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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Wiener geschichte 1918-1934





Nach dem Niedergang der Donaumonarchie nach der militärischen Niederlage der Mittelmächte im ersten Weltkrieg konstitutionierten sich die Reichstagsabgeordneten der deutschsprachigen Siedlungsgebiete in der österreichischen Reichshälfte am 21. Oktober 1918 als "provisorische Nationalversammlung des selbständigen, deutsch-österreichischen Staates". Am 12. November 1918, einen Tag nachdem Kaiser Karl auf "jeden Anteil an den Staatsgeschäften" verzichtet hatte, wurde per Gesetz die Republik als Staatsform festgelegt, der neue Staat zum Bestandteil der deutschen Republik erklärt, dem Hause Habsburg alle Vorrechte entzogen, sämtliche Organe (Ministerien, parlamentarische Körperschaften) der Monarchie aufgelöst und die Wahl einer konstituierenden Nationalversammlung auf Grundlage des allgemeinen Wahlrechts im Jänner 1919 angeordnet. Keines der drei relevanten politischen Lager (Sozialdemokraten, Christlich-soziale und deutsch-liberale Gruppen und Landbund, später Großdeutsche Volkspartei) hatte diese Staatsgründung angestrebt, sie alle waren der Überzeugung, das "neue" Österreich sei in der Form nicht lebensfähig und behielten daher auch nach dem Anschlußverbot im Friedensvertrag von Saint-Germain die Verbindung mit Deutschland in ihren Parteiprogrammen (Erst mit der Machtergreifung Hitlers 1933 änderten die Sozialdemokraten ihr Programm).
Aus den Wahlen am 16. Februar 1919 gingen die Sozialdemokraten mit 72 Mandaten als die Stärkste Kraft hervor, gefolgt von den Christlich-sozialen mit 69 und den Deutschnationalen mit 26 Mandaten, was eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und Christlich-sozialen zur Folge hatte. Karl Renner wurde Staatskanzler und der christlich-soziale Jodock Fink Vizekanzler, die Schlüsselressorts der Regierung ( Äußeres, Soziale Verwaltung, Heer, Schulwesen) wurden mit Otto Bauer, Ferdinand Hanusch, Julius Deutsch und Otto Glöckel allerdings ausschließlich mit Sozialdemokraten besetzt.
Die während der Massenstreiks 1918 auf lokaler Ebene entstandenen Arbeiterräte, die sich am 1. März 1919 zu einem Arbeiterrat für die gesamte Republik konstituierten, versuchten, gestärkt durch die Machtergreifung der Arbeiterräte in Bayern und Ungarn, mit Gewalt eine "Diktatur des Proletariats" zu errichten. Von Anfang versuchte die Führung der Sozialdemokraten diese Tendenzen zu unterbinden, nutzten aber gleichzeitig den Druck der Straße um alte Forderungen durchzusetzen, denen die Christlich-sozialen, um "schlimmeres" zu vermeiden, nachgaben. So wurden z. B. der Achtstundentag, bezahlter Urlaub, Arbeitslosenversicherung, Kollektivverträge, erweiterte Krankenversicherung, Invalidenführsorge, Schtzbestimmungen für Frauen- Kinder- und Nachtarbeit, die Errichtung der Arbeiterkammer, die Einführung von Betriebsräten usw. durchgesetzt.
Am 4. Mai 1919 fanden schließlich in Wien die ersten Gemeinde- und Bezirksvertretungswahlen nach allgemeinem Wahlrecht statt. Sie brachten den Sozialdemokraten 100 und den Christlich-sozialen 50 von insgesamt 165 Mandaten und beendeten damit zwei Jahrzehnte auf eingeschränktes Wahlrecht gestützte Herrschaft der Christlich-sozialen in Wien. Mit Jakob Reuman wurde erstmals ein Sozialdemokrat wiener Bürgermeister und zum ersten Mal in der Geschichte stand eine Millionenstadt unter sozialdemokratischer Herrschaft.
Nach zwei gescheiterten Putschversuchen des Arbeiterrats, die von der Polizei blutig niedergeschlagen wurden und der Auflösung der Arbeiterräte in Ungarn und Bayern, verlor dieser auch in Österreich seine Bedeutung. Durch das Wegfallen des revolutionären Drucks, der die Koalitionspartner geeint hatte, traten die Konflikte zwischen ihnen deutlicher hervor. Vieles, was die Christlich-sozialen unter dem Zwang der Umstände akzeptiert hatten, wurde nun wieder von ihnen bekämpft.
Am 10. April 1920 zerbrach schließlich die Koalition und wurde durch eine Proporzregierung ersetzt. Die wichtigste Aufgabe dieser Regierung bestand in der Schaffung einer neuen Verfassung. Vor allem die Frage des Verhältnisses zwischen Zentralstaat und den neuen Bundesländern sorgte für Differenzen. Da sich die Wählerbasis der Sozialdemokraten hauptsächlich auf Wien beschränkte, waren die Christlich-sozialen daran interessiert, die Hauptstadt von Niederösterreich, dem bevölkerungsreichsten und größten Bundesland loszulösen. Die Sozialdemokraten stimmten diesem Vorschlag schließlich zu, da sie darin eine Möglichkeit sahen, in Wien auf Basis klar gesicherter Mehrheitsverhältnisse eine modellhafte Stadtverwaltung zu errichten, was zur Folge hatte, das ausschließlich Sozialdemokraten zu amtsführenden Stadträten gewählt wurden . Das Trennungsgesetz vom 29. Dezember 1922 führte schließlich aus, was bereits in der neuen Bundesverfassung vom 10. November 1920 festgelegt war.
Die ersten Jahre der sozialdemokratischen Regierung in Wien waren geprägt von Inflation und Massenarbeitslosigkeit. Die Metropole eines einstmaligen 54-Millionen -Reichs war abgeschnitten von ihren ehemaligen Rohstoffquellen und Nahrungsliferanten und belastet mit einem überdimensionierten Verwaltungsapparat und schwer defizitären städtischen Monopolbetrieben. Um Geld in die leeren Stadtkassen zu bringen, aber die nötige Steuerbelastung nicht zu schwer ausfallen und die Verarmung nicht weiter fortschreiten zu lassen, wurden Steuern geschaffen, die vor allem die Besitzenden treffen sollten: Die an der Lohnsituation orientierte Fürsorgeabgabe, die Luxussteuern, die Hauspersonalabgabe usw. brachten bereits 1921 einen Budgetüberschuß. Von großer Bedeutung war außerdem die 1922 beschlossene allgemeine Mietzinsabgabe und die auf ihr aufbauende Wohnbausteuer, die zur Gänze für den Wohnbau zweckgebunden war.
Bei den Wahlen im Oktober 1923 konnten die Sozialdemokraten sowohl auf Bundes- als auch auf Gemeindeebene dazu gewinnen. Erstmals sahen die Sozialdemokraten eine Chance, auf demokratischem Wege ein sozialistisches Österreich zu errichten Auch das im Oktober 1926 beschlossene Linzer Programm hielt an den Regeln der Demokratie fest, wurde aber von vielen Gegnern der Partei als Bekenntnis zu Gewalt gedeutet, da es für den Fall des Ausserkraftsetztens demokratischer Regeln durch das Bürgertum zum bewaffneten Widerstand aufrief.
Mit zunehmendem Einfluß der Sozialdemokraten auch auf Bundesebene verstärkte sich auch die Polarisierung zwischen den Sozialdemokraten und den Christlich-sozialen, unterstützt noch durch das Anwachsen bewaffnetet Verbände der beiden Lager. Zwischen dem republikanischen Schutzbund auf Seiten der Sozialdemokraten und der Christlich-sozialen Heimwehr kam es wiederholt zu blutigen Zusammenstößen. Die Folgenreichste ereignete sich am 27. Jänner 1927 in der burgenländischen Gemeinde Schattendorf. Nachdem beide Verbände dort zu Kundgebungen aufmarschiert waren, sich aber bereits auf ein Ende ihrer Versammlungen einigen konnten, fielen aus dem Gasthaus, in dem sich die Heimwehr versammelt hatte Schüsse, die einen siebenjährigen Buben und einen Kriegsinvaliden töteten. Die Tat löste unter den Sozialdemokraten ungeheure Empörung aus, am Tag der Beerdigung der Opfer wurde im ganzen Land die Arbeit für 15 Minuten niedergelegt, und der roten Führung gelang es nur mit Verweisen auf die erhoffte Bestrafung der Täter durch ein ordentliches Gericht ihre Anhänger unter Kontrolle zu halten. Nach Bekanntwerden des Freispruchs der Täter durch ein offensichtliches Fehlurteil der Geschworenen am Abend des 24. Juli kam es am nächsten Morgen zu einer spontanen Massendemonstration der Sozialdemokraten, von der auch die Parteispitze überrascht wurde. Da weder Polizei noch Militär auf die Protestkundgebungen vorbereitet waren, wurden sie von der Menge immer weiter zurück gedrängt und mußten sich schließlich in den Justizpalast zurückziehen. Die Demonstranten drangen nun auch in den Justizpalast ein, legten Feuer und hinderten die Feuerwehr an den Löscharbeiten. Nachdem es Julius Deutsch und Bürgermeister Seipel beinahe schon gelungen war, die Menge zu beruhigen, räumten Polizeieinheiten unter Einsatz von Schußwaffen den Platz. Die Bilanz: 89 Tote und hunderte Verwundete.
