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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die britische flüchtlingspolitik





Die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar eingeleiteten Schritte veranlaßten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Repressionen gegen Andersdenkende und verschiedene Minderheiten etliche Juden dazu, Deutschland zu verlassen. Der überwiegende Teil floh in die Nachbarländer ihrer Heimat, nach Polen, Frankreich oder in die Niederlande. Dieser Umstand ist sicherlich damit zu erklären, daß sie auf ein baldiges Ende des Naziregimes und eine somit mögliche Rückkehr hofften.
Eine Flucht über den Ärmelkanal nach Großbritannien war eher die Ausnahme, bis April 1934 kamen lediglich zwischen 2000 und 3000 Flüchtlinge ins Land (Bergham, 1984: 75). Und auch danach blieben die Emigrantenzahlen auf einem relativ niedrigen Niveau.
Viele Juden zögerten einfach nur, ihre Heimat zu verlassen. Zwar wurden seit dem 1. Mai 1938 79271 Visa für Großbritannien an deutsche Juden vergeben, jedoch wurden von diesen um 50000 nicht genutzt. Nach den Pogromen im November Stieg die Zahl der nach Großbritannien eingereisten Juden auf circa 40000, von denen wiederum jedoch der weitaus größte Teil Transmigranten, also nur Durchreisende, vor allem in Richtung Vereinigte Staaten, waren (alle Zahlen nach Bergham, 1984). Als Reaktion auf diese Stark ansteigenden Flüchtlingszahlen verschärfte Großbritannien, ebenso wie alle anderen europäischen Länder, seine Einwanderungsbestimmungen, insbesondere für deutsche und österreichische Juden. Im Gegensatz zu anderen Staaten in Europa, war dieser Umstand jedoch kein wirkliches Novum, denn bereits 1933 hatte ein Treffen des Kabinetts eine Resolution verabschiedet, die als die Ziele der britischen Einwanderungspolitik im Hinblick auf jüdische Einwanderer nannte:

" [...] Try and secure for this country prominent Jews who were being expelled from Germany and who had achieved distinction whether in pure science, applied science, such as medicine, or technical industry, music or art. This would not only obtain for this country the advantage of their knowledge and experience, but would also create a very favourable impression in the world, particularly if our hospitality were offered with some warmth."

Großbritannien sah sich selbst lediglich als ein Übergangsland für Flüchtlinge, die in andere Teile der Welt weiterreisen wollten, lediglich Juden, die für Großbritannien einen Profit darstellten, waren wirklich gerne gesehen, . Nach Kriegsausbruch schließlich verschärfte sich die Flüchtlingssituation drastisch, die deutsche Führung war zu diesem Zeitpunkt durchaus gewillt, Juden auswandern zu lassen: "Between 1939 and mid-1941 expulsion, in addition to expropriation, persecution, and sporadic murder, was one of the central goals of Germany's Jewish policy" (Hilberg 1961: 3). Eine Auswanderung in andere europäische Länder, sofern diese nicht besetzt waren, war den Ausreisewilligen jedoch kaum möglich, der Flüchtlingsstrom nach Großbritannien brach fast vollkommen ab, nicht jedoch in andere Regionen des britischen Einflußbereiches. Am Ende des ersten Kriegsjahres 1939 sandte das deutsche Wirtschaftsministerium unter Goering über den Umweg über die Amerikanische Botschaft eine Stellungnahme an die britische Regierung, die die deutsche Politik der jüdischen Auswanderung bekräftigte (Memorandum an das British Foreign Office, London, 3. Oktober 1939). Adolf Eichmann, Kopf des Zentralen Reichsbüros für die Jüdische Emigration, witterte eine große Chance, Juden in großen Zahlen aus Europa zu vertreiben, in der Zionistischen Bewegung, deren Vertreter, der Jewish Agency, ohne Probleme Ausreisevisa in neutrale Staaten in Richtung Palästina ausgestellt wurden, wie L. Herrmann, Vertreter der Jewish Agency, Sir Henry Bunburry vom Tschechischen Flüchtlingsverband in einem Brief vom 12. September 1939 mitteilte.
Der sich nun immens verstärkende Flüchtlingsstrom nach Palästina war dort gar nicht gerne gesehen, bereits zu Beginn des Jahres 1940 beschwerte sich der britische Hochkommissar für Palästina beim Colonial Office darüber, daß deutsche Schiffahrtslinien sowie das Immigration Department der Jewish Agency, die ebenfalls, in Zusammenarbeit mit der Regierung Palästinas, für die legale Auswanderung zuständig war, Reisen für illegale jüdische Emigranten eben dorthin organisieren. Aber auch von Häfen des Schwarzen Meeres und der Ägäis aus starteten mit Flüchtlingen völlig überladene Schiffe in Richtung Palästina, nachdem in der Zwischenzeit fast alle anderen Fluchtrouten, wie zum Beispiel die vorher sehr häufig gewählte über Schanghai, verschlossen waren in das Land, das neben den Vereinigten Staaten, die nach wie vor Flüchtlinge, wenn auch in stark eingeschränktem Umfang, aufnahm, die einzige Alternative zu sein schien. Britische Versuche, die Flüchtlinge auf andere Kolonien oder Dominions umzuleiten, verliefen weitestgehend im Sande, zum einen, weil die Jewish Agency für Palästina als angestammte Heimat der Juden warb, zum anderen aufgrund der Weigerung der eigenen Verwaltungen in den alternativen Siedlungsgebieten, Flüchtlinge aufzunehmen:

