubten, nach kurzer Zeit wieder in ihr eigentliches Heimatland zurückkehren zu können, was sich aber im Laufe der Zeit als nicht richtig herausstellte.
Wurde bisher immer nur die Regel beschrieben bzw. wie die meisten Juden flohen, so gab es aber natürlich auch hier Ausnahmen, die nicht die Hilfe einer Flüchtlingsorganisation in Anspruch nahmen und auch in keines der favorisierten Länder emigrierten, sondern nach England


3.2. Auswanderung deutscher Juden nach Großbritannien

Die nun folgende Text soll zeigen, inwieweit jüdische Wissenschaftler, Mediziner, Künstler, Rechtsanwälte und Geschäftsleute Vorteile gegenüber ihren nicht gelehrten Glaubensgenossen bei der Flucht aus Deutschland hatten. Mußten sich die sogenannten einfachen Menschen an Flüchtlingsorganisationen wenden, mit denen sie in fremde Länder ohne eine berufliche Perspektive kamen, so nutzten bekanntere Persönlichkeiten ihre Verbindungen zu Persönlichkeiten aus anderen Ländern, was im folgenden am Beispiel Englands beschrieben wird. Anhand dieser Beschreibung wird auch das Verhalten Englands gegenüber den deutschen Emigranten beleuchtet.

Allgemein kann man sagen, daß diejenigen Persönlichkeiten, die als erste in England eintrafen in einer sehr glücklichen Position waren, da sie, im Gegensatz zu den späteren Emigranten noch Geld und persönlichen Besitz mit sich führen durften, was ihnen den Start in einem fremden Land wie England sehr erleichterte. Diese Gruppe der zuerst eintreffenden deutschen Juden, bestand größtenteils aus bekannten Wissenschaftlern, Geschäftsleuten mit guten Verbindungen und bekannten Künstlern.
Den Wissenschaftlern wurde in England von Organisationen wie dem Academic Assistance Council (AAC), das später in Society for the Protection of Science and Learning (SPSL) umbenannt wurde und sich schließlich mit der "Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland" verbündete, geholfen, erneut Arbeit zu finden, die sie bereits in Deutschland ausübten.
Ein gutes Beispiel für diese länderübergreifende Hilfe der Akademiker untereinander ist die Geschichte des Biochemikers Professor C. aus Berlin, der sich durch Studienaufenthalte in London vor 1933 bereits gute Kontakte aufgebaut hatte, die ihm bei seiner späteren Flucht aus Deutschland zugute kamen, da sich seine englischen Kollegen an ihn erinnerten und ihm einen Job verschafften.
Aber obwohl es hier so scheint, als ob England ein Land war, das jüdischen Emigranten aus Deutschland wohl gesonnen war, es war nicht der Fall. England interessierte sich bei der Aufnahme der Emigranten eigentlich nur für seine eigenen Vorteile, so daß jeweils nur die Besten ihrer Gebiete mit offenen Armen empfangen wurden, der Rest jedoch mit Argwohn und sogar Antisemitismus von Seiten der englischen Kollegen zu kämpfen hatte.

"This is not to say, however, that the refugee scholars were always received with open arms by their British colleagues. One of the main principles of the highly selective admissions policy of the SPSL had been to avoid friction with the latter. But even after having overcome this barrier, the foreign scholar was often faced with xenophobia or antisemitism."(Bergham 1984:80)

