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wirtschaft artikel (Interpretation und charakterisierung)

Ein aussteiger



Michael ist 15 und hat seine Zeit als \"Bonehead\" hinter sich. Er will sich ändern und verhökert seine Ausrüstung aus rechten Schläger-Zeiten. Er weiß, es war falsch, Ausländer und Linke zu verprügeln. Nur hat er für seinen Sinneswandel eine seltsame Begründung.



Stefan Schirmer


Die Hoffnung ist schwarz-blau. Eine Packung Haarfärbemittel steht auf dem Regal in Michaels Zimmer. \"Die Farbe steht dir bestimmt gut\", sagt seine Freundin Anne und fährt mit ihrer zierlichen Hand über Michaels Kopf. Raspelkurze Haare bedecken die Schädeldecke, der Rest ist rasiert. Zumindest wächst wieder was, und bald soll sogar Farbe hin, wo bis vor zwei Wochen nur Glatze war. Und noch ein Zeichen der Hoffnung: Seine schwarzen Jeans trägt Michael jetzt lang. Nicht mehr hochgekrempelt bis an die Waden, damit die wuchtigen Springerstiefel zur Geltung kommen. Er will jetzt sein Leben umkrempeln, sagt Michael. Ein junges Leben. In einer Ecke seines Zimmers sitzt Alf als Stofftier. Wimpel und Fanschals spannen sich über die Wände - gelb-schwarze von Dynamo Dresden, rote vom 1. FC Köln. In der Kieferschrankwand parken Autos in Miniaturgröße. Ein durchschnittsdeutscher Raum wie aus dem Ikea-Katalog, Abteilung Jugendzimmer. Auf dem Bett hockt Anne, wie Michael 15 Jahre alt, und herzt Meerschweinchen Lumpi, das neuerdings hier wohnt. An Michaels Vergangenheit erinnert nur noch eine herumliegende CD der rechtsextremen Kapelle \"Kraftschlag\". Eines der Lieder heißt: \"Wir sind Skins aus dem großdeutschen Reich.\" Im April wurde auch Michael einer.

Er schwänzte die Schule. Er schor sich eine Glatze, trieb sich tagelang mit den neuen Springerstiefeln an den Füßen in Dresden herum - ohne heimzukommen nach Coswig in den sanierten, in Pastellfarben getauchten Plattenbau am Stadtrand von Dresden. In einer Traube von 20 bis 30 jungen Skins zog der lange, schlacksige Michael durch die Dresdner Neustadt. Die Kahlkopf-Clique vergriff sich erst an Bier und Jägermeister, dann an Linken, oder solchen, die sie dafür hielt: den \"Zecken\". \"Ich habe fast jeden Tag zugeschlagen\", sagt Michael. Es klingt unbeteiligt. Bei Nachfragen wird er ziemlich einsilbig. \"Mist\" habe er gebaut - \"Scheiße\", sagt er kleinlaut, während seine Hände ziellos in den Hosentaschen graben. Mit ihnen hat er früher geprügelt, mit bloßen Fäusten. So kannte er es, seit er 13 war: Mit seinen Hooligan-Freunden ging er nach den Spielen von Dynamo Dresden auf andere los. Der Skin Michael, kräftig gebaut und Gleichaltrigen körperlich um Jahre voraus, schlug seinen Opfern die Augen dick und blau, Augenbrauen und Nasen blutig. Einem Punker riss er ein Haarbüschel vom Kopf. Er ohrfeigte einen Jugendlichen, um an dessen Dynamo-Shirt zu kommen. Er schlug einem dunkelhäutigen 12-Jährigen ins Gesicht. Er schmierte ein Hakenkreuz an eine Hauswand. Im Unterricht rief er \"Heil Hitler\". Er beleidigte Lehrer, Polizisten, Busfahrer. Seine letzte Schule warf ihn raus.

Zu Hause am Wohnzimmertisch versucht sich Holger Fischer (Name geändert) an einer Kriminalstatistik der Akte \"Michi\". Er wühlt in Briefen von Polizei und Staatsanwaltschaft an seinen Sohn. Sie lesen sich wie ein Streifzug durch das Strafgesetzbuch: Es geht um Körperverletzung, räuberische Erpressung, Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Mehr als 30 Delikte werden Michael zur Last gelegt. \"Ich blicke nicht mehr durch\", stöhnt Vater Fischer. \"Petra, was war noch mal die letzte Straftat?\" Nun kramt auch die Mutter im verstreuten Papier. Ein Häuflein Chaos im Wohnzimmer, das Ordnung ausstrahlt mit seinen vielen gerade aufgereihten Vasen neben den Porzellan-Kerzenständern mit rosa Röslein-Dekor, der Stehlampe mit den Fransen. Die Eltern sitzen schweigend auf der Couch, als wären sie gefordert, augenblicklich den Sinn des Lebens zu erklären.

Das Telefon klingelt. \"Bestimmt der Sven, der will was kaufen\", ruft Michael und geht ran. Es spricht sich herum, dass er seine Skin-Ausrüstung verhökert. Alles, von den 14-Loch-Springerstiefeln und den \"Skinhead Deutschland\"-Hemden bis zu den Pins: Ansteckern in Kronkorken-Größe, auf denen etwa Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß abgebildet ist mit der Inschrift \"Ich bereue nichts\". Alter Kaufpreis fünf Mark, Verhandlungsbasis zwei Mark. Manches gelangt nicht in den Skin-Schlussverkauf, weil die Polizei es bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt hat. Der Rucksack zum Beispiel, auf den Michael ein Hakenkreuz gemalt hatte. \"Darüber war ich schon ein bisschen traurig\", sagt Anne, mit der Michael nun acht Wochen zusammen ist. Auf dem Rucksack von Michael steht nämlich auch: \"I love Anne.\"

\"Naja, ich hatte auch eine kleine rechte Meinung gehabt\", sagt Anne und steckt das Meerschwein zurück in den Käfig. Ausländern habe sie früher manchmal Schimpfwörter hinterhergerufen. \"Zecken\" auch. Sie stockt. \"Ich sag\' jetzt mal: Linken.\" Eine Umschreibung, die dann auch Michael übernimmt. Man muss ihm die Gründe, warum er sich wandeln will, aus der Nase ziehen. Oft springt Anne ein: \"Er hat zuletzt oft mit seinem Opa gesprochen. Der hat ihm gesagt, dass Ausländer die deutsche Wirtschaft mit aufgebaut haben.\" Sie würde Michael \"ins Gesicht spucken\", sagt Anne, wenn der wieder zum rechten Schläger würde. Ihre Freundinnen finden, so einer sei kein Umgang für sie. Michael selbst sagt: \"Ich bereue alles. Bringt nur Ärger.\" An einer Bushaltestelle nahm er vor Monaten mit zwei Kumpeln einer Achtzigjährigen ihre Handtasche ab. In einem Leserbrief an die \"Sächsische Zeitung\" hat er sich dafür entschuldigt. Seit drei Wochen besucht er eine neue Schule. Bis auf 25 Stunden gemeinnützige Arbeit hat Michael bisher keine Buße für seine Taten leisten. Die Strafverfahren laufen noch. \"Er war immer schon wild, hyperaktiv\", erzählt Petra Fischer. Sie ist 39 Jahre alt, von Beruf Köchin. Ihr Mann war oft auf Schicht im Druckmaschinenwerk, wenn wieder mal die Polizei anrief, den \"Michi\" am Wickel hatte. \"Michi\" nennt Petra Fischer noch immer liebevoll den Sohn, der sie längst um einen Kopf überragt. Ihr Bild vom Sohn ist nicht das eines Schlägers. Wenn sie an Michi denkt, denkt sie an den Jungen, der abends im Krankenhaus seiner Oma Stullen schmierte, als ihr der Krebs im Endstadium die Hände band. Von den Großeltern gab es Geld für jedes Tor, das der Junge als Stürmer bei \"SpVgg Grün-Weiß Coswig\" schoss. Geld war nie das Problem.

\"Das Schlimme ist, dass man Michael leicht beeinflussen kann\", sagt Gisela Dethloff, bis kürzlich seine Klassenlehrerin. Michael wisse nicht, wo er hingehöre. Er suche nach Anerkennung. Leichte Beute also für die Kahlkopf-Clique, an der Michael bis heute gut findet, dass \"die jeden für voll genommen haben\". Rechte Kumpels zogen Michael mit auf NPD-Demos. Da machte er schnell Bekanntschaften. Im Alltag werden die Straßen von Dresden zur Kontaktbörse, wenn man oben kahl herumläuft und sich mit \"Heil dir\" anspricht. Aber damit - wie mit der ganzen Gewalt - soll bei Michael von jetzt an Schluss sein? Seine Hand würde er dafür nicht ins Feuer legen, gesteht Michaels Vater. \"Ich denke nur von Woche zu Woche.\" Er hofft, dass die Drohanrufe aus der rechten Szene keinen Eindruck auf seinen Sohn machen werden. Diese Leute, die ihm sagen, er soll seinen Mund halten.

Lehrerin Dethloff überlegt lange und sagt dann: \"An Michael zu glauben fällt schwer, weil er wie eine Marionette bedienbar ist.\" Ein \"Junge mit zwei Gesichtern\". Unter vier Augen sehr höflich; wenn er aber Publikum hat, müssen ihm schon mal auf einem Gehweg alle ausweichen, sogar Mütter mit Kinderwagen. Es ist schwer, an Michael heranzukommen. Hat er die rechten Ansichten seiner Glatzen-Clique verinnerlicht? Versatzstücke gibt er noch von sich. Etwa dass es \"undeutsch\" sei, eine Frau auszurauben, wie er es gemacht hat. Warum er es getan hat? \"Einfach so.\" - Was das heißt? \"Weiß ich nicht.\" Er weiß so einiges nicht.

Den Adler auf der Deutschlandfahne, die früher an seiner Wand hing und nun sauber gefaltet in einer Schublade steckt, hält er für verboten - das offizielle Bundeswappen. Er weiß nicht, was Aussiedler sind, von denen viele in seiner Nachbarschaft wohnen. Aber er hat kapiert, dass es Ärger gibt, wenn er Hakenkreuze malt.

Und er weiß, dass seine Freundin Anne ihm immer freudestrahlend ein Küsschen aufdrückt, wenn er wiederholt: \"Ich will mich ändern.\" Oder wenn sie darüber reden, dass er bald schwarz-blaue Haare haben wird. Michael zündet sich eine Zigarette an. \"Er sollte weniger rauchen\", sagt Anne. Aber das sei wohl noch schwieriger, als sich abzugewöhnen, ein rechter Schläger zu sein.

 
 

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