"Apart from the obvious difficulties in the way of getting to any Colony, the hard fact remains that they are not wanted by any Colonial Government for a number of very good reasons, the most important of which perhaps are that they are certain sooner or later to become a charge on public funds. [...] The introduction of a body of people, however small, which is entirely alien in every sense of the word, would be greatly resented by the working classes in the Colony and might well lead to serious trouble."
(K. E. Robinson an P. J. Dixon vom Foreign Office, 13. Januar 1941)

Dennoch suchten die britische sowie die US-amerikanische Regierung den ganzen Krieg über nach einem Land zur Ansiedlung der jüdischen Flüchtlinge, 1940 war zum Beispiel in einem internen Papier des Foreign Office von Britisch-Guiana als "Second Jewish National Home" die Rede, der Plan wurde, ebenso wie ähnliche Entwürfe für Äthiopien, Eritrea, Mindanao oder aber Nord-West-Australien, wieder fallengelassen, da man eine starke Opposition erwartete, und ähnliche Erfahrungen wie in Palästina vermeiden wollte. Großbritannien stellte von vornherein klar, das es in keiner Weise verpflichtet sei, jüdische Siedlungen innerhalb Großbritanniens oder seiner Kolonien errichten zu helfen.
Die britische Verwaltung, besonders das Colonial Office, entwickelte indes eine immer stärkere Ablehnung gegen die ins Land strömenden Juden, von denen ein Großteil aus dem Feindesland stammte, was wiederum zu der Behauptung führte, es bestünde "the possibility of there being agents of the German government amongst them and [...] consequent danger to the internal security of Palestine" (Memorandum von J. E. M. Carvell, 5. Februar 1940). Tatsächlich wurde nie ein solcher angeblicher Agent unter den Flüchtlingen entdeckt.
Die Motive der Flüchtlinge wurden von britischer Seite ohnehin in Frage gestellt, in völliger Verkennung der Not und des Elends der Vertriebenen wurde den Juden eine "organised invasion of Palestine for political motives, which exploits the facts of the refugee problem and unscrupulously uses the humanitarian appeal of the latter to justify itself", zwar seien einige wenige wahre Flüchtlinge unter den Einreisenden, aber die Tatsache, das die deutsche Regierung teilweise bei dieser Flucht behilflich war, wurde so erklärt, daß es das ihr Interesse sei, die Juden loszuwerden - was sicherlich zutreffend ist, jedoch Hauptgrund sei "causing embarrassment to His Majesty's Government" (gemeinsames Memorandum von Colonial- und Foreign Office, datiert auf den 17 Januar 1940).
Die Gangart den illegalen jüdischen Einwanderern gegenüber wurde weiter verschärft, zahlreiche englische Politiker und Beamte sahen sie nur noch als eine Plage und Last an, ein ganzes Volk, das sich auf eine Reise begibt, und das nur, um England Probleme zu machen. Diese Auffassung schlug sich vor allem massiv in den Äußerungen der Angestellten des Colonial Office nieder und schließlich resultierte hieraus auch härteste Maßnahmen zum kompletten Stop der Flüchtlingsströme. So schrieb 1940 der stellvertretende Untersekretär eben dieser Behörde über die Juden und ihre Flucht vor dem Naziterror:

"I am convinced that in their hearts they hate us and have always hated us; they hate all Gentiles. [...] So little do they care for Great Britain as compared with Zionism that they cannot even keep their hands off illegal immigration, which they must realise is a very serious embarrassment to us at a time when we are fighting for our very existence."