Der Brand des Justizpalastes hatte für viele Menschen das von den Christlich-sozialen gezeichnete Schreckensbild der Sozialdemokratie bestätigt, die Heimwehr hatte sich als wirksames Mittel dagegen erwiesen und erfreute sich eines starken Zustroms. Die Sozialdemokratie war in die Defensive gedrängt und die Regierung tat ihr möglichstes um ihre Position, vor allem in Wien zu schwächen. Durch Einsetzten der Weltwirtschaftskrise nach dem "Schwarzen Freitag" und der durch neue Verteilungsgesetzte deutlich geringeren finanziellen Mittel stieg die Armut und Arbeitslosigkeit wieder rapide. Obwohl die Sozialdemokraten aus den letzten freien Wahlen der ersten Republik am 9. November 1930 als stärkste Partei hervorgingen, bildete sich erneut eine Koalition aus Christlich-sozialen und Großdeutschen, die allerdings nach diversen Differenzen und Fehlschlägen bereits 1932 scheiterte. Um Neuwahlen zu verhindern (die zum zweiten Mal kandidierenden Nationalsozialisten hatten die Christlich-sozialen in mehreren Gemeindewahlen bereits überholt) bildete der damalige Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß eine Koalition aus Christlich-sozialen, Landbund und Heimatblock, die über eine Mehrheit von nur einer Stimme verfügte. Nach der "versehentlichen" Selbstausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 regierte Dollfuß aufgrund des "kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetztes" diktatorisch weiter und setzte die Angriffe auf die Sozialdemokratie nun ungehindert fort. Wien wurden die letzten finanziellen Unterstützungen gestrichen, die Stadt wurde sogar zu gewissen Abgaben verpflichtet und somit die roten Funktionäre noch vor ihrer eigentlichen Ablösung entmachtet. Im Jänner 1934 wurden die Forderungen nach einer völligen "Umgestaltung" Österreichs von Seiten der Heimwehr und Mussolinis immer lauter. Dollfuß ging daran, den ohnehin schon verbotenen Schutzbund zu entwaffnen und lies sozialdemokratische Parteiquartiere durchsuchen. Als die Polizei die Linzer Parteizentrale durchsuchen wollte, leisteten die dort anwesenden Schutzbündler unter der Führung von Richard Bernaschek bewaffneten Widerstand. Der Bürgerkrieg hatte begonnen.
Die Partei, die Waffengewalt nur für den Fall eines Verbots der Partei oder der Gewerkschaften, einer faschistischen Verfassung oder einer Entmachtung der wiener Sozialdemokraten vorgesehen hatte, zögerte bis gegen Mittag, bevor sie den E-Werken die Anweisung zur Abschaltung des Stromes, das vereinbarte Zeichen für den Generalstreik, gab. Zu dem Zeitpunkt waren die einzelnen Schutzbundverbände allerdings bereits von der viel besser gerüsteten Heimwehr und Polizei voneinander isoliert. Bereits am frühen Nachmittag besetzte die Heimwehr das wiener Rathaus, die Bundesregierung erklärte den wiener Gemeinderat für aufgelöst und bestellte den Bundesminister für Soziale Verwaltung, Richard Schmitz, zum Bundeskommisär für Wien. Die Stadträte Speiser, Weber, Honay und Breitner sowie Bürgermeister Seipel wurden verhaftet.
Mit dem Ausbleiben des Generalstreiks auch am 13. Februar war das Schicksal des Aufstandes besiegelt. Die Schtzbündler in den Gemeindebauten konnten ihre Stellungen teilweise noch halte, am 14 Februar brach der letzte Widerstand unter dem Artilleriefeuer des Bundesheeres zusammen.
Über 300 Tot und Tausende Verletzte war die Bilanz dieser Tage. Neun sozialdemokratische Führer wurden durch die wieder eingeführte Todesstrafe verurteilt und hingerichtet, die Partei wurde verboten, ihre Mandate annulliert und ihr Besitz beschlagnahmt. Damit endete die Geschichte Wiens als selbständig agierender politischer Faktor in der ersten Republik. Die Gemeindeverfassung wurde durch eine Stadtordnung ersetzt, nach der der Bürgermeister nicht mehr gewählt, sondern vom Bundeskanzler eingesetzt werden sollte. Durch die neue Bundesverfassung vom 1. Mai 1934 verlor Wien seine Stellung als Bundesland und wurde zur bundesunmittelbaren Stadt. Man versuchte, alle Erinnerungen an die sozialdemokratische Herrschaft möglichst versteckt. Die Namen der großen Gemeindebauten wurden geändert (Karl-Marx-Hof wurde zu Heiligenstätter Hof) und sogar das Denkmal der Republik, das Repräsalium des Proletariats an der großbürgerlichen Ringstrasse, mit Fahnen des Dollfußregimes verdeckt.

 
 



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