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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Der sommer 1562 in yucatán





Unmittelbar nach der Meldung des Fundes wurden etwa 40 Indianer, die in der Nähe des Fundortes wohnten, verhaftet, ins Klostergefängnis gesteckt und befragt. Sie gestanden freiwillig, dass sie die Götzen angebetet hatten, um Regen, gute Ernten und reiche Jagdbeute zu bekommen und das außer ihnen noch viele andere Leute aus der Gegend gleiches taten. Die Freiwilligkeit, mit der die Aussagen gemacht wurden, verweist auf das im Abschnitt 2.2. angerissene Problem, vor dem die katholischen Missionare standen: Der christliche Gott - der offensichtlich große Kräfte hatte, da die Spanier unter seiner Fahne den Sieg über die Maya errangen - wurde zwar in den Götterhimmel aufgenommen (wahrscheinlich sogar an herausragender Stelle), ohne jedoch der einzige Gott zu werden: Für spezielle ,,Aufgaben\" waren nach wie vor die entsprechenden alten Götter ,,zuständig\", die deshalb weiterhin angebetet wurden - die Idee des Monotheismus war den Maya völlig fremd.
Die Franziskaner waren umso bestürzter über diese Geständnisse, als es sich um das Kerngebiet ihrer nunmehr 17-jährigen Missionstätigkeit handelte. Der örtliche Franziskanerchef reagierte mit außergewöhnlicher Härte: die gefangenen Indianer wurden gefoltert (mittels des ,,Flaschenzuges\" an den Armen aufgehängt, ausgepeitscht, mit heißem Wachs beträufelt), um weitere Geständnisse aus ihnen herauszupressen. Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich um eine völlig illegale Aktion, da die Inquisitionsgerichtsbarkeit ausschließlich bei Diego de Landa, als höchstem Geistlichen der Provinz lag.
Dieser zog seine Untergebenen jedoch nicht zur Verantwortung, sondern schaltete sich selbst in das Geschehen ein. Mit der Zusage von Unterstützung seitens des Gouverneurs sowie autorisiert durch das päpstliche Omnímoda setzte er ein formelles Inquisitionsgericht ein. In den folgenden 3 Monaten wurden 4500 (!) Indianer wegen Götzenanbetung verhört und gefoltert, 158 starben dabei, 13 nahmen sich das Leben (von 18 weiteren, die verschwanden, nimmt man dasselbe an), bedeutend mehr behielten bleibende Schäden an den Schultermuskeln und Händen. Spanische Zeugen (i.d.R. Encomenderos, die zu Hilfsdiensten bei den Verhören herangezogen wurden) berichteten später, dass die Indianer unter der Folter immer größere Zahlen von Götzenbildern nannten, die sie angeblich besaßen. Unter den Idolen, die abgeliefert wurden, befanden sich augenscheinlich sowohl uralte, zerstörte Stücke, die man in den längst verlassenen Maya-Städten finden kann als auch solche die offensichtlich gerade neu hergestellt wurden, um den Abgabeforderungen der Mönche nachzukommen. (19)
Die Inquisition gipfelte in einem auto de fé am 12.Juli 1562, zu dem auch der Gouverneur Quijada anwesend war. Die knappe Schilderung der Ereignisse durch Landa zeigt alle Elemente, die für einen Inquisitionsprozess in Spanien kennzeichnend waren und verweist m.e. auf die Bedeutung, die diesem Herrschaftsinstrument beigemessen wurde: Als diese Leute in der Religion unterrichtet und die jungen Männer mit Nutzen belehrt waren, wie wir gesagt haben, wurden sie von den Priestern verführt, die sie in ihrem Götzendienst hatten, und auch von den Häuptlingen, so dass sie abermals Götzen anbeteten und Opfer brachten, die nicht nur aus Räucherwerk, sondern auch aus Menschenblut bestanden; hierüber stellten die Mönche eine kirchliche Untersuchung an und baten den Oberrichter [Quijada, d. Verf.] um Hilfe, sie setzten viele gefangen und führten Prozesse gegen sie durch; und es wurde ein Autodafé abgehalten, bei dem sie viele auf Schaugerüste stellten, ihnen die Büßermütze aufsetzten, sie auspeitschten, sie kahlschoren und einigen für eine gewisse Zeit das Büßerhemd anzogen; andere, die vom Teufel getäuscht wurden, erhängten sich aus Trübsinn, und gemeinsam zeigten alle große Reue und den Willen, gute Christen zu werden. (20) An anderer Stelle fügt Landa hinzu: Wir fanden bei ihnen eine große Anzahl von Büchern mit diesen Buchstaben, und weil sie nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschungen des Teufels frei wäre, verbrannten wir sie alle, was die Indios zutiefst bedauerten und beklagten. (21)
Das auto de fé war der Höhepunkt, aber noch nicht das Ende des Franziskanischen Terror-Regimes (22), im Sommer 1562 in Yucatán. Landa sandte Mönche in eine andere Stadt, um auch dort Gerüchten über Götzenahnbeterei nachzugehen. Bei ihrer Ankunft flohen die Menschen und wollten nur mit ihnen sprechen, wenn ihr Encomendero anwesend war. In einem Ort erhängten sich zwei Personen, als das Kommen der Mönche angekündigt wurde. Bei dieser Untersuchung begnügten sich die Inquisitoren nicht mehr mit dem Aufhängen an den Armen, sondern wendeten die Wasserfolter an, bei der mindestens ein Mann starb.
