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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Caesaristische identifizierung und falsche konkretheit: die verschwörertheorie in der geschichte


1. Drama
2. Liebe

Caesaristische Identifizierungen spielen in der Geschichte häufig dann eine Rolle, wenn die Situation von Massen objektiv gefährdet ist, sie unfähig sind, historische Prozesse zu verstehen und dadurch die entstehenden Ängste geschickt zu neurotischen Ängsten manipuliert werden können. Indes, nicht jede Gefahrensituation muß dies zur Folge haben, nicht jede Massenbewegung auf Angst beruhen und caesaristisch sein. Wie sind also die historischen Bedingungen, unter denen eine regressive Massenbewegung unter einem Führer versucht, politische Macht zu erringen?
Zunächst muß man dabei auf ein Indiz hinweisen, daß uns erlaubt, den regressiven Charakter einer solchen Massenbewegung frühzeitig zu diagnostizieren. Überall da, wo in der Politik affektive Führer-Identifizierungen (also caesaristische) vorkommen, besitzen Masse und Führer ein ganz konkretes Geschichtsbild: Das Unglück der Masse resultiert ausschließlich aus einer Verschwörung bestimmter Personen oder Gruppen gegen das Volk. (Als Beispiel sei hier nur die angebliche, von den Nationalsozialisten propagierte \"Konspiration des Weltjudentums\" gegen das Deutschland der 20er und 30er Jahre genannt.)
Dieses Geschichtsbild ist zwar eine falsche Konkretheit, besitzt aber immer ein Körnchen Wahrheit, und sei dieses auch noch so klein. Anders könnte es nicht überzeugend wirken. Die Bewegung ist dabei umso regressiver, je falscher das Geschichtsbild dargestellt wird. Die \"teuflischen Verschwörer\", die Feinde, in der Analyse lediglich als Sündenböcke darzustellen, ist dabei eine eklatante Mißachtung der Tatsachen. Die Gegner stehen für die Massen als echte Feinde da, die es aufzuspüren und zu vernichten gilt. Mit diesem Geschichtsbild soll die Realangst, beruhend auf Krieg, Not, Anarchie etc., in neurotische Angst verwandelt und durch totale Identifikation mit dem Führer - also völligem Ich-Verlust - überwunden werden. Das dabei die Interessen des Führers nicht notwendig denen der Massen entsprechen müssen, muß hier wohl nicht betont werden. Ein Zusammenhang zwischen diesem Geschichtsbild und dem Caesarismus kann man anhand historischer Beispiele erkennen, wie das Vorgehen Cola di Rienzos im Rom der ersten Hälfte des 14.Jh. oder die Handlungen der wesentlich an den acht französischen Religionskriegen des 16.Jh. beteiligten Parteien (Hugenotten, Katholiken und Politiques).
In der historischen Analyse lassen sich dahingehend fünf Grundtypen von Verschwörungstheorien herauskristallisieren, die sämtlich folgende Reihenfolge zeigen: Intensivierung der Angst durch Manipulation, Identifizierung und falsche Konkretheit. Es handelt sich dabei um die Jesuiten-, Freimaurer-, Kommunisten-, Kapitalisten- und Juden-\"Verschwörung\". Die Vorwürfe an diese Gruppen und Vorgehensweisen der Gegner liefen immer nach o.g. Schema ab, d.h. Ausnutzung der potentiellen Ängste der Massen um Familie, Eigentum, Moral oder Religion und damit Beschwörung einer totalitären Massenbewegung durch Hinweise auf die Verschwörergruppe unter Vorgabe falscher geschichtlichen Konkretheiten. Als besonderes Beispiel wegen seines ungeheuren politischen Einflusses behandelt Neumann diesbezüglich die Theorie der Weltverschwörung der Juden gemäß den 1897 formulieten Protokollen der Weisen von Zion. Diese proklamieren die Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft durch Gewalt, Korruption, zersetzenden Liberalismus etc. Daß diese Protokolle eine von zaristischen Russen erstellte Fälschung sind, hat der Berner Prozeß der Jahre 1934/35 bereits deutlich klargestellt, aber wo liegt dann das dringend benötigte Körnchen Wahrheit, das den Beschuldigungen in den anderen Grundtypen der Verschwörungstheorien innewohnte? Hier beschränkt Neumann seine Analyse auf das Deutschland der NS-Zeit:
Seiner Ansicht nach ist das deutsche Volk das am wenigsten antisemitische. Deshalb konzentrierte sich der Nationalsozialismus auf diesen Punkt als die zentrale politische Waffe, da sich die relative Unerfahrenheit der Deutschen dieser Zeit mit Feindbildkonstruktionen und Hetzkampagnen solch außergewöhnlicher Art leicht nutzbar zu machen schien. Dabei ist das Wahrheitselement zunächst religiöser Natur: die Blutschuld der Juden durch die Kreuzigung Christi. So bildet eine historisch-religiöse Diffamierung der Juden eine Basis, ohne die der Antisemitismus nicht ausgelöst werden kann. Die Existenz eines schließlich totalen Antisemitismus kann aber nur unter Betrachtung der NS-Politik und seiner Einordnung in das politische System verstanden werden.
Das Deutschland der Jahre 1930-1933 ist ein Land großer Entfremdung und Angst, die Niederlage 1918, Inflation, Arbeitslosigkeit, Ablehnung des politischen Systems etc. sind Symptome moralischer, sozialer und politischer Heimatlosigkeit. Diese Ängste schürte und stimulierte das NS-Regime, und es ließ sie mit seiner Politik des Terrors und Antisemitismus´ beinahe zu neurotischen Ängsten werden. Um dieses vielfach gespaltenen Volk nun seinen Zielen vollends nutzbar zu machen und es in den eigenen Meinungsbereich zu integrieren, brauchte es aber ein Mittel des Zusammenschweißens. Was lag näher als das Propagieren eines Feindes? Der Bolschewismus war zu stark, und die katholische Kirche wurde politisch gebraucht. Es blieben also die Juden, Fremde im eigenen Land, trotz ihrer objektiven Schwäche subjektiv als mächtig empfunden und als erfolgreiche Konkurrenten in den wesentlichen - kapitalistischen und kulturellen - Bereichen dargestellt. Damit hatte die These der jüdischen Weltverschwörung ihr Wahrheitselement gefunden, um das Geschichtsbild einer falschen Konkretheit zu unterwerfen. Es ist dabei zwar mit den Tatsachen nicht übereinstimmend, verschiedenen gesellschaftlichen Schichten eine größere Immunität gegenüber Antisemitismus zu bescheinigen als anderen, aber ein Zusammenhang zwischen sozialem Abstieg und Antisemitismus besteht durchaus. Die Furcht vor sozialer Degradation schafft sich so \"ein Ventil des Ressentiments, das aus verletzter Selbstachtung entsteht.\"

 
 

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