Im folgenden soll nun belegt werden, daß nicht alle gelehrten Juden aus Deutschland die großen Vorteile hatten wie Professor C., auch wenn die meisten immer noch bessere Chancen als die jüdische Normalbevölkerung Deutschlands hatten.
Die Zahl der Ärzte, die nach England kommen durften, um dort zu praktizieren, wurde durch den Einspruch der British Medical Association (BMA) von ursprünglich 500 auf 50 reduziert, so daß die meisten in England ohne Job blieben, zumal ihre in Deutschland erworbene Ausbildung nicht anerkannt wurde. Die Folge hieraus war, daß hunderte deutscher Ärzte ihre Ausbildung in England noch einmal wiederholten. Viele dieser Juden brachen jedoch die Ausbildung ab, da sie das Geld dafür nicht aufbringen konnten und außerdem noch ihre Familie ernähren mußten. Diese Einschränkungen, welche die aus Deutschland emigrierten jüdischen Ärzte zu ertragen hatten, verschärften sich nach 1938 noch, und es dauerte bis nach 1945, bis sie in England eine Gleichbehandlung erfuhren.
Noch schlimmer ging es den jüdischen Personen mit einer juristischen Ausbildung, die nach England kamen, da ihnen das in Deutschland erworbene Wissen über das deutsche Rechtssystem so gut wie gar nichts nutzte, denn das britische Rechtssystem unterscheidet sich grundsätzlich vom deutschen. Die einzigen, die es nicht ganz so schwer hatten, waren diejenigen, deren Spezialgebiete sich über das deutsche Recht hinaus erstreckten und internationales oder englisches Recht umfaßten.
Die Folgen für die Juristen, die auf das deutsche Recht fixiert waren, bestanden darin, daß sie entweder erneut anfangen mußten, englisches Recht zu studieren, oder sich Arbeit in anderen Bereichen der Gesellschaft zu suchen. Dort gab es relativ viele Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Arbeit als Bankangestellter, als Journalist oder als Schriftsteller, von denen aus einige nach dem Krieg wieder in ihre eigentlich erlernte Arbeit als Jurist wechselten.
Die nächste hier zu beobachtende Gruppe bestand aus Künstlern und Autoren, mit denen ähnlich verfahren wurde, wie mit den oben zuerst angesprochenen Wissenschaftlern. Die berühmten und in England bekannten hatten es relativ leicht, in England ein gutes Leben zu führen, wohingegen die unbekannteren oft hart kämpfen mußten.

"Again the famous ones among the artists were warmly received in Britain. Those less-well known abroad had a much harder time."(Bergham 1984:92)

Wie zur damaligen Zeit in England selektiert wurde, zeigt das Beispiel zweier Künstler aus Berlin. Herr und Frau O. waren beide Bildhauer, als sie mit Hilfe eines Cousins 1937 nach London kamen, um diesen zu besuchen und vielleicht in England bleiben zu können. Die Erlaubnis für diesen Besuch, der später in eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung umgewandelt wurde, bekamen sie aber nur, weil Herr O. ein Holzschnitzer war. Diese Technik war unter britischen Bildhauern praktisch unbekannt, so daß er keinem englischen Künstler Konkurrenz bedeutete, was jedoch zur Folge hatte, daß sie aufgrund von Sprachproblemen so gut wie keinen Kontakt zu einheimischen Künstlern pflegen und aufgrund der Seltenheit der Ausübung der Holzschnitzerei sich in der englischen Kunstszene nur schwer etablieren konnten.
Ein weiteres Problem war die, im Vergleich zu deutschen Künstlern, völlig andere Mentalität, mit der das Bildhauerehepaar in England zurechtkommen mußte:

"In Berlin we had a beautiful studio where we lived. Visitors and friends came at all times, also late at night. But not so in London. People always go to bed early here. What is more, most artists here live in the country."(Bergham 1984:92)

