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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Vom reichland bis heute



Durch den Deutsch-Französischen Krieg wurde diese ruhige Entwicklung unterbrochen. Nach diesem Krieg, der von 1870 bis 1871 andauerte, mußte Frankreich das Elsaß (ausgenommen das Gebiet Belfort) und große Teile Lothringens (Departement Mosel und Kreise im Departement Murte) an das neue, das zweite Deutsche Reich abtreten.
Die Geschichte des Elsaß und Lothringens wurde nun die des Reichslandes Elsaß-Lothringen. 1872 wurde das Tal der Bruche, Teil des Departements Vogesen, an Elsaß-Lothringen angegliedert. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Elsaß-Lothringen wieder Frankreich einverleibt. Im Zweiten Weltkrieg (1939-45) wurde Lothringen und das Elsaß 1940 von Deutschland annektiert. Bis 1945 bildete das Elsaß zusammen mit Baden den Gau Oberrhein und Lothringen wurde dem Gau Westmark angegliedert. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gehören das Elsaß und Lothringen wieder zu Frankreich.
Insbesondere auf dem Lande des Elsaß wird noch das allmählich aussterbende Elsässisch (ein dem Alemannischen und Schwäbischen verwandter deutscher Dialekt) gesprochen, und es erscheinen im Elsaß zwei deutschsprachige Tageszeitungen. Das Elsaß liegt im Herzen Europas; seine Hauptstadt Straßburg ist eine der Hauptstädte des neuen Europa: Hier finden sich der Europarat, das Europaparlament, der Europäische Gerichtshof der Menschenrechte und das Europäische Jugendzentrum. Durch seinen Kontakt mit der französischen und der deutschen Kultur fällt dem Elsaß im neuen Europa eine bedeutende konstruktive Rolle zu.


1. Einleitung Mit dem Dreißigjährigen Krieg erreichte das Deutsche Reich, aber auch die europäische Staatenwelt insgesamt, den Höhepunkt eines Prozesses allgemeiner kultureller, ökonomischer und staatlich-politischer Umwälzungen, die bis weit ins 16. Jahrhundert zurückreichen und an deren Ende ein neues Staatensystem in Europa entstanden ist. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieses Krieges waren aber gerade für das Deutsche Reich, auf dessen Boden er weitgehend ausgetragen wurde, verheerend . Das allgemeine Bild war geprägt durch Not und Elend der Bevölkerung. Doch kann dies nicht für alle Regionen und Territorien des Reiches gleichermaßen behauptet werden. Vielmehr gab es auch Gebiete, die vom Dreißigjährigen Krieg weitgehend verschont blieben und dadurch ihre eigene Position im Vergleich zum Vorkriegszustand verbessern konnten. Hamburg beispielsweise stieg aufgrund der handelspolitisch günstigen Lage während des Krieges zur reichsten Stadt im deutschen Raum auf . Dies waren allerdings Einzelfälle. Die Mehrzahl der deutschen Territorien litten unter den Kriegsauswirkungen. Zu den Gebieten, die am meisten betroffen waren, zählt insbesondere die Region Elsaß-Lothringen an der Westgrenze des Reiches. \'Das Schicksal Elsaß-Lothringens im Dreißigjährigen Krieg\' - dieses Thema birgt einige Mißverständnisse, die im Vorfeld geklärt werden müssen. Sowohl der Begriff Lothringen als auch der Begriff Elsaß für den zu untersuchenden Raum müssen in diesem Zusammenhang doppelt gedeutet werden. Einerseits kann man weder Lothringen noch das Elsaß als politische Einheit während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auffassen. Yves Le Moigne hat dies insbesondere für Lothringen hervorgehoben. Lothringische Geschichte während des Dreißigjährigen Krieges bedeutet nicht allein die Geschichte des Herzogtums Lothringen. Allzuoft wurde die Rolle der aufstrebenden lothringischen Bischofsstädte vergessen, die schon früh unter französischem Einfluß standen und eine antiherzogliche Politik betrieben . Dies gilt aber auch für das Elsaß, das nichts anderes darstellte als ein lockeres Konglomerat der verschiedensten weltlichen und geistlichen Territorien. Feindseligkeiten und territoriale Grenzstreitigkeiten untereinander bestimmten auch hier oftmals das Geschehen. Konfessionelle Gegensätze zwischen Protestanten und Katholiken und die internationale Einflußnahme der Großmächte, v.a. Frankreichs, forcierten diesen Spaltungsprozeß während des 17. Jahrhundert. Andererseits wurden diese regionalen Gegensätze aber durch die \"Erfordernisse des täglichen Zusammenlebens\" abgemildert oder überdeckt. Das Verhältnis der Menschen untereinander konnte nur bis zu einem gewissen Grad durch Grenzen oder Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Obrigkeiten behindert werden. Letztendlich waren es gerade die gemeinsam getragenen Schrecken und Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, die Leben und Verhalten der Bewohner Lothringens und des Elsasses grundsätzlich geprägt haben. Die folgende Darstellung der Geschichte des elsässisch - lothringischen Raumes während des Dreißigjährigen Krieges versucht dieser Sichtweise zu entsprechen. Dies bedeutet: 1. Um die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die regionale Entwicklung zu verstehen, ist es notwendig, die Situation Elsaß - Lothringens am Vorabend des großen Krieges zu verdeutlichen. 2. Die politische Entwicklung kann aufgrund der Komplexität dieses Thema nicht umfassend dargestellt werden. Vielmehr sollen hier generelle Entwicklungstendenzen aufgezeigt werden, insbesondere die Einbeziehung dieser Region in den sich zuspitzenden Gegensatzes zwischen Habsburg und dem französischen Königtum und deren Auswirkungen. 3. Schwerpunktmäßig sollen aber die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung und das gesellschaftliche Leben im Elsaß und in Lothringen dargestellt werden. In der neueren landesgeschichtlichen Forschung gewinnt dieser letzte Aspekt immer mehr an Beachtung. Hervorzuheben für den lothringischen Raum ist hier die Untersuchung von Stéphan Gaber, die sehr detailliert die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Krieges beschreibt . Für das Elsaß können in diesem Zusammenhang die Werke von Jean-Pierre Kintz über die demographische und soziale Entwicklung Straßburgs während des 17. Jahrhunderts und von Bernard Vogler über den gesamten elsässischen Raum genannt werden . Aber auch die etwas ältere, aber sehr detaillierte Darstellung der Geschichte des Krieges im Elsaß von J. B. Ellerbach kann herangezogen werden . Für die ältere Forschung allgemein ist allerdings festzustellen, daß dieses Thema sehr stark unter dem Zeichen eines deutsch-französischen Gegensatzes stand und somit durch diese Politisierung des Themas nicht selten an Objektivität verloren hatte. 2. Das Elsaß-Lothringen zur Zeit des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts Gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts finden sich noch viele Zeugnisse und Reiseberichte über den elsässisch - lothringischen Raum, die das Bild einer blühenden und reichen Landschaft beschreiben. Die prunkvolle Bestattung Karls III., Herzog von Lothringen, im Jahr 1608 wurde von Zeitzeugen mit der Salbung des französischen Königs oder der Krönung des Kaisers verglichen. Für den Pariser Anwalt Pierre Bergeron, der 1617 Erfahrungen und Eindrücke über das Herzogtum Lothringen in seinem \"itinéraire germano-belgique\" niedergeschrieben hat, kennzeichnen gerade Wohlstand, Unabhängigkeit und das \"bewaffnete Eintreten für die Rechtgläubigkeit den lothringischen Staat\" . Das Ansehen und der Wohlstand Lothringens waren also sehr eng verbunden mit dem Ansehen des Herzoghauses selbst, das zumindest in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch den größten Teil Lothringens kontrollierte und seine Macht stetig auszubauen versuchte. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch das Ende der Kriegshandlungen 1609 in den spanischen Niederlanden, die auch den lothringischen Raum beeinträchtigt hatten . Lothringen kann in der Folgezeit einen bedeutenden Bevölkerungszuwachs vermerken, der seinen Höhepunkt schließlich zwischen 1625 und 1630 erreicht. Die Folge daraus war eine Ausbreitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch weitgehende Rodungen und eine gezielte Neuansiedlungspolitik der ansässigen weltlichen und geistigen Herren. Zwischen 1600 und 1630 wurden ca. 30 Dörfer, hauptsächlich an der Achse Zabern-Saarburg, neu gegründet . Nutznießer dieser Entwicklung war hauptsächlich das lothringische Herzoghaus. Der herzögliche Hof in Nancy wird zu einem Zentrum der lothringischen Politik, aber auch zu einem Mittelpunkt von Kunst und Kultur. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts finden sich in Nancy eine Vielzahl von Künstlern, die in Italien ausgebildet wurden und danach an den Hof zurückgekehrt waren . Daneben erlangte die Jesuiten - Universität von Pont-à-Mousson, die von den Herzögen gegründet und unterstützt wurde, einen bedeutenden Ruf über die Grenzen Lothringens hinaus. 1606 sind insgesamt 2100 Schüler in dem Gymnasium und in den vier Fakultäten eingeschrieben. Aber auch für das Elsaß finden sich im 16. Jahrhundert zahlreiche Berichte über Wohlstand und Reichtum. Ob in der 1588 geschriebenen \"Cosmographie\" von Sebastian Münster oder in einem Reisebericht von Michel de Montaigne aus dem Jahr 1580: das Elsaß wird als blühende Landschaft umschrieben, die sich durch ihren landwirtschaftlichen, finanziellen und kulturellen Reichtum auszeichnet . Es waren insbesondere die handelspolitisch günstigen geographischen Gegebenheiten, die dem Elsaß auch während des 16. Jahrhunderts einen allgemeinen Wirtschaftsaufschwung ermöglichten. Der Rheinhandel und die zentrale Lage mit den verschiedenen Verkehrsknotenpunkten sowohl in Nord-Süd als auch in Ost-West Richtung begünstigten die wirtschaftliche Schlüsselposition des Elsasses . Landwirtschaft und Handwerk waren auf den Export ausgerichtet. So galt das Elsaß als \'Kornkammer\' für weite Gebiete des Rheintals und der Schweiz. Weine aus dem Elsaß wurden im gesamte europäischen Raum gehandelt . Die elsässischen Städte waren bekannt für ihre handwerklichen Produkte, insbesondere für das Kunsthandwerk. Straßburg galt als Zentrum der Goldschmiedekunst und nicht zuletzt auch als Zentrum des Buchdrucks . Daneben entwickelten sich die Städte des Elsasses auch zu einem künstlerischen und geistigen Zentrum des nordeuropäischen Raumes. Die eigene elsässische Kunst verkörperte sich besonders in der Architektur der Städte mit ihren prächtigen Rathäusern und den Wohnhäusern wohlhabender Bürger . Aber auch das geistige Leben war über die Grenzen hinaus bekannt gewesen. Neben den Schulen in Hagenau, Oberehnheim und Straßburg galt v.a. die Schule in Schlettstadt im 16. Jahrhundert zu den berühmtesten humanistischen Schulen des süddeutschen Raumes . Trotzdem wurde auch die freie Reichsstadt Straßburg, deren Händler im gesamten europäischen Raum tätig waren, durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise in Mitleidenschaft gezogen. Seit 1572 mehren sich die Nachrichten über Konkurs und Bankrott großer Straßburger Handelsfamilien und einer allgemeinen Preisinflation . 2.1 Die politische Entwicklung Der Südwesten des Reiches war schon seit langem eine politisch instabile Zone, denn die äußere Grenze, die das Reich von benachbarten Staaten trennte, entsprach nicht mehr der inneren Grenze, d.h. die noch im vollen Umfang zum Reich gehörenden Stände . Die Stände an der westlichen und südwestlichen Grenze hatten sich vom Reich gelöst. Verstärkt wurde diese Tendenz noch durch die Reichsreform, die die Mitarbeit der einzelnen Stände in den Reichskreisen und die Anerkennung des Reichskammergerichtes beinhaltete und damit eine Stärkung der Reichsorgane zur Folge hatte. Für die Territorien an der Westgrenze des Reiches, die von jeher eine gewisse Selbstständigkeit von der kaiserlichen Gewalt besaßen, bedeutete dies eine Beschneidung ihrer eigenen Macht und forderte zum Widerstand auf . Unter Ausnutzung der politischen Lage während des 16. Jahrhunderts, der Kaiser war sowohl im Osten gegen die Türken als auch im Westen gegen den französichen König gebunden , gelang es dem Herzog von Lothringen im Nürnberger Vertrag 1542 eine fast vollständige Unabhängigkeit vom Reich zu erlangen. Ebenso wie der Herzog in seinen westlichen Gebieten Lehensmann des französichen Königs war, so nahm er an der Ostgrenze seines Herzogtums nur noch einige Gebiete als Reichslehen. Der Großteil seiner Herrschaft wurde aber im Nürnberger Vertrag als \"liber et non incorporalis ducatus\" anerkannt und war somit weitgehend souverän . Mit dem Reich bestand nur noch ein Protektionsverhältnis. Für diesen Schutz bezahlte der Herzog einen bestimmten Betrag in Form eines Schirmgeldes an das Reich . Diese eigentümliche Stellung Lothringens zwischen Autonomie, Reich und dem französischen König erlaubte dem Herzog in der folgenden Zeit seinen Einflußbereich weiter auszubauen und sein Gebiet durch Neuerwerbungen zu vergrößern . Obwohl das Herzoghaus seine Macht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach außen erweitern konnte, so begann doch im Zentrum des Herzogtums der Machtbereich der herzoglichen Familie zu schwinden. Aufbauend auf mittelalterliche Schutzverhältnisse begann der französische König gegen Ende des 16. Jahrhunderts seinen Einfluß auf die lothringischen Städte Metz, Toul und Verdun zu intensivieren. Im Vertrag von Chambord 1552 erneuerte Frankreich die Protektionsverträge über die lothringischen Städte . Gleichzeitig wurden diese Protektionsverhältnisse sowohl quantitativ als auch qualitativ stetig erweitert und ausgebaut. Die Protektionen wurden 1552 nur über die Städte beschlossen. Aber bereits 1601 mußte auch der Bischof von Verdun und 1608 der Bischof von Toul den König als \"seigneur et protecteur\" anerkennen . Qualitativ änderte sich das bloße Schutzverhältnis zu Herrschaft im engeren Sinne. Der französische Gouverneur erweiterte in den Städten die administrativen Rechte des französischen Königs. Begnadigungsrecht, Münzrecht und andere Regalien wurden nur noch vom König wahrgenommen. Berufungen an die Reichsgerichte wurden von den französischen Beamten weitgehend unterbunden. Bereits 1588 wurde in der Formel des Treueides \"seigneur et protecteur\" durch \"souverain seigneur\" . Die Städte und Bistümer Metz, Toul und Verdun gehörten zwar offiziell noch zum Reich, obwohl sie schon seit 1552 nicht mehr auf den Reichstagen anwesend waren, aber weder Kaiser noch der Herzog von Lothringen hatten zu Beginn des 17. Jahrhunderts direkte Einflußmöglichkeiten auf dieses Gebiet. Diese besondere Stellung des lothringischen Raumes mußte sich zwangsläufig zu einer Konfliktzone entwickeln. Eine Auseinandersetzung zwischen dem französischen König und dem aufstrebendem lothringischen Herzoghaus war unausweichlich. Daneben mußte ein Konflikt zwischen Habsburgern und der französischen Krone, der sich zu Beginn des 17. Jahrhundert verschärfte, unmittelbar auf den lothringischen Raum auswirken. Die politischen Verhältnisse im Elsaß sind vergleichbar mit denen in den lothringischen Gebieten. Doch fehlte hier - im Gegensatz zu Lothringen - eine herzogliche Gewalt, die im Laufe der Jahrhunderte ein geschlossenes Territorium aufbauen konnte. Das Elsaß bestand aus einer Vielzahl kleinerer weltlicher und geistlicher Territorien, die regional in Ober- und Unterelsaß unterteilt waren und die meist ein Eigenleben führten. Im Unterelsaß dominierend waren besonders das Stift Straßburg, die