Im August tauchten erstmals Aussagen über Menschenopfer auf, die die Maya in den letzten Jahren heimlich dargebracht haben sollten, zudem unter Missbrauch christlicher Symbole; die Zahl der Opfer (angeblich aus anderen Ortschaften geraubte Kinder) wurde in Landes persönlichen Aufzeichnungen immer größer und die Einzelheiten immer bizarrer. In der Provinzhauptstadt Mérida saßen wegen dieser vorgeblichen Verbrechen mehrere indianische Anführer im Gefängnis; sie erwartete ein neues auto de fé und es war anzunehmen, dass es für einige von ihnen, wegen der Schwere der ihnen vorgeworfenen Taten, mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen enden würde.
Inzwischen befürchteten die Encomenderos, dass die Situation außer Kontrolle geraten und zu einer gewaltsamen Erhebung der Indianer, ähnlich der von 1546/47 führen könnte. Zudem fehlte die Arbeitskraft der eingesperrten Indianer auf den Feldern und selbst diejenigen, die frei kamen, waren zum großen Teil nicht sofort arbeitsfähig. Vorstellungen der spanischen Siedler bei Landa, die ihn zum Abbruch des Massenterrors und zur Fortführung der Untersuchung auf einem geringeren Niveau bewegen sollten, wurden schroff zurückgewiesen. Eine offene Konfrontation mit dem Vertreter der geistlichen Macht in Yucatán wagten sie nicht. Unterstützung von seiten Quijadas als höchstem weltlichen Beamten war nicht zu erwarten, nachdem er durch seine Teilnahme an dem auto de fé vom 12. Juli das Vorgehen der Franziskaner ausdrücklich gebilligt hatte, möglicherweise gegen seine eigentlichen Intentionen. Deshalb wandten sich die Encomenderos heimlich an den anreisenden Bischof Toral mit der Bitte, er solle seinen Untergebenen Zügel anlegen. Mit seinem Eintreffen änderte sich die Situation tatsächlich sehr rasch. Nach anfänglichem Widerstreben der Mönche wurde die Inquisition im September 1562 beendet, die gefangenen Indianer freigelassen. Toral setzte statt dessen eine Untersuchung über die Legalität von Landes Aktionen an. Diese zog eine Anklage vor dem Westindienrat, dem höchsten Gremium der spanischen Kolonialadministration, nach sich, von der Landa schließlich 1569 freigesprochen wurde. 1573 kehrte Landa, als Nachfolger des verstorbenen Toral auf dem Bischofssitz (!), nach Yucatán zurück.
Die Inquisition des Jahres 1562 in Yucatán war in ihrem Umfang und ihrer Intensität wohl einmalig in der spanischen Kolonialgeschichte und doch lassen sich gerade an Hand dieses Beispiels einige verallgemeinernde Schlussfolgerungen ziehen:
1. Die Rehabilitierung (und schließlich sogar Beförderung) Landes zeigt, dass die Inquisition grundsätzlich als geeignetes Mittel angesehen wurde, um die spanische Kolonialherrschaft zu stabilisieren. Der Erlass von 1570, der dem Heiligen Offizium die Rechtsprechung über Indianer verbot, ist m.E. deshalb nicht Ausdruck einer negativen Bewertung der yucatekischen Vorkommnisse, wie es offensichtlich Clendinnen sieht (23). Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Die Etablierung der Provisoratos, als inquisitionsgleichem Apparat für Indianer auf der Ebene der Diözesen, könnte ein Resultat der Auffassung sein, dass Inquisitionsprozesse in Verantwortung der regionalen Kirchenadministration nach dem Muster Yucatans durchaus nützlich zur Disziplinierung der indianischen Bevölkerung waren.
2. Die erwähnte Einmaligkeit der Ereignisse bedeutet ebenfalls nicht zwangsläufig ein Verwerfen oder Scheitern des Herrschaftsinstrumentes Inquisition. Vielmehr scheint die Erfahrung der spanischen Kolonialelite aus Yucatán gewesen zu sein, dass für interne Konflikte, im Interesse des Erhalts der gemeinsamen Macht, Kompromisslösungen gefunden werden müssten, d.h. das von allen gewollte Vorgehen der Inquisition zur Disziplinierung der Indianer sollte die Interessen anderer Kräfte innerhalb dieser Elite möglichst wenig tangieren.
3. Es ist fast schon erschreckend festzustellen, wie groß die disziplinierende Wirkung der Inquisition auf die Indianer tatsächlich war. Trotz der ausufernden Gewalt der Franziskaner kam es zu keinen entsprechenden Gegenaktionen der Opfer. Inwieweit die Befürchtungen der spanischen Siedler über einen möglichen Aufstand berechtigt waren, lässt sich heute nicht mehr feststellen, aber die Tatsache, dass Landa später unbehelligt das Bischofsamt unter den Betroffenen ausüben konnte, spricht eher dafür, dass es bei ihnen zu dieser Zeit keine relevanten Kräfte gegeben hat, die den offenen Widerstand gegen die unheimliche Macht der Inquisition wagten.

 
 



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