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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Ob das sein das bewusstsein erzeugt oder umgekehrt, und was der calvinismus damit zu tun hat





Daß sich bürgerliches Denken in Deutschland nicht in so hohem Maße von der Religion gelöst hatte wie in der italienischen Renaissance, ... Der Handelskapitalismus gab im "Heiligen Römischen Reich" des 16. Jahrhunderts wohl bereits kräftige Lebenszeichen von sich, erreichte punktuell italienisches Niveau, blieb insgesamt jedoch in seiner Entwicklung weit hinter italienischen Verhältnissen zurück. Als Folge der "Entdeckungen" verlagerte sich überdies das ökonomische Schwergewicht Europas an die Antlantikküste, sodaß Deutschland in seiner Entwicklung künftig hinter Frankreich und England zurückbleiben mußte.
Bürgerliches Denken hatte sich dementsprechend in Deutschland noch nicht in so hohem Maß von der Theologie gelöst wie in Italien. Selbst die Kritik an der Kirche bediente sich theologischer Argumente.


... weshalb in Deutschland die Religion nicht ignoriert, sondern nur reformiert werden konnte "Selbst Erasmus [von Rotterdam], der 1491 das Kloster verläßt und dessen Denken deutlich in die Richtung der humanistischen Transzendierung des Religiösen weist, theologisiert, da er mit den deutschen Verhältnissen in ständigem Kontakt steht, sein Leben lang, diskutiert mit der Theologie, wenngleich er es selten unterläßt, sie auch zu ironisieren. Auf deutschem Boden kann keine Geistesrichtung abseits von den religiösen Fragen Stellung beziehen oder gar ähnlich wie in Italien sich an der Religion uninteressiert zeigen."
In Deutschland konnte im 16. Jahrhundert die Religion nicht im Stil des italienischen Humanismus ignoriert, sie konnte nur reformiert werden.

Wie der Aufstieg des Manufakturbürgertums sich in neuer - bürgerlich geprägter - Religiosität äußerte Während bürgerliches Denken im Rahmen der italienischen Renaissance großen Abstand zur Religion gewonnen hatte, äußerte sich gerade der Aufstieg einer neuen Fraktion der städtischen Gesellschaft - des Manufakturbürgertums - in neuer, bürgerlich geprägter, christlicher Religiosität, im Calvinismus.


Oder ob - umgekehrt - diese neue bürgerliche Religiosität den Manufakturkapitalismus erst hervorbrachte
Es ist das Verdienst Max Webers (1864-1920), der als einer der Begründer der modernen Soziologie gilt, in seiner Arbeit "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (1904), den engen Zusammenhang zwischen dem Calvinismus und dem Manufakturkapitalismus aufgezeigt zu haben. Bis zum heutigen Tag aber löst die Frage, ob hier nun eine religiöse Richtung eine Wirtschaftsordnung hervorgebracht habe, oder umgekehrt, heftige Kontroversen aus, weil sich hier gleichzeitig eine weltanschauliche Grundfrage stellt: Bewegen Ideen die Welt, bestimmt das Bewußtsein das Sein (idealistische Geschichtsauffassung), oder bestimmt das Sein das Bewußtsein (materialistische Geschichtsauffassung)? Folgt man Max Weber oder Karl Marx? Weber erklärt das Entstehen des Kapitalismus aus der protestantischen, das heißt aus der calvinistischen Ethik und bleibt damit im Rahmen der idealistischen Geschichtsauffassung.
Das Wesen der materialistischen Geschichtsauffassung umreißt Karl Marx mit folgenden Worten:
Ob also das Sein das Bewußtsein schaffe oder umgekehrt "In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt."
So gesehen ist die Art und Weise, wie der Mensch produziert, die Vorgabe, auf Grund derer sich bestimmte Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, Weltbilder und Ideologien entwickeln. Neue Produktionsweisen (und das ihnen entsprechende Weltbild) geraten mit alten Herrschaftsverhältnissen (und dem ihnen entsprechenden Weltbild) in einen Widerspruch, der zu einer Krise der Gesellschaft und letztlich in eine Epoche des Umsturzes, der Revolution, führt. Aus dieser Revolution geht - vielleicht - eine Gesellschaft hervor, in der sich Produktionsverhältnisse und Herrschaftsverhältnisse wieder im Einklang befinden. Ist eine neue Produktionsweise noch nicht weit genug entwickelt, dann wird halt aus so einer Revolution nichts, etwa in Deutschland in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Unter günstigeren Voraussetzungen konnte eine frühe bürgerliche Revolution durchaus erfolgreich sein, so der Freiheitskampf der Niederlande.