Grafschaft Hanau-Lichtenberg und die freie Reichsstadt Straßburg, die zwar nur ein kleines Territorium besaß, aber aufgrund ihrer Rolle als Wirtschafts- und Handelszentrum eine bedeutende Funktion in der Reichspolitik inne hatte . Im Oberelsaß gelang es den Habsburgern dagegen ein größeres zusammenhängendes Gebiet, die vorderösterreichischen Lande mit der Haupstadt Ensisheim, zu schaffen und einige reichsunmittelbare Herrschaften in ihre Abhängigkeit zu bringen. Aber eine vollständige Kontrolle des elsässischen Raumes erreichten sie jedoch nicht. Es waren gerade die Reichsstädte des Elsasses, die den Machtbereich der Habsburger beschränkten. Bereits 1354 schlossen sich die Städte Hagenau, Schlettstadt, Weißenburg, Landau, Oberehnheim, Rosheim, Colmar, Kaysersberg, Münster und Türkheim zu einem Städtebund, der Dekapolis zusammen . Das Verhältnis der einzelnen Herrschaften untereinander war sehr locker. Allein der \"gesamtelsässische Land- oder Ständetag\" war das einzige gemeinsame Organ der Landstände, also der reichsunmittelbaren Fürsten, Grafen, Herren und der Reichsstädte des Elsasses. Ihre Hauptfunktion war zum einen die Sicherung nach außen (Landesrettung) und zum anderen die Sicherung nach innen, die das Münzregal und die Polizeiordnung umfasste . Daneben gab es noch die regionalen ober- und unterelsässischen Landtage, die aber nur für den regional begrenzten Bereich zuständig waren . Diese Landtage dienten zwar in erster Linie zur Verteidigung des Landes und waren somit ein kollektives Sicherheitssystem, doch waren die Möglichkeiten sehr begrenzt. Gerade während des Dreißigjährigen Krieges konnten die Ständetage die Sicherheit des Landes nicht mehr gewährleisten . Als zentrale europäische Region, die sowohl wirtschaftlich als auch strategisch bedeutsam war, lag das Elsaß auch im Spannungsfeld der großen europäischen Dynastien. Angesprochen wurde bereits die österreichische Linie der Habsburger, deren elsässischen Besitzungen ein Kerngebiet ihrer Hausmacht darstellte und das sie zu erweitern versuchten. Aber auch die spanische Linie der Habsburger versuchten die Verhältnisse im Elsaß zu ihren Gunsten zu beeinflußen. Sie benötigten einen sicheren Verbindungsweg, die sogenannte \"spanische Straße\" , zwischen ihren oberitalienischen Besitzungen und den spanischen Niederlanden, die geradewgs durch das Elsaß führte. Zu beginn des 17. Jahrhunderts verschärfte sich dies Situation, als das Herzogtum Savoyen, das für spanische Truppendurchzüge gesichert war, nach der Niederlage gegen Heinrich IV. eine antispanische Wende in ihrer Außenpolitik durchführte. Damit eine Landbrücke zu den spanischen Niederlanden gewahrt blieb, war Spanien auf die elsässischen Gebiete als Korridor nach Norden angewiesen . Die spanische und österreichische Politik zeigte also gerade in der Elsaßfrage weitreichende Divergenzen, die bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges nicht gelöst werden konnten . Als selbstverständliche Reaktion auf die Bestrebungen der spanischen und österreichischen Habsburger im Elsaß verstärkte auch Frankreich sein Engagement in den elsässischen Gebieten. Das Durchbrechen der habsburgischen Umklammerung, die seit der Zeit Karl V. Wirklichkeit geworden war, gehörte zu den obersten Zielen französischer Politik. Das Elsaß bot hier den gewünschten Angriffspunkt, da die habsburgischen Positionen noch nicht umfassend gesichert waren. Für Frankreichs Politik war dabei entscheidend, einige sichere Positionen im Elsaß zu erlangen, die dann als \"Einfallstore\" in die benachbarten Territorien benutzt werden konnten. Dadurch sollten die spanischen Verbindungswege gestört und die französische Grenze weitgehend geschützt werden. Schon frühzeitig geriet Straßburg in das Blickfeld französischer Protektionspolitik im Elsaß. Bereits 1552, nachdem die lothringischen Städte Metz, Toul und Verdun unter französische Protektion gesetzt wurden, versuchte Heinrich II. im anschließenden Elsaßfeldzug auch Straßburg zu besetzen. Aufgrund der starken Befestigungsanlagen Straßburgs scheiterte allerdings dieses Unterfangen , aber das Elsaß rückte seit diesem Zeitpunkt in die Schlüsselposition französischer Passagen- und Protektionspolitik. Diese gefährliche Konstellation und internationale Verstrickung mußte bei einer Verschärfung der Konfliktsituation, wie sie während des Dreißigjährigen Krieges erfolgte, auch das Elsaß zwangsläufig mitziehen. 3. Konfessionelle Spaltungen und politische Krisen am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges Vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges drohten in allen Gebieten, besonders in den Randgebieten des Reiches Kleinkriege zwischen rivalisierenden Herrschaftsgruppen auszubrechen. Die Gründe hierfür waren regional verschieden, standen aber doch meist unter den gleichen Vorzeichen. Der jahrhundertelange Dualismus zwischen Kaisermacht und fürstlicher Libertät steigerte sich zu einem neuen Höhepunkt. Es entbrannte ein Kampf um die immer knapper werdenden Ressourcen. Nicht selten waren gerade kirchliche Güter zäh umkämpfte Objekte weltlicher und geistlicher Machtpolitik. Der Gegensatz zwischen expandierendem Pro> Übertragung unterbrochen lizismus um die Jahrhundertwende verschärfte diese Konflikte . Die konfessionelle Situation im elsässisch-lothringischen Raum entsprach der politischen Zersplitterung. Die habsburgischen Besitzungen, die den größten Teil des Oberelsasses umfassten, und die Gebiete der Herzöge von Lothringen konnten als Verfechter des Katholizismus eine Ausbreitung der neuen Religion weitgehend verhindern. Günstiger für die Aufnahme des Protestantismus dagegen waren die Verhältnisse im Unterelsaß . Entscheidend hierfür war, daß sich am 20. Februar 1529 der \"große Schöffenrat\" der Stadt Straßburg, der aus 300 Schöffen bestand, in überwiegender Mehrheit die neue Religion annahm . Die Reichsstadt Straßburg entwickelte sich schnell zum Mittelpunkt der reformatorischen Bewegung in den elsässischen Gebieten und förderte die Einführung der neuen Religion in der Umgebung. Bis 1585 wurde der größte Teil der unterelsässischen Reichsritterschaft und die Grafschaft Hanau-Lichtenberg, sowie die Reichsstädte Weißenburg, Hagenau, Landau, Münster und Colmar evangelisch . Zu diesem Zeitpunkt waren ungefähr ein Drittel der elsässischen Gemeinden protestantisch. Dies bedeutete auch gleichzeitig die größte Ausdehnung der reformatorischen Bewegung, denn gegen Ende des Jahrhunderts zeigte die Gegenreformation der katholischen Kirche erste Erfolge im Elsaß. Ausgangspunkt der Gegenreformation waren das Herzogtum Lothringen und insbesondere die habsburgischen Territorien im Oberelsaß. Inhaltlich bedeutete das gegenreformatorische Programm zum einen die Behebung der Mißstände innerhalb der katholischen Kirche, zum anderen sollte eine \"protestantische Unterwanderung\" vermieden bzw. die Rückkehr zum alten Glauben erreicht werden. Wichtigste Institution in Lothringen war hierfür die herzögliche Universität von Pont-à-Mousson, von der die katholische Erneuerungsbewegung im lothringischen Raum ausging. Diese Reformbestrebungen richteten sich in erster Linie gegen die durch die Mißachtung der Klosterregeln ausgehöhlten Orden. Bedeuteund hier waren v.a. seit 1600 die Reformen der Klosterkongregation von Saint-Vanne durch den katholischen Geistlichen Didier de La Cour, sowie der lothringischen Prämonstratenserorden durch Servais de Lairuels, beide Schüler der Universität von Pont-à-Mousson . Die Gegenreformation war aber auch gleichermaßen politisches Programm der weltlichen Fürsten. Denn die Bewahrung des alten Glaubens bedeutete für die weltlichen Herrscher auch die Bewahrung der eigenen Machtposition. Hinter der neuen Religion sahen die Fürsten vor allem \"eine politische Rebellion in religiösem Gewande\" , die es zu unterbinden galt. Gerade für die oberelsässische Region wurde die Gegenreformation hauptsächlich von der weltlichen Regierung, der habsburgischen Regierung in Ensisheim unter Erzherzog Ferdinand, initiiert und druckvoll durchgeführt . 