Doch trotz dieser Probleme hatten beide zahlreiche Ausstellungen in England und konnten sogar ein paar ihrer Skulpturen verkaufen, von deren Erlös sie jedoch nicht leben konnten, so daß sie über ihre normale Arbeit hinaus noch Töpfern an einem Londoner College unterrichteten.
Ein weiteres Problem, das jedoch alle Künstler betraf, waren die unterschiedlichen Auffassungen von Kunst in England und Deutschland. Die Bilder deutscher Maler waren sehr viel emotionaler und direkter als die ihrer englischen Kollegen, deren Bilder eher den Charakter des Herunterspielens von Gefühlen hatten, so daß die englischen Kunden, die nur die englische Variante der Kunst gewohnt waren, die Bilder deutscher Maler nicht mochten, was sich darin ausdrückte, daß deren Bilder nach dem Krieg in Deutschland weit besser verkauft wurden als es in England je der Fall war.
Wenn man sich diese Differenzen zwischen England und Deutschland in der Kunst ansieht, so wird klar, mit welchen Problemen deutsche Autoren in England zu kämpfen hatten, die ihre Ideen nicht auf der Leinwand, sondern in Buchstaben in einer Sprache auszudrücken hatten, die sie nicht beherrschten. Denn aufgrund des Verbotes ihrer Bücher in Deutschland, war es sinnlos weiter in der deutschen Sprache zu schreiben, da ihre Leserschaft größtenteils noch immer in Deutschland beheimatet war, wo ihre Bücher nicht veröffentlicht werden durften.
Die Möglichkeit der Übersetzung ihrer Bücher aus dem Deutschen in die englische Sprache war auch keine adäquate Lösung, da die sprachlichen Feinheiten nicht in jeder Sprache gleich wiedergegeben werden können, was zur Folge hatte, daß die meisten von Deutschland nach England emigrierten Schriftsteller quasi arbeitslos waren, da sie sich einer potentiellen Leserschaft gegenüber sahen, die sie nicht verstand.
Auch waren die Themen ihrer Bücher teilweise nur Deutschen zugänglich, was ein weiteres Problem darstellte. Ein jüdischer Flüchtling beschrieb 1946 das Dilemma sehr treffend:

"To be a writer is not easy; to be a jew is very difficult; to be a Jewish writer almost amounts to a minor tragedy. But about the Jewish writer who, on top of that, comes from Germany?\"(Bergham 1984:96)

Die letzte Gruppe jüdischer Emigranten aus Deutschland, auf die hier näher eingegangen wird, ist die Gruppe der Geschäftsleute. In ihrem Fall war die Situation in England eine andere, obwohl auch ihnen zunächst Ablehnung von Seiten der englischen Bevölkerung zuteil wurde, als diese merkten, daß die meisten wohl in England bleiben wollten.

Hier an der Gruppe der Geschäftsleute läßt sich wiederum die Einwanderungspolitik der britischen Regierung deutlich aufzeigen, die nur von der Suche nach dem eigenen Vorteil bestimmt war. Nach kurzer Zeit erkannte die Regierung nämlich bereits, daß unter den aus Deutschland emigrierten jüdischen Geschäftsleuten eine große Menge von fähigen Managern war, deren Fähigkeiten sie sich zunutze machen konnten.
Die englische Wirtschaft befand sich in einer Rezession, die besonders deutlich in den sogenannten Depressed Areas zum Vorschein kam. Diese waren die Gebiete im Nordosten Englands, in Wales und in Schottland. Wenn nun ein jüdischer Flüchtling aus Deutschland kam, so mußte er sich bereit erklären, in eines dieser Gebiete zu gehen, um dort zu helfen, es wirtschaftlich wieder anzukurbeln. War er mit dieser Bedingung einverstanden, so konnte er in England bleiben.
Im Zuge dieser Ansiedlung deutscher Flüchtlinge in den wirtschaftsschwachen Gebieten, entstanden dort in den dreißiger Jahren 163 Fabriken, die sich hauptsächlich mit der Produktion von Konsumgütern beschäftigten. Diese Ansiedlung war einer der Hauptgründe, warum die Arbeitslosigkeit in diesen Gebieten innerhalb kürzester Zeit zurückgingen.
Die Einwanderungspolitik Großbritanniens in den dreißiger Jahren wird an diesen Beispielen deutlich. Trotzdem wird später noch einmal näher darauf eingegangen.

 
 



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