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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Das k.k. staats-gymnasium


1. Drama
2. Liebe

Ein Musterbeispiel ist dafür das altösterreichische humanistische Gymnasium, dem der Zehnjährige
überantwortet wurde. Kafkas Gymnasium war im Kinsky-Palais untergebracht, einem Barockbau am Altstädter
Ring, wenige Schritte von der Wohnung der Familie entfernt. Kafkas Vater hatte diesmal zielbewußt gewählt:
Nicht nur wiederum eine deutsche Schule, sondern auch das humanistische Gymnasium, aus dem die Monarchie
ihren Beamtenbedarf zu rekrutieren pflegte.
Die äußere Würde des Baues am Altstädter Ring war ein treffender Ausdruck des Geistes, der die Anstalt
beherrschte. Jahrzehntealte k. k. Schulvorschriften machten einen Kontakt zwischen Lehrer und Schüler beinahe
unmöglich, forderten Respekt und förderten einen sinnlosen Paukbetrieb, dem persönliche Interessen des
Schülers gleichgültig waren. Die Anstalt pflegte am Jahresende einen gedruckten "Bericht" herauszugeben, und
in einem dieser Berichte schreibt Kafkas Klassenordinarius (den damaligen Maßstäben nach eher ein liberaler
Pädagoge) vom vorgeschriebenen "Arbeitskalender, der für das ganze Jahr bestimmt ist", erläutert
"Collectaneenhefte für grammatikalische Mustersätze" und erklärt am Schluß, daß dies sich natürlich besonders
gegen Schüler richte, "welche die Kunst des Fabulierens von Haus aus mitbringen".
In der Bildungsmaschine, durch die Kafka acht Jahre getrieben wurde, widmete sich fast die Hälfte der
Unterrichtsstunden den beiden klassischen Sprachen. Es hieß, man werde durch das Studium des Lateinischen
und des Griechischen in den Geist der antiken Welt eingeführt. Und auch moderne Bildung sei ohne diesen Geist
nicht zu erwerben. Kafka ist der antike Geist fremd geblieben. Höchst selten findet sich in seinen Tagebüchern
und Briefen auch nur der Name eines antiken Autors. Das gehäkelte Geschichtsbild konnte von den Schülern
nicht mit gegenwärtigen sozialen und politischen Gegebenheiten verglichen werden.
Dies wurde allerdings zu einer der Voraussetzungen der "Kritik" Kafkas: Weil die Möglichkeit eines Vergleichs
nicht bestand, hat er die Gesellschaft seiner Zeit zwar abstrakter, aber mit um so unerbitterlicherer Schärfe
gesehen. Der Deutschunterricht war fast wertlos, er zielte ausschließlich auf ein zitierbares Lehrbuchwissen ab.
Der Religionsunterricht war anders aufgebaut, führte aber zu ähnlichen Ergebnissen. Das Glaubensmaterial, das
Kafka überliefert wurde, war denkbar gering. Schon die Bar-Mizwah im dreizehnten Lebensjahr bedeutete Kafka
nicht mehr als ein lächerliches Auswendiglernen 10, da er kaum Kenntnisse im Hebräischen hatte (erst
fünfundzwanzig Jahre später begann er ein gründliches Studium).
In den letzten Gymnasialjahren wurde Kafkas Ablehnung alles Religiösen noch stärker: Ich habe in der
Erinnerung, daß ich in den Gymnasialzeiten öfters .... mit Bergmann - einem Mitschüler - in einer entweder
innerlich vorgefundenen oder ihm nachgeahmten talmudischen Weise über Gott und seine Möglichkeit
disputierte. Ich knüpfte damals gern an das in einer christlichen Zeitschrift gefundene Thema an, in welchem
eine Uhr und die Welt und er Uhrmacher und Gott einander gegenübergestellt waren und die Existenz des
Franz Kafka - Sein Leben und seine Werke
- Seite 3 -
Uhrmachers jene Gottes beweisen sollte. Das konnte ich meiner Meinung nach sehr gut Bergmann gegenüber
widerlegen .... 11
Die Unsicherheit Kafkas äußerte sich in unauffälliger Kleidung und scheuer Distanz. Ein Klassenkamerad
berichtet darüber:
"Wenn ich von Kafka etwas Charakteristisches sagen soll, dann ist es das, daß an ihm nichts Auffälliges war. Er
war immer rein und ordentlich, unauffällig und solid, aber niemals elegant gekleidet. Die Schule war für ihn
immer etwas, was ihn im Innersten nicht sehr berührte, was aber ordentlich gemacht werden mußte. Wir hatten
ihn alle sehr gern und schätzten ihn, aber niemals konnten wir mit ihm ganz intim werden, immer umgab ihn
irgendwie eine gläserne Wand. Mit seinem stillen, liebens-würdigen Lächeln öffnete er sich die Welt, aber er
verschloß sich vor ihr. Von meinen anderen Mitschülern könnte ich viel mehr sagen, weil sie als Freunde
mitteilsam waren. Was mir im Gedächtnis haftengeblieben ist, ist das Bild eines schlanken, hochgewachsenen,
jungenhaften Menschen, der so still aussah, der gut war und liebenswürdig, der freimütig jedes Andere
anerkannte und doch immer irgendwie entfernt und fremd blieb." 12
Die Entwicklung bis zur endgültigen Abkapselung beginnt hier, sie endet schon ein Dutzend Jahre später. Das
letzte Lebensjahrzehnt, in dem die entscheidenden Werke entstehen, ist nur noch durch die fortwährenden
vergeblichen Ausbruchsversuche aus der bereits fixierten Grundsituation gekennzeichnet.
Am Beginn dieser Entwicklung, bis zu jener Tagebucheintragung (1913) vom Wunsch nach besinnungsloser
Einsamkeit steht die Erkenntnis des Kindes, daß Schule wie Elternhaus die Eigentümlichkeit nicht dulden oder
zumindest, wie es an anderer Stelle heißt, daß meine Erziehung einen anderen Menschen aus mir machen wollte
als den, der ich geworden bin. Die verborgene Gemeinschaftssehnsucht des Abiturienten äußerte sich in dem
Wunsch nach Freundschaft, allerdings mit einer derartigen Radikalität erhofft, daß eine Erfüllung
unwahrscheinlich bleiben mußte. Die Freundschaft sollte den schon beträchtlich gestörten Kontakt nach außen
vermitteln. Diese Aufgabe fiel in der letzten Gymnasialzeit und den beiden ersten Universitätsjahren Oskar
Pollak zu, dem Reifsten der Klasse, von ausgesprochen entschiedenem Charakter, temperamentvoll, mit einem
seinem Alter weit vorauseilenden kunsthistorischen und naturwissenschaftlichen
Interesse. Pollak war in der Freundschaft zweifellos der Führende. Kafka gab ihm sogar Manuskripte zur
Beurteilung - in späteren Jahren las er höchstens Eigenes vor und forderte nie ein Urteil. In der Universitätszeit,
als Pollak sich schon von ihm zu lösen begann, schreibt Kafka an ihn: Unter allen den jungen Leuten habe ich
eigentlich nur mit Dir gesprochen, und wenn ich schon mit andern sprach, so war es nur nebenbei oder
Deinetwegen oder durch Dich oder in Beziehung auf Dich. Du warst, neben vielem anderen, auch etwas wie ein
Fenster für mich, durch das ich auf die Gassen sehen konnte. Allein konnte ich das nicht .... 13
Unter dieser Konstellation hat zweifellos die Freundschaft gelitten, es wird nur irgendein Arm gesucht.

 
 

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