Der innerhalb des Colonial Office vorrangig für Palästina zuständige Sekretär, H. F. Downie, ging im März 1941 mit seiner Meinung, ebenfalls auf das Problem der illegalen Einwanderung angesprochen, noch um einiges weiter:

"This sort of thing makes one regret that the Jews are not on the other side in this war." (Protokoll des Colonial Office, !5. März 1941)

Zwar waren so radikale Ansichten nicht die Regel, sie machen jedoch deutlich, wie die Einstellung der Briten zur Frage der jüdischen Siedlungswünsche und zur jüdische Situation im allgemeinen war.
Konkrete Maßnahmen wurden ergriffen, um diese ,Invasion' aufzuhalten, nachdem mehr als deutlich geworden war, daß die für Palästina aufgestellten Einwanderungsbestimmungen und -zahlen das Papier nicht mehr wert waren, auf dem sie gedruckt waren. Zum blockieren der Fluchtrouten wurden nun sämtliche diplomatischen und militärischen Mittel ausgeschöpft, die Regierungen der südosteuropäischen Staaten durch das Foreign Office zur Kooperation aufgefordert:

"The Foreign Office has asked countries of transit to refuse transit visas; [...] it has asked the nations where the owners of such [illegal immigrant] ships reside to take action against them; it has asked the nations whose Ports are used by such ships to put administrative difficulties in the way of their sailing; and it has explored the possibilities of evading the legal provisions concerning freedom of transit on the Danube and through the Straits in order to enable the riparian governments at our request to hinder the traffic. Representations have been made to twelve European and Mediterranean governments. In Roumania, Turkey, Greece, Bulgaria and Yugoslavia these representations have been carried to a point which has made the question of illegal immigration a factor constantly present in our relations with those countries." (Memorandum von J. E. M. Carvell vom 5. Februar 1940)

Die Einflußnahme Großbritanniens auf die Politik dieser Länder hatte in der Realität jedoch nur wenig Erfolg, die Zahl der Flüchtlinge ging keineswegs zurück, lediglich die Ticketpreise und Bestechungsgelder an Beamte der Transitländer schnellten in die Höhe. Als man in London und Jerusalem die Wirkungslosigkeit der Maßnahmen erkannte, war das Colonial Office bereit, noch weiter zu gehen und dabei sogar internationales Seerecht zu brechen: Schiffe der britischen Marine wurden vor die Küste Palästinas abgestellt, um dort Schiffe mit illegalen Einwanderern aufzubringen, ein Vorgehen, das in keiner Weise rechtlich gedeckt war und zunächst ohne Wissen der Regierung praktiziert wurde (Wasserstein,1979: 54f).
Die auf den Schiffen vorgefundenen Emigranten wurden in Lagern in Palästina interniert, und zwar so lange, bis das Lager zu voll wurde. Die ursprünglich geplante Abschiebepraxis kam jedoch aus verschiedenen Gründen nicht zustande, zum Teil wegen großer Proteste von englischen Wohltätigkeits- und Flüchtlingsverbänden, zu Teil wegen entschiedener Proteste der in bereits in Palästina lebenden Juden, häufig jedoch auch, weil sich die Länder, aus denen die Schiffe gestartet waren weigerten, die Flüchtlinge wieder aufzunehmen.
Daß der Flüchtlingsstrom dann im Laufe der Jahre 1942/43 langsam erstarb, hat aber andere Gründe als die restriktive britische Politik den vor ihrer Ermordung fliehenden Juden gegenüber: Die deutsche Wehrmacht hatte ganz einfach inzwischen fast ganz Europa überrannt, die Nationalsozialisten waren nicht mehr an der Ausreise der Juden interessiert und das europäische Festland war eine Falle geworden, aus der zu entkommen fast unmöglich war.

 
 



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