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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Herodots bericht über die konferenz von samos



Die Quellenpassage Hdt. 9, 106 ist für uns die einzige annehmbare Schilderung der Flottenkonferenz von Samos, von deren Verlauf und Ergebnis. Dennoch ist sie lückenhaft und weist Widersprüche auf, die im folgenden dargelegt und diskutiert werden.

3.1 Verhandlungsgang und Ergebnis
Nach dem Sieg bei Mykale kehrte die hellenische Bundesflotte nach Samos zurück, um darüber zu beratschlagen, was mit den u.a. auf die Aufforderung von Leutychides vom Großkönig abgefallenen Ionern geschehen sollte. Eine dauerhafte Wache vor der ionischen Küste als Schutz vor dem erwarteten Gegenschlag der Perser schien notwendig, aber nicht realisierbar. Die Amtsbevollmächtigten der Peloponnesier schlugen daraufhin vor, eine Umsiedlung der Ioner vorzunehmen und die kleinasiatische Küste den Persern preiszugeben. Als Siedlungsplätze erwägten sie die Seehandelsplätze mutterländischer Kollaborateure, gegen die die Bündner sich 481 eidlich zur Bestrafung verpflichtet hatten. Die Athener erhoben jedoch entschiedenen Widerspruch auf diese Überlegung hin und verwahrten sich dagegen, \"daß die Lakedaimonen über Kolonisten von ihnen Entscheidungen treffen wollten.\"
Diese ließen infolgedessen ihren Plan fallen und gaben dem athenischen Veto nach. Nun wurden die Samier, Chier, Lesbier und die übrigen Nesioten, welche an der Seite der Eidgenossen gekämpft hatten, förmlich in den Hellenenbund aufgenommen und zu eidlicher Treue verpflichtet.
Der Bericht in dieser Form wirft mehrere Fragen auf. Auf den ersten Blick scheint die Haltung der Athener widersprüchlich, und Herodots Gebrauch des Begriffs ´Ioner´ ist problematisch, da er sich auf die Insel-, aber auch auf die Festlandsioner beziehen kann. Weiterhin ist merkwürdig, daß die Athener ihr Veto erst in dieser Phase der Verhandlung einlegten, obwohl eine Umsiedlung der Ioner schon am Anfang der Konferenz als Diskussionsgrundlage vorgelegen haben mußte. Sonderbar ist auch, daß die Peloponnesier dem Veto so bereitwillig nachgaben, obwohl sie im Flottenrat mindestens eine vergleichbar große Verantwortung den Ionern gegenüber besaßen wie die Athener.
Über die Festlandsioner wurde nach einhelliger Meinung auf der Konferenz von Samos kein Beschluß gefaßt, vielmehr wurden sie dem Schutz der Athener überlassen, die für sich allein die Sorge über Ionien als ihr Recht beanspruchten und erst im Nachhinein engere Kontakte zu den Ionern auf dem kleinasiatischen Festland knüpften.
Der Widerspruch in Athens Haltung erklärt sich aus einem Mißverständnis bezüglich des zu diskutierenden Umsiedlungsplanes. Sparta bezog in den Plan die ionischen Inseln mit ein und, unter Betrachtung der damaligen Transportkapazitäten und der nur beschränkten Aufnahmekapazität der genannten Zielplätze, gedachte wohl auch nur einen Teil der Ioner, wahrscheinlich Einzelpersonen umzusiedeln. Als das deutlich wurde, legten die Athener, die ihrerseits nur mit einer von ihrem Standpunkt aus akzeptablen Umsiedlung der Festlandsioner auf die vorgelagerten Inseln gerechnet hatten, ihr Veto ein und bewirkten als Konsequenz darauf die Aufnahme der Inseln in den Hellenenbund. Herodot mißverstand also die Evakuierung der Gefährdeten als Umsiedlungsprojekt ganz Ioniens.
Das Einsetzen Athens als Schutzmacht der Ioner und der Beitritt der Inselioner zur Hellenensymmachie zog weitere, daraus resultierende Konferenzergebnisse nach sich, die sicherlich in die athenische Argumentation mit einflossen. Sie sind anscheinend wärend der Verhandlung nicht länger besprochen worden, müssen aber unter heutiger Betrachtung als unmittelbare Folgen der Konferenz beachtet werden. Zunächst wurden die enormen technischen, militärischen und ethnischen Schwierigkeiten einer Umsiedlung abgewendet. Darüberhinaus traten dem Bund militärisch und wirtschaftliche starke Inseln bei, die neben hohen Zahlungsbeiträgen an den Bund auch zeitweise eine Sicherung der Ostgrenze ohne mutterländische Truppen übernehmen konnten. Ebenso wichtig war die Machtausdehnung der Symmachie bis an die kleinasiatische Küste für die Sicherung der für Griechenland lebenswichtigen Getreideimporte vom Schwarzen Meer durch den Hellespont. Dieser erhielt somit ein bedeutendes strategisches Gewicht in vorgeschobener Position. Nicht zuletzt war damit die Möglichkeit gegeben, die philaidischen Besitzungen auf der thrakischen Chersonesos zurückzuerobern und die festländischen Häfen kontrollieren zu können.

3.2 Haltung und Motive Athens
D. Lotze stellt treffend fest, daß die Athener Ambitionen des Jahres 479 und während der samischen Konferenz nicht anhand der Kenntnis des weiteren Geschichtsverlaufes beurteilt werden sollten.
Auf der Konferenz von Samos vertraten die Athener eine konsequente Haltung gegenüber der Einbindung der Inselioner in die hellenische Symmachie. Ihre Opposition zu den spartanischen Vorschlägen machte ein starkes Interesse gegenüber den Ionern deutlich. Die athenische Metropolis-Argumentation war aber wahrscheinlich nur ein vorgeschobener Grund, obwohl man nicht abstreiten kann, daß die Athener bei den Ionern aufgrund der Ereignisse beim ersten ionischen Aufstand 500-494 unter der Führung von Aristagoras von Milet zumindest moralisch in der Schuld standen. Gleichfalls war die - obschon nur mythologisch bekundete - ethnische Stammesverbundenheit zwischen Athenern und Ionern ein für die Athener durchaus greifbares und glaubwürdiges Argument. Als entscheidend für das athenische Interesse an den Ionern kann meiner Meinung nach jedoch der Grund angesehen werden, daß Athen sich durch eine Erweiterung des Bundes neue, seinen Ambitionen günstige Mehrheitsverhältnisse im Flottenrat erhoffte, der derzeitig von den Peloponnesiern dominiert war. Die weiteren, großen Vorteile, die sich aus der Vereidigung der Inselioner für Athen ergaben, ließen dieses deshalb auch die Initiative auf der Konferenz und im Anschluß daran ergreifen.
Es ist jedoch unglaