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philosophie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Verwirrendes





Abgesehen von der Unmöglichkeit originalgetreu zu übersetzten, den nationalen Differenzen in der Bedeutung eines Vokabels und dem Unvermögen der Sprache, die Welt einerseits so auszudrücken, wie sie ist und andererseits unsere wahren Gedanken zu transportieren, gibt es noch zwei weitere Phänomene der Sprache, auf die es sich lohnt, genauer einzugehen. Es sind dies die persönliche Auffassung eines Wortes und die Einstellung ihm gegenüber auf der einen Seite und andererseits die Interdependenzen innerhalb unserer Kommunikation, die so gebräuchlich geworden sind, daß sie meist nicht mehr auffallen.
Schon leichte Auffassungsunterschiede zwischen zwei Gesprächspartnern können zu totaler Konfusion und groben Mißverständnissen führen. Vor kurzem erst ist es mir selbst passiert, daß ich einen Klassenkollegen, mit dem ich in ein philosophisches Gespräch vertieft war, komplett mißverstanden habe und selbst mißverstanden wurde. Wir benötigten etwa eine Viertelstunde, bis wir herausfanden, daß wir eigentlich haargenau dasselbe meinten, aber deshalb aneinander vorbei redeten, weil wir unter etlichen Worten nicht dasselbe verstanden. Obwohl wir beide deutsch sprachen, kaum komplizierte Fremdwörter verwendeten und uns durchaus im klaren waren, welchen Sinn die einzelnen Sätze hatten, war die Desinformation perfekt. Um die weiter oben erwähnte Hypothese der notwendigen Negentropievermehrung durch Sprache/Information aufrecht erhalten zu können, tut es an dieser Stelle wahrscheinlich not, zu erklären, daß innerhalb des Systems des (Des-)Informationsempfängers selbst Desinformation als Information gedeutet werden muß, da erstens dieser die Desinformation nicht als solche erkennt (und wenn, dann ist sie keine mehr) und zweitens daher aus seiner Relativitätsebene heraus betrachtet, sehr wohl Entropie verringert wurde, auch wenn das dadurch entstehende Ordnungs-Informations-Kontinuum von außen betrachtet bloß ein scheinbares ist; Wahrheit existiert eben nie im Singular und die Wirklichkeit ist nichts weiter als ein Messer ohne Klinge, an dem der Griff fehlt. Persönliche Färbung einzelner Worte kann also (oder besser: muß notwendigerweise) zu größeren oder kleineren Mißverständnissen der Gesprächspartner führen. Das ist auch mit ein Grund, warum die meisten philosophischen Texte auf Dutzende Seiten ausgebreitet werden. Man könnte nämlich sonst den Autor sehr leicht mißverstehen und der Text würde in hohem Maße angreifbar werden, es wäre also ungleich leichter, sein Gegenteil zu \"beweisen\", obwohl der Beweisführer unter Umständen der selben Meinung wie der ursprüngliche Autor ist. Mein Klassenkollege und ich kamen also zu keinem Konsens, weil wir mit unterschiedlichen Worten dasselbe sagen wollten. Aber vice versa ist es auch möglich, mit denselben Worten etwas ganz Unterschiedliches auszudrücken, was einerseits wieder zu Konfusion führen kann, andererseits ist es aber immer wieder amüsant, mittels dieser Möglichkeit unterschwellige Anspielungen und ironische Winke mit dem Zaunpfahl Richtung Gesprächspartner zu versenden.
Die Interdependenz ist eine noch viel heiklere Angelegenheit. Sie bezeichnet die Abhängigkeit von der Abhängigkeit von der Abhängigkeit und so weiter bis in alle Ewigkeit und kaum begeben wir uns in ihre Hände, fahren wir Schlittschuh auf sehr dünnem Eis, denn in dieser Welt dreht sich tatsächlich alles im Kreis. \"Was denkt er, daß ich denke, daß er denkt, daß ich denke...\" ist die prinzipielle Frage der Interdependenz. Was das aber nun für die Kommunikation bedeutet, liegt auf der Hand: Unsere Äußerungen werden von der Meinung über die Meinung unseres Gegenübers über uns selbst abhängen. Meist kommt es nur zu drei oder vier Ausschlägen des \"Interdependenzpendels\", d. h. es gibt nur drei oder vier Interdependenzebenen, alles andere würde unserer semantischen linken Hemisphäre zu komplex und wird eher von der Intuition ver- und bearbeitet. Sehen Sie sich bloß einmal Menschen an, die über ihre Beziehung zueinander reden (dabei muß es sich gar nicht um gegengeschlechtliche Personen handeln): Da steigen der Puls und die Adrenalinkonzentration, die Körpersprache nimmt beinahe athletische Formen an und vor allem wird dann vor jedem gut abgewogen Satz, denn immerhin könnte er ja peinlich wirken oder mißverstanden werden, gedacht: \"Was denkt er, daß ich denke, daß er... \".
Daß eine gewisse Skepsis gegenüber der Sprache aufkeimen mag, wenn man sich all diese ihre Eigenschaften genauer vor Augen führt, ist, glaube ich, logisch und durchaus verständlich. Ihr ist nicht zu trauen, und dennoch ist sie ein schillerndes Mittel, um Menschen zu manipulieren und zu steuern. Das Ändern des Chargons, das plötzliche Leiserwerden, ein bedeutendes Schweigen, ein Emotionssturm in der Sprache, all dies veranlaßt Menschen zu akrobatischen, entlarvenden, faszinierenden Gebärden und Reaktionen. Wie Insekten erscheinen sie plötzlich, von ihren Instinkten getrieben steuern sie zielgerichtet auf ein Blüte zu und lassen sich dort zufrieden-emsig, flügelchenschlagend nieder. Man muß Menschen beim Reden zusehen, und man erlebt seine Wunder! Was wir allerdings brauchen, sind Menschen, die zu gepflegter, wortreicher Sprache fähig sind, was wir brauchen, sind Überredungskunst, das gewisse Etwas in einer Diskussion, die auf das übliche entbehrliche Geschwafel verzichtet, Kreativität und Mut zur Avantgarde. Worte müssen an ihren Empfängern kleben bleiben können! So erschließt sich uns die Sprache, Erwartungen erfüllen sich von selbst, und wir kommen in den Genuß des Beobachtens. Es liegt mir im Gemüt, viel zu oft die Rolle des außenstehenden Beobachters zu spielen, und oft schon habe ich diesen Zug an mir verteufelt, doch ist er es, der mir immer wieder Einblicke in das System der vielen kleinen Räderchen erlaubt, die zusammengenommen unsere Welt ergeben.

 
 



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