Daß der Renaissance-Kaufherr den Lebensstil des Adels kopiert und mit der Reinvestition des Gewinns nicht viel im Sinn gehabt hatte Die Betreiber von Manufakturen kamen zum größeren Teil aus den Reihen der Zunfthandwerker, zum kleineren Teil aus dem Handelsbürgertum. Die von ihnen getragene neue Produktionsweise war verbunden mit der Entwicklung eines neuen Bewußtseins, das sich deutlich von dem des Renaissance-Kaufherren unterschied. Dieser trennte seinen persönlichen Verbrauch noch nicht scharf von der Geschäftsgebarung. Den Gewinn reinvestierte er nur zum geringeren Teil, den größeren verbrauchte er ganz im Stil des Adels, der von ihm mit Luxusgütern versorgt wurde. Diesseitsgewandtheit und Sinnenfreudigkeit charakterisierten das Bewußtsein des Kaufherren.
Wie das -völlig anders geartete - Bewußtsein des Manufakturbürgers seinen prägnantesten Ausdruck in der Lehre Calvins fand, und wie diese bürgerliches Profitstreben vom Odium der Sündhaftigkeit befreite
Die Geisteshaltung der Manufakturbürger hingegen knüpfte an asketisch-sektiererische Traditionen an und fand schließlich ihren prägnantesten Ausdruck in der Lehre Johannes Calvins (eigtl. Jean Cauvin, 1509-1564), deren Kernstück die Prädestinationslehre ist:
Calvin lehrte, daß Gott schon vor dem Sündenfall einem Teil der Menschheit seine Gnade geschenkt und die anderen verworfen habe. Wirtschaftlicher Erfolg galt nun als sichtbarer Ausdruck der Gnade. Bürgerliches Profitstreben befreite sich damit nicht nur von dem Odium der Sündhaftigkeit, das ihm nach katholischer und selbst noch lutherischer Lehre anhaftete, sondern gab sich darüber hinaus eine religiöse Weihe. Gleichzeitig rechtfertigte damit eine wirtschaftlich erfolgreiche Minderheit ihre Herrschaft innerhalb der Stadtmauern.
Daß man hinter der ernsten Lebensführung des Calvinisten die bürgerliche Sparsamkeit vermuten darf Ein hervorstechendes Merkmal des Calvinismus ist ferner ein ausgeprägt asketischer Zug, der jedoch mit der willig oder sogar freiwillig ertragenen Armut frommer Sektierer nichts mehr gemein hatte. Hinter der calvinistischen Askese steckt das Prinzip der Kapitalakkumulation: Man bringt den Gewinn nicht durch, sondern man reinvestiert ihn. Hinter dem gottgefälligen, ernsten, dem Luxus und oberflächlichen Vergnügungen abholden Leben des rechten Calvinisten steckt die bürgerliche Sparsamkeit. Eine scharfe Abgrenzung der calvinistischen Askese von der Armut frommer Sektierer, unterblieb jedoch. Mittelstand und Unterschicht, die die Prädestinationslehre im Grunde ja nicht akzeptieren konnten, ließen sich so eine Zeit lang innerhalb der calvinistischen Bewegung halten, in der sie deren demokratischen Flügel bildeten, der uns etwa in der englischen Revolution in der Gestalt der Bewegung der Leveller begegnen wird.

 
 


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