1592 berichtet die vorderösterreichische Regierung in Ensisheim an Ferdinand über erste Erfolge der Maßnahmen: \" Sovil nun die Religion in Ellsaß in gemain betrifft\", so ist zu konstatieren, \"daß die sachen der Zeitten (Gott lob) nit so böß oder gefährlich, als es zuvor gewesen \" . Unterstützt wurden die katholischen Reformbestrebungen der weltlichen und geistlichen Fürsten durch die Jesuiten, die in vielen katholischen Städten, vor allem in Molsheim und Ensisheim Kollegien gebildet hatten und die durch ihre Predigertätigkeit missionarisch das Land bereisten . Dies führte in der Reichstadt Straßburg zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den protestantischen Bürgern und den Jesuiten . Schließlich war es auch der Konflikt zwischen der protestantischen Stadt Straßburg und dem Bischof von Straßburg, der letztendlich zu einem offenen Krieg ausbrach und der das Elsaß schon im Vorfeld des dreißigjährigen Krieges geschwächt hatte. Gespannt war hier schon seit längerem das Verhältnis zwischen den protestantischen und katholischen Mitgliedern des Straßburger Domkapitels . Nach dem Tod des Bischofs Johann von Manderscheid 1592 und der darauffolgenden Bischofswahl eskalierte der Konflikt, indem nun auch die protestantischen Kapitelmitglieder Anspruch auf das Bistum erhoben . Sie wählten den 15 Jahre alten Markgrafen Johann Georg von Brandenburg, Sohn des Kurfürsten Joachim Friedrich zum Administrator des Bistums. Die Katholiken ihrerseits suchten nun auch nach einem mächtigen Verbündeten und wählten den Kardinal Karl von Lothringen, der sein Erscheinen an der Spitze eines Heeres zugesichert hatte . Die militärische Konfrontation konnte nicht mehr verhindert werden und zog sich schließlich - mit kurzen Unterbrechungen - bis 1604 hin, ohne daß eine der beiden Parteien eine endgültige Entscheidung hätte erzwingen können . Es war vor allem die Kriegsmüdigkeit eines durch die Folgen der Auseinandersetzung erschöpften Landes, die das Ende der Kampfhandlungen ermöglichte. Im Hagenauer Vertrag von 1604 konnte auf Vorschlag auswärtiger Mächte, insbesondere des Herzogs von Württemberg ein Kompromiß gefunden werden. Der Markgraf von Brandenburg verzichtete folglich gegen eine finanzielle Entschädigung auf Straßburg und der Kardinal von Lothringen wurde als Bischof bestätigt, während den protestantischen Domherren ihre Besitzungen und Pfründe auf Lebenszeit zugesprochen wurden . Der Vertrag war auf 15 Jahre befristet. Die Straßburger Probleme konnten durch diesen Vertrag nicht endgültig geregelt werden, da die Protestanten immer noch im Domkapitel vertreten waren. Daneben entstand ein französisch-habsburgischer Gegensatz um das Bistum Straßburg, da Heinrich IV. eine weitere Einflußnahme der Österreicher, insbesondere in der Nachfolgefrage verhindern wollte . Die Folgen für das Elsaß waren allerdings schwerwiegend. Weite Teile im Unterelsaß wurden verwüstet. Besonders die Stadt Straßburg litt unter den finanziellen Belastungen des Krieges, die Kriegsverschuldung belief sich insgesamt auf 800 000 Gulden . Die seit dem Ende 16. Jahrhunderts bemerkbare Wirtschafts- und Finanzkrise wurde somit durch den \"bischöflichen Krieg\" weiter verschärft. 4. Der Dreißigjährige Krieg in Elsaß-Lothringen Mit dem Aufstand in Böhmen begann 1618 der Dreißigjährige Krieg im deutschen Reich. Durch die Wahl Friedrichs von der Pfalz 1619 zum König von Böhmen verschärfte sich der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken im Reich zunehmend. Kaiser Ferdinand bemühte sich schon frühzeitig um ein Eingreifen der spanischen Hauses in den Konflikt. Durch einen spanischen Vorstoß in die pfälzischen Erblande sollten die kaiserlichen Truppen in Böhmen entlastet werden. Unter dem Oberbefehl Spinolas zogen im August 1620 spanische Truppen aus den Niederlanden in die Pfalz ein . Durch die Schlacht am Weißen Berg vor Prag und die Erfolge der Spanier in der Pfalz lag das Kriegsglück in dieser ersten Phase auf der Seite der Kaiserlichen. Damit wurde auch gleichzeitig der elsässisch - lothringische Raum unmittelbar in das Kriegsgeschehen einbezogen.(Karte) Dies führte zunächst zu Auseinandersetzungen zwischen den katholischen und protestantischen Ständen . Die in den habsburgischen Besitzungen durchgeführten Truppenkonzentrationen kaiserlicher Kontingente verursachte allgemeine Besorgnis innerhalb der protestantischen Stände, die sich dadurch bedroht fühlten und ihrerseits eigene Truppenanwerbungen zum eigenen Schutz durchführten. Straßburg erhöhte beispielsweise die eigene Garnison um 800-900 Soldaten, ließ die Rheinbrücke stärker bewachen und verbot den Verkauf von Kriegsmunition nach außen . Die allgemeine politische Situation hatte sich aber nach der Niederlage der Protestanten am Weißen Berg maßgeblich verändert. Das Unionsbündnis der protestantischen, deutschen Reichsfürsten befand sich in der Auflösung. Auch die Reichsstadt Straßburg trat auf Betreiben des Kaisers und des Erzherzogs Leopold, Bischof von Straßburg,1621 aus der Union aus und versicherte dem Kaiser, sich zukünftig neutral zu verhalten . Ferdinand II. gewährte ihr dafür im selben Jahr das \"academici privilegii\", mit der der protestantischen Akademie Namen und Rechte einer Universität übertragen wurden . Von größerer Bedeutung für den elsässischen und lothringischen Raum war allerdings die Gefahr, die von dem protestantischen Heerführer Graf Ernst von Mansfeld ausging, der mit seiner Armee 1621 ins Elsaß eingefallen ist und Plünderungszüge durchführte. Von seinem Stützpunkt in Hagenau aus verwüstete er weite Teile der katholischen Herrschaften, insbesondere die Gebiete des Bistums Straßburg, wohingegen die protestantischen Herrschaften und Städte durch Verhandlungen und Geldzahlungen ihre Neutralität erreichen konnten und dadurch teilweise verschont blieben . Im Januar 1622 beschlossen sowohl Kaiser Ferdinand II. als auch der Anführer der katholischen Liga, Maximilian von Bayern Hilfe und militärische Unterstützung für die bedrohten elsässischen Gebiete . Doch dem Kaiser mißlang es, Verbündete für ein gemeinsames Vorgehen gegen Mansfeld zu gewinnen. Gleichzeitig waren die kaiserlichen Truppen in der Pfalz gebunden, wo die protestantischen Söldnerführer Christian von Braunschweig und Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach weiterhin Widerstand leisteten . Erst durch die Niederlagen des Markgrafen bei Wimpfen und Christian von Braunschweig bei Höchst im Mai/Juni 1622 war auch Mansfelds Position im Elsaß nicht mehr zu halten. Im August setzte er sich mit seiner Armee in Richtung Generalstaaten ab . Die kaiserlich-katholische Partei war nach dem mansfeldischen Zwischenspiel eindeutig Sieger im Elsaß und begann sofort ihre eigene Position weiter auszubauen . Nach den militärischen Auseinandersetzungen folgten die gegenreformatorischen Maßnahmen unter Erzherzog Leopold. In Hagenau wurde bereits 1624 durch ein Edikt Ferdinand II. der evangelische Gottesdienst und Schulunterricht verboten und alle Protestanten aus der Stadt ausgewiesen. Dasselbe geschah 1627 in Schlettstadt. 1628 wurden schließlich in Colmar die Protestanten aus allen öffentlichen Ämtern verwiesen . Auch wurden Eingriffe von kaiserlicher Seite auf die Verhältnisse in Straßburg unternommen. Der Erfolg blieb aber weitgehend aus. Man erreichte lediglich, daß auf kaiserliche Verordnung hin alle Einkünfte der protestantischen Mitgliedern des Domkapitels - entgegen dem Hagenauer Vertrag von 1604 - eingezogen wurden . Der Höhepunkt kaiserlicher Macht bedeutete allerdings das 1629 erlassene Restitutionsedikt, das unter anderem die Herausgabe aller nach 1552 von den Protestanten einbezogenen Kirchengüter vorsah . Bereits im selben Jahr wurden folglich Ensisheimer Regierungsräte in Straßburg wieder tätig, um aufgrund des Ediktes die Rückgabe des Straßburger Münsters, sowie der Kirchen Alt- und Jung-Sankt Peter zu fordern. Der Straßburger Rat weigerte sich aber dieser Forderung nachzukommen. Zur Durchsetzung der Forderung waren dem Kaiser aber die Hände gebunden, denn die politische Konstellation hatte sich Ende 1629 zu seinen Ungunsten verändert. Zum einen drohte ein Kriegseintritt Schwedens, zum anderen wurde die Gefahr eines französischen Einfalls an der Westgrenze des Reiches akut, so daß auch ein gewaltsames Vorgehen gegen Straßburg nicht mehr möglich war . Durch die Auflösung der protestantischen Union und die Machtverschiebung in der Pfalz zugunsten der kaiserlichen Partei schwenkte die französische Politik endgültig zu einer Unterstützung der antihabsburgischen Koalition um. Drei Ziele wurden dabei deutlich: 1. Der Aufbau einer katholischen, aber antikaiserlichen Partei im Reich durch Unterstützung der Übertragung der pfälzischen Kur an Bayern. 2. Die Anbahnung engerer Beziehungen zu den protestantischen Ständen. 3. Der Aufbau besonderer Verbindungen zu den oberrheinischen Ständen mit dem Ziel, sie in Protektion zu nehmen . Bereits 1621 bot sich für Frankreich die Möglichkeit einer engeren Einflußnahme auf die elsässischen Gebiete. Die Unsicherheit der protestantischen Stände aufgrund des Vormarsches Spinolas ausnutzend ließ Frankreich durch den Agenten Persot ein Protektionsangebot an die Stadt Straßburg machen . Dieses Angebot wurde aber zu überstürtzt und ohne umfassende Planung unterbreitet , so daß die Stadt Straßburg um ihre eigene Libertät bangend ablehnte. Aber das Ziel der französischen Politik wurde nun deutlich . Für die französische Protektionspolitik von besonderer Bedeutung war aber vornehmlich die Situation im lothringischen Herzogtum. Herzog Karl IV. von Lothringen, der 1625 die herzogliche Macht übernahm , wurde von beginn an konfrontiert mit einem verstärkten Engagement Frankreichs unter Kardinal Richelieu im lothringischen Raum. Der französische König beanspruchte wieder das Nominationsrecht im französischen Lehen des Barrais mouvant, das eine Beschränkung der Herzogsmacht bedeutete. Durch den Erwerb der Herrschaft Malatour erhielt der französische König eine strategisch wichtige Position in Lothringen. Einerseits sichert er sich dadurch eine Landbrücke in das Protektionsgebiet Metz, andererseits behinderte dieser unter französischem Einfluß stehende Landstreifen auch den freien Durchzug spanischer Truppen von Flandern nach Burgund. Schlüsselbedeutung für die französische Passagenpolitik besaß aber hauptsächlich das Bistum Metz. Richelieu verstärkte seine Bemühungen, das Protektionverhältnis auf das Bistum auszudehnen, wodurch Lothringen ernsthaft bedroht war . Um dieser Entwicklung entgegenzutreten konnte Herzog Karl IV.die besondere Lage Lothringens als Grenzland ausnutzen. Es gab neben Frankreich andere europäische Großmächte, die ebenfalls besonderes Interesse an den politischen Verhältnissen im lothringischen Raum hatten und die der Herzog zu seinem eigenen Vorteil ausspielen konnte. In erster Linie waren dies die Interessen Spaniens an der lebenswichtigen Nord-Süd - Verbindung durch Lothringen, die durch die französische Politik gefährdet war. Aber auch Kaiser und die katholische Liga waren auf die Hilfe des Herzogs angewiesen. Der Kaiser beanspruchte und benötigte weiterhin das Bistum Metz zur westlichen Grenzsicherung. Der Führer der katholischen Liga, Herzog Maximilian von Bayern suchte ein Bündnis mit dem lothringischen Herzog, um die Unterpfalz umfassend zu sichern . Diese Konstellation, auf der einen Seite Frankreichs Passagenpolitik, um eine habsburgischen, insbesondere eine spanische Umklammerung zu vermeiden und auf der anderen Seite ein Bündnis der verschiedenen katholischen Mächte des Reiches zur Eindämmung Frankreichs, spitzte sich in den folgenden Jahren zu einem militärischen Konflikt zu. Nachdem Frankreich 1628 durch die Eroberung von La Rochelle den Widerstand der Hugenotten gebrochen hatte, konzentrierte die französische Monarchie ihre Kräfte nun an der Ostgrenze des Königtums. Richelieu formulierte 1629 in einem Memorandum an den König die Grundzüge der neuen französichen Außenpolitik für die folgenden Jahre. Unter anderem wurde als wichtiges Ziel aufgeführt: \"il falloit penser à se fortifier à Metz, et s\'avancer jusqu\'à Strasbourg s\'il étoit possible pour acquérir une entrée a l\'Allemagne\" . Zu diesem Zweck verstärkte Ludwig XIII. seine Champagnerarmee unter dem Befehlshaber Marillac. Aber gleichermaßen operierten auch kaiserliche Truppen im Gebiet des Stiftes Metz und besetzten mit Unterstützung Karl IV. im Mai 1630 die Metzer Festungen Vic und Moyenvic. Eine militärische Auseinandersetzung zwischen beiden Parteien schien sich nicht mehr vermeiden zu lassen ( Karte). Aber ein weiters Ereignis veränderte die politische Lage in Europa maßgeblich und beeinflußte auch die Entwicklung im Elsaß und in Lothringen. Im Sommer 1630 landete Gustav Adolf in Pommern und griff somit in den Krieg ein ( Karte ). Für die französische Politik bedeutete der schwedische Siegeszug im Reich eine neue politische Situation, die das Konzept Richelieus durcheinander brachte. Einerseits gelang es den Schweden die habsburgische Position im Reich nachhaltig zu schwächen, was auch im Sinne der französischen Politik geschah. Andererseits war Frankreich gleichzeitig gezwungen, die Expansion der schwedischen Macht einzudämmen, um nicht Gefahr zu laufen, mit Schweden einen neuen Konkurrenten um Reichsansprüche zu erhalten . Frankreich mußte nun auch militärisch aktiv werden. Bereits 1631 bot sich dazu die Gelegenheit. Nach der Niederlage der Kaiserlichen bei Breitenfeld eilte die lothringische Armee unter Karl IV. den Truppen Tillys zu Hilfe. Richelieu nutzte diese Situation und marschierte in das ungedeckte Metzer Bistum ein. Die Festungen Vic und Moyenvic kapitulierten am 27. Dezember 1631. Frankreich konnte nun den lothringischen Herzog in die eigenen Pläne einbinden. Im Vertrag von Vic wurde Karl IV. zu strikter Neutralität verpflichtet. Weiterhin mußte er sein Land für französische Truppendurchzüge offenhalten . Richelieu hatte damit ein wichtiges Ziel erreicht: Der Weg in das Reich, insbesondere ins Elsaß lag frei. Doch waren dort bereits die Schweden tätig geworden. Der weitere Erfolg der schwedischen Kriegsführung hing sehr stark davon ab, inwieweit Gustav Adolf die protestantischen Reichsstände an sich binden und militärisch integrieren konnte. Das verbindende Mittel war dabei der Schutzgedanke, zu dem sich der schwedische König als \"christlicher evangelischer potentat\" und \"protector religionis\" gegenüber den verbündeten Ständen verpflichtete . Unterstützt wurde diese Protektionspolitik vor allem durch die militärische Schlagkraft des schwedischen Heeres, das den bedohten Ständen oftmals keine andere Wahl ließ als sich mit Schweden zu verbünden. In diesem Sinn wendete sich der König an Straßburg. Nach langen Verhandlungen wurde am 7. Juni 1632 der Vertrag geschlossen. Die Stadt Straßburg gab ihre Neutralität auf und verpflichtete sich, Proviant und Munition zu stellen, sowie schwedischen Truppen den Durchzug zu erlauben . Erst dadurch abgesichert, begann im September unter dem Befehlshaber Horn der schwedische Vorstoß ins Elsaß. Besonders die protestantischen Stände hofften auf die Schweden als Retter ihres Glaubens, obwohl auch die damit verbundenen Kriegsauswirkungen Besorgnis verursachten . Ein Volkslied verdeutlicht die damalige Stimmung unter den Protestanten: \"Des Gustavi Adolphi Gesundheit wollen wir trinckhen, Es soll ihm wohl ergehen. Der Papisten Glaub wird bald hinckhen, Es wird nicht lang bestehn. Der Schwed, der wird ausreithen gar, Ausreithen wird er gar Die gantz papistsche Schaar\". In den folgenden Jahren wurden alle wichtigen Gebiete und Städte im Elsaß von den schwedischen Truppen besetzt. Die innere politische Struktur konnte diesem Ansturm nicht standhalten. Die Landtage, die in erster Linie die Verteidigung des Landes sichern sollten, konnten eine schwedische Besetzung nicht verhindern. Im Elsaß dominierten von diesem Zeitpunkt an nur noch das militärische Kalkül der verschiedenen Armeen . Für Frankreich bedeutete dies, daß die die Passagenpolitik im Elsaß vorerst an den habsburgischen und den schwedischen Positionen zum Stillstand gekommen war, da Frankreich einen offenen Bruch mit dem Kaiser oder den Schweden noch vermeiden wollte. Diese Situation änderte sich wiederum grundlegend durch die vernichtende Niederlage der Schweden gegen die Kaiserlichen in der Schlacht von Nördlingen am 6. September 1634. Die Konsequenzen der Niederlage waren im Elsaß direkt spürbar. Die schwedische Position im Elsaß war auf längere Sicht nicht mehr zu halten. Gleichzeitig versuchten die Kaiserlichen die Niederlage und die damit verbundenen Schwäche der Schweden auch im Elsaß auszunutzen. Eine kaiserliche Armee unter dem Herzog von Lothringen und dem Heerführer Johann de Werth bedrohte die schwedischen Besatzungen im Elsaß . Für die meisten elsässischen Städte, die schutzlos den herannahenden kaiserlichen Truppen gegenüberstanden, bot sich als Alternative zur Kapitulation die Übergabe und Anerkennung Frankreichs als Schutzmacht. Angesichts der militärischen Bedrohung waren die meisten Städte dazu bereit und nahmen französische Garnisonen auf . Hinzu kam, daß mit Zustimmung des schwedischen Ministers Oxenstierna die schwedischen Stellungen im Elsaß durch den Pariser Vertrag vom 1. November 1634 an Frankreich übergeben wurden . Bis Ende 1636 erstreckte sich die französische Protektion über fast das gesamte Elsaß . Totzdem waren die Position der Franzosen im Elsaß nicht gefestigt. Durch die Kriegseintritt Frankreichs 1635 verschob sich das Kriegsgeschehen endgültig in die westliche Zone des Reiches. In den folgenden Jahren durchzogen vielfach spanische, kaiserliche und französische Truppen das Land. Nach der Schlacht von Nördlingen war es Frankreiche gelungen gegen eine Zusage auf selbstständige Landesherrschaft im Elsaß den Söldnerführer Bernhard von Weimer zu verpflichten, der den Krieg im Elsaß zugunsten Frankreichs entscheiden konnte und 1638 die Festung Breisach einnahm . Damit waren auch die militärischen Operationen des Dreißigjährigen Krieges im Elsaß beendet. Frankreich begann nun die militärische Protektionen in das allgemeine französische Verwaltungssystem zu integrieren . Ungünstiger gestaltete sich die Situation Frankreichs in Lothringen. Dort leistete der lothringische Herzog Karl IV. heftigen Widerstand gegen die französische Besatzung. Obwohl Frankreich spätestens ab 1635 Herr des lothringischen Raumes ist, bricht Karl IV. in regelmäßigen Abständen mit Unterstützung kaiserlicher und vor allem spanischer Truppen in das Herzogtum ein. Diese Versuche das lothringische Herzogtum zurückzugewinnen bleiben allerdings ohne größeren Erfolg, Ludwig XIII. behält die Oberhand . Die französische Lothringenpolitik ist einerseits gekennzeichnet dadurch, daß sie nicht die völlige Vernichtung Karl IV. beabsichtigte, sondern ihn in das politische Konzept Frankreichs einzubinden versuchte . Dies gilt für sowohl für den Frieden von Charmes 1633, als auch für den Frieden von Saint-Germain 1641 . Andererseits aber betreibt Frankreich den inneren Ausbau der besetzten Gebiete. 1633 wird in Metz ein Parlament eingerichtet, das die oberste Berufungsinstanz für bischöfliche und städtische Gerichtshhöfe ist. Durch Edikt werden die besetzten Gebiete 1634 in die vier Amtsbezirke Metz, Toul, Verdun und Vic eingeteilt, wodurch die politische Autonomie der Städte und der Bistümer untergraben wird . Dies waren die Voraussetzungen, die Frankreich im Elsaß und in Lothringen geschaffen hat und mit denen die französischen Gesandten aus gestärkter Position in die Friedensverhandlungen eintreten konnte. Der Westfälische Friede 1648 brachte allerdings weder für die elsässische noch die lothringische Frage eine klare Entscheidung . Aufgrund des noch weiter bestehenden Gegensatzes zwischen Frankreich und Spanien wurde auch eine endgültige Regelung der lothringischen Verhältnisse an einen französisch-spanischen Friedenvertrag gebunden und somit vom Westfälischen Frieden ausgeklammert. Lediglich wurde in Artikel 72 und 73 des Vertrages die Souveränität des französischen Königs über die Städte und Bistümer Metz, Toul und Verdun anerkannt. Im Zentrum des Herzogtums Lothringen ist somit ein \"bistümliches\" Lothringen entstanden und staatsrechtlich festgeschrieben worden . Die Kämpfe in Lothringen gehen unterdessen weiter, da der lothringische Herzog weiterhin mit spanischer Unterstützung Widerstand leistet. Erst 1661 legen sich die kriegerischen Auseinandersetzung im lothringischen Raum . Günstiger für Frankreich waren die Bestimmungen des Westfälischen Friedens im Bezug auf das Elsaß. Mazarin, der 1643 die Nachfolge Richelieus antrat, konnte dabei seine Forderungen weitgehend durchsetzen. Frankreich erhielt den elsässischen Territorialbesitz der Habsburger, die Landgrafschaft im Ober- und Unterelsaß, sowie die Landvogtei über die zehn elsässischen Reichsstädte . In Artikel 87 wurde aber den elsässischen Reichsständen die Reichszugehörigkeit und Reichsunmittelbarkeit garantiert . Die Bestimmungen waren allerdings sehr unklar formuliert und gaben Spielraum für Interpretationen. Besonders die Titel der Landgrafschaft und Landvogtei wurden unterschiedlich ausgelegt. Während die Habsburger diesen Titeln eher symbolische Bedeutung zuschrieben, leitete der französische König weitgehende Ansprüche und Rechte davon ab. Dies mußte zwangsläufig zu neuen Konflikten führen. Letztendlich war es eine Machtfrage, die über das endgültige Schicksal des Elsass entscheiden sollte . 5. Die Auswirkungen des Krieges So unklar die politischen Verhältnisse während des Krieges und nach dem Ende der Kriegshandlungen waren, so deutlich wurden allerdings die Auswirkungen, die der Krieg im Elsaß und in Lothringen hinterlassen hatte und unter denen hauptsächlich die Zivilbevölkerung zu leiden hatte. Dabei muß aber sowohl zeitlich, als auch von der Intensität her regional unterschieden werden. Während das Elsaß durch die Eroberungszüges des Söldnerführers Graf Ernst von Mansfeld 1622/23 einen ersten Vorgeschmack auf das Kommende bekam, blieb der lothringische Raum weitgehend unberührt. Dagegen kehrte im Elsaß spätestens ab 1640 wieder einigermaßen Ruhe ein und dieser Friede wurde durch den Westfälischen Frieden garantiert, während der lothringische Raum vom Friedensvertrag ausgeschlossen blieb und die Kriegshandlungen dort bis 1661 weitergingen. Für beide Regionen gleichermaßen schrecklich waren die Kriegsjahre 1635 bis 1637. Der Marquis de Beauvais, der die Memoiren Karl IV. niedergeschrieben hat, bemerkt, daß das Jahr 1635 \"a plus causé de calamitez à la Lorraine que toutes les précédentes, parce qu\'elle fut inondée de toutes les bêtes dont parle l\'Apocalipse, scavoir de l\'écume des Nations, Polonoises, Hongroises, Bohémiennes, Allemandes, Suédoises, Lorraines, Francoises, Italiennes et Espagnoles à qui le Duc la laissa à l\'abandon.\" Dies galt sowohl für das flache Land als auch für die Städte. Lediglich Mühlhausen und Straßburg ist es gelungen, aufgrund ihrer starken Befestigungsanlagen und ihrer weitgehend neutralen Position die Auswirkungen im Vergleich zu anderen Städten zu begrenzen . Allgemein kann man für das Elsaß und Lothringen einen Bevölkerungsverlust von 50% während des Dreißigjährigen Krieges feststellen . Damit ist die Region Elsaß-Lothringen eine der am schlimmsten betroffenen Regionen Europas. In der folgenden, näheren Erläuterung muß allerdings zwischen unmittelbaren und mittelbaren Kriegsfolgen unterschieden werden. 5.1 Die unmittelbaren Auswirkungen Unter den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges versteht man die Folgen, die direkt durch das Einwirken militärischer Kräfte verursacht werden. Zeitgenössische Künstler haben oftmals dieses Thema zum Gegenstand ihrer Kunstwerke gemacht. Bekannt ist vor allem die Kupferstichserie \" Les Misères de la guerre\" des lothringischen Künstlers Jaques Callot, der in mehreren Werken die Greueltaten und den Terror der Soldaten gegenüber der lothringischen Zivilbevölkerung schildert . In erster Linie litt die Zivilbevölkerung unter der Quartiernahme und Proviantierung der operierenden Truppen . Die Soldaten beschlagnahmten zu diesem Zweck Häuser und verlangten von der Bevölkerung, die Nahrungsmittel zu stellen. Zwar wurden zu Beginn des Krieges diese Lebensmittel noch bezahlt, doch fehlte schon bald das nötige Geld dazu. 1635 befiehlt Frankreich seinen lothringischen Besatzungstruppen, die zur Ernährung erforderlichen Mittel zu kontribuieren . Die dazu benötigte Menge war nicht unerheblich. Mansfeld forderte beispielsweise im Mai 1622 von der Stadt Straßburg zur Proviantierung seiner Armee 49500 Pfund Brot, 12600 Maß Wein und 750 Malter Hafer . Konnte diese Menge nicht bereitgestellt werden, mußte der Rest durch Geldleistungen ausgeglichen werden. Die lothringische Gemeinde Gerbéviller mußte zur Unterhaltung eines französischen Regimentes vom Dezember 1644 bis zum März 1645 neben der Abgabe von Getreide und Hafer zuzüglich 9657 francs zahlen . Insbesondere von den Städten wurden regelmäßig hohe finanzielle Summen gefordert. Diese außergewöhnlichen Belastungen waren aber nur bis zu einem bestimmten Grad noch von der Bevölkerung zu ertragen. Die Folge war eine weitgehende Verarmung der Bevölkerung. Im weiteren Verlauf des Krieges waren die Soldaten trotz obrigkeitlichem Verbot zur Sicherung ihrer Versorgung gezwungen, Raub- und Plünderungszüge in der Umgebung durchzuführen. In den Quellen finden sich hierfür viele Beispiele. Insbesondere der bäuerlichen Landbevölkerung drohte dadurch der Verlust ihrer Habe und der zur bäuerlichen Wirtschaft notwendigen Mittel wie Viehbestände, Zugpferde und Saatgut . Oftmals verliefen diese Plünderungen gewaltsam, gerade dann, wenn sich die Zivilbevölkerung zu wehren versuchte. Je größer die Not wurde, desto größer wurde auch die Gewaltbereitschaft der Soldaten. Aus dem Jahr 1636 berichtet der Statthalter und Rat von Thann, daß in verschiedenen Orten \"Manns- und Weibspersonen über die maßen unerhörter weiß gebeinigt, bei ihrer Mannheit und sonst aufgehenkt, geknebelt, Tränk eingegossen, unter die Weibspersonen fueren [Feuer] gemacht\" . Verstärkt wurde diese Gewaltbereitschaft durch den konfessionellen Charakter des Krieges. So wurden von den Schweden vielerorts die katholischen Kirchen und Kapellen geplündert . Aber auch die kaiserlichen und spanischen Truppen zeigten die gleiche Härte gegen protestantische Einrichtungen und Bevölkerungsteile. Die Flucht vor den herannahenden Truppen war meist die einzige wirksame Möglichkeit der Bevölkerung, den bevorstehenden Plünderungen zu entgehen. Fluchtplätze waren dabei die benachbarten Wälder und die umliegenden, befestigten Städte. Bemerkenswert ist, daß zu Beginn des Krieges auf Befehl der Obrigkeit die ländliche Zivilbevölkerung aufgefordert wurde, sich in die Städte zu evakuieren. 1619 ließ die Ensisheimer Regierung durch ein \"Flehnungspatent\" in den umliegenden Dörfern bekannt geben, \" daß man seine bewegliche Habe, sein Bargeld, seinen besten Hausrat, sein Silbergeschirr und andere Wertsachen, größerer Sicherheit wegen, in österreichische Städte schaffen (\"flehnen\") solle, bis der Durchzug vorüber sei\" . Gleichzeitig wurde die Untertanen aber auch aufgefordert, \"was das Kriegsvolk in den Quartieren zum Schlafen, Kochen usw. benötige, in Bereitschaft zu halten, weil der Soldat, wenn er nicht vorfand, was man ihm zur Verfügung zu stellen verpflichtet war, sich zu den gröbsten Ausschreitungen hinreißen lassen konnte.\" Die immer weiter ansteigenden Flüchtlingsströme brachten aber den Städten große Probleme und führten oftmals zu Konflikten mit der ursprünglichen Stadtbevölkerung . In Straßburg wurden 1622 insgesamt 9812 Flüchtlinge gezählt, 1636 schätzte der Stadtrat die Zahl auf über 30 000 Flüchtlingen aus der Umgebung . Ein weiteres, aber minder erfolgreiches Mittel, Kriegsschäden durch plündernde Soldaten zu vermeiden, war der Kauf von Schutzbriefen. Gegen eine bestimmte Geldsumme konnten kleinere Landesherren oder Städte eine Schutzgarantie, sogenannte Salvaguardien von den Heerführern erhalten. Doch war deren Wirksamkeit begrenzt, da sie oftmals nicht respektiert wurden. Henri Champlon, Pfarrer von Ottonville, erhielt 1635 von Herzog Karl IV. einen solchen Schutzbrief, doch erreichte er dadurch nicht, daß \"les recoltes ne fussent saccagées et que la moitié du village ne fût incendiée par les troupes du [...], qui semblables à une nuée de sauterelles, anéantirent tout durant l\'espace de trois jours\" . Ein Schutz der ländlichen Bevölkerung durch Übergriffe des Militärs waren also nur bedingt möglich. Das einzige wirksame Mittel war die Flucht, doch die bedeutete meist der Verlust der Behausung und der wirtschaftlichen Grundlage.Die Städte hingegen waren einigermaßen sicher gegenüber den gewalttätigen Übergriffen der Soldaten. Die Überbevölkerung durch Flüchtlinge führte aber hier zu gefährlichen Ernährungskrisen, die schwerwiegende Folgen hatten. Obwohl 1635 beispielsweise sieben Armeen zugleich in Lothringen operieren, wurden die hohen Bevölkerungsverluste nicht allein durch die direkten Kriegsauswirkungen verursacht. Das \'große Sterben\' der Bevölkerung war hauptsächlich das Resultat der mittelbaren Kriegsfolgen, in erster Linie waren dies Hungersnöte und verschiedene Seuchen, die das Elsaß und Lothringen überzogen. 5.2 Die mittelbaren Kriegsauswirkungen Der Wirtschaftsraum Elsaß-Lothringen wurde durch den Dreißigjährigen Krieg grundlegend erschüttert. Die Verlagerung des Kriegsgeschehen in die westlichen Reichsgebiete ab 1632 führten dort zu katastrophalen Wirtschaftsverhältnissen und damit verbundenen Versorgungskrisen. Die ländlichen Gegenden waren weitgehend verlassen. Die bäuerliche Bevölkerung war vor den herannahenden Truppen geflüchtet. Folglich lagen weite Teile der landwirtschaftlichen Anbaufläche brach. Besonders betroffen hiervon war der südliche Teil des Elsaß, der landwirtschaftlich intensiv genutzte Sundgau . Die Ernteerträge fielen dementsprechend niedrig aus und das Getreide wurde auf den Märkten der Städte immer knapper . In den Jahren 1623 und 1635-1639, die die schwersten Krisenjahre waren, stiegen in Straßburg die Preise für Weizen, Roggen, Gerste und Hafer durchschnittlich auf das Dreifache des Normalpreises . Eine Hungersnot konnte in den von Flüchtlingen überfüllten Städten nicht verhindert werden. Der Straßburger Johann Walter berichtet in seiner Chronik über die Verhältnisse in Straßburg 1622: \"Comme plus personne ne pouvait habiter la campagne, la ville avait été tant surpeuplée qu\'il etait impossible de trouver un gîte. La hausse de prix était si forte qu\'un rézal de grains était vendu à douze florins\" . Die Maßnahmen, die der Rat der Stadt Straßburg zur Eindämmung einer Hungersnot in Krisenzeiten durchführte, schienen solchen Flüchtlingsströmen nicht gewachsen zu sein. Um die allgemeine Teuerung abzuschwächen, verkaufte die Stadt Gerteide zu einem niedrigeren Preis aus ihren eigens dafür vorgesehenen Stadtspeichern. Im weiteren Verlauf der Krise verteilte der Stadtrat Getreide an die Bevölkerung, beschränkte deren Export und förderte das Backen von Brot. Diese Maßnahmen blieben aber während den Krisen des Dreißigjährigen Krieges ohne wirksamen Erfolg. Die unübersichtbaren Verhältnisse in der Stadt führten mehr zu einem Mißbrauch als zu einem Nutzen für die Gesamtbevölkerung, so daß der Magistrat gezwungen war, diese Hilfsleistungen einzustellen bzw. waren nach kurzer Zeit die städtischen Vorräte aufgebraucht . Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt war die Bevölkerung im Elsaß und in Lothringen der Hungersnot hoffnungslos ausgeliefert. Besonders die Krisenjahre 1635-39 treffen die Bevölkerung hart. Die Chroniken Thann und La Petite-Pierre berichten, daß sich die Bewohner nur noch von verschiedenen Gräsern und Wurzeln ernähren konnten. Aber auch Ratten und Hunde wurden gegessen . Einige Quellen berichten von auftretendem Kannibalismus unter der Bevölkerung . Obwohl keine genauen Zahlen über die Opfer der Hungersnot vorliegen, war der Bevölkerungsverlust doch beträchtlich. Sowohl in den Städten als auch auf dem Land sollen die Straßen und Plätze mit toten Körpern übersät gewesen sein, so daß beispielsweise der Friedhof von Straßburg zwischen 1636 und 1637 erweitert werden mußte . Eine Hungersnot äußerte sich allerdings selten allein, sondern wurde gewöhnlich von Epidemien und Seuchen begleitet, die wiederum viele Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten. Diesen Epidemien wurden generell als Pest tituliert, doch in Wirklichkeit sind neben der traditionellen Lungen- oder Beulenpest noch verschiedene andere Seuchen, wie z.B. Typhus und Ruhr aufgetreten . Auch war das Auftreten der Pest nichts außergewöhnliches, vielmehr traten Epidemien in regelmäßigen Abständen auf. In Straßburg wurden während des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in einem bestimmten Zyklus - ungefähr alle zehn Jahre - erhöhte Sterberaten festgestellt, die durch Epidemien verursacht wurden . Trotzdem wirkte sich die Pest während des Dreißigjährigen Krieges gravierender auf die Bevölkerungsverluste aus als die üblichen Epidemien. Die große Zahl der Flüchtlinge in den Städten und die daraus resultierende Enge des Lebensraumes, sowie die schlechten hygienischen Verhältnisse stellen ein ideales Milieu zur effekiven Verbreitung der Pest dar . Die gleichfalls schon durch den Hunger geschwächten Menschen waren ein leichtes Opfer für die Pest. Dementsprechend hoch war auch die Sterberate. Für den Zeitraum vom 14. September 1633 bis zum 30. Dezember des gleichen Jahres wurden allein in Drusenheim 4018 Pestopfer gezählt . Aufgrund der fehlenden Sterberegister für die Jahre 1634 bis 1638 können für diesen Zeitraum keine genauen Angaben gemacht werden, doch ist davon auszugehen, daß die Pest 1636 ihren Höhepunkt erreicht hatte . Die Reaktionen der Bevölkerung zur Verhinderung einer Infektion waren verschieden. Besonders in den Städten wurden von der Obrigkeit umfassende Abwehrmaßnahmen ergriffen, deren Erfolg aber meist zweifelhaft war . In erster Linie versuchte sich die Stadt nach außen hin abzuschotten. Im lothringischen Nomeny beschloß der Gouverneur \"la fermeture des marchés et la suppression de tout trafic commercial avec l\'extérieur avec défense publique d\'entrer dans la ville sous peine de gibet\" . Oftmals wurden auch die Flüchtlinge wieder aus der Stadt getrieben und die bereits Infizierten wurden, wie in Epinal, Pont-à-Mousson und Verdun, in Verschlägen außerhalb der Stadt eingepfercht . Da die Ärzte der damaligen Zeit, allen voran der Straßburger Arzt Jean Gonthier d\'Andernach an die Übertragung der Pest - teilweise zu Recht - durch den Atem glaubten, wurden von medizinischer Seite hauptsächlich Ratschläge zur Prävention einer Ansteckung gegeben, die dann in Form der sogenannten \"Pestschriften\" an alle Bevölkerungsschichten weitergegeben wurden . Diese Pestschriften waren während des Dreißigjährigen Krieges sowohl im Elsaß als auch in Lothringen sehr verbreitet. Eine wirksame Eindämmung der Pest konnte aber auch dadurch nicht erreicht werden . Die einzige, effektive Lösung, der Pest zu entkommen, war die Flucht aus den verseuchten Gebieten, doch wohin sollte man fliehen? 5.3 Die demographischen Folgen des Dreißigjährigen Krieges Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges war das Bild Elsaß-Lothringens geprägt durch Verwüstung und Verödung. Der Krieg löste eine allgemeine Migrationsbewegung vom Land in die Städte aus. Dort wurde allerdings der Großteil der Bevölkerung Opfer der Hungersnöte oder der Pest. Das Phänomen einer allgemeinen Entvölkerung war sowohl im Elsaß als im lothringischen Raum deutlich spürbar. Viele Dörfer waren teilweise oder vollständig verödet. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Der elsässische Ort Bouxwiller zählte nach 1648 nicht mehr als acht Einwohner. Die Herrschaft Niederbronn, die insgesamt sechs Dörfer im Elsaß umfaßte, war nach 1641 menschenleer . Ähnliches war auch in Lothringen feststellbar. Die 14 Dörfer der Grafschaft Vaudémont zählten vor Beginn der Kriegshandlungen 1630 noch 600 Haushalte. 1636 war die Zahl auf insgesamt 125 Haushalte gesunken . Aber auch die Städte waren stark dezimiert. Das Schicksal der Stadt Epinal während des Krieges unterstreicht diese außergewöhnlichen Belastungen: 1629 von der Pest heimgesucht, 1633 an den französischen Marschall de la Force übergeben und anschließende Plünderungen, 1636 wütet wiederum die Pest, 1641 neue Belagerung durch die Franzosen und Besetzung durch französische Truppen. 1648 wurden in Epinal nicht mehr als 150 Einwohner festgestellt . Erst nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen begann langsam eine Wiederaufbau und eine Wiederbevölkerung des Landes. In Lothringen war dies aber erst ab 1661 möglich. Im Gegensatz zu anderen Territorien, die bereits nach 1648 zur Ruhe kamen, war in Lothringen erst 20 Jahre später der Friede für einen längeren Zeitraum eingekehrt . Die Bevölkerungsstruktur nach dem Krieg setzt sich aus drei verschiedene Gruppen zusammen . Die erste Gruppe war während des Krieges in die entlegenen Wälder der Umgebung geflüchtet> Übertragung unterbrochen atzes in andere Regionen kehrten diese wieder in ihre ursprünglichen Dörfer zurück und führten das dörfliche Leben weiter. Die zweite Gruppe flüchtete in weiter entlegene Gegenden oder Städte und war dort für die Zeit des Krieges ansässig geworden. Zwar kehrten diese nicht vollständig wieder zurück, doch waren die Rückkehrer für den Wiederaufbau der Dörfer wichtig, da sie ihre Erfahrungen, die sie in anderen Gegenden gemacht haben, innovativ einsetzen. Dies gilt auch für die dritte Gruppe. Sie besteht aus Fremden, die durch landesherrliche Vergünstigungen zur Einwanderung in die entleerten Gebiete aufgefordert wurden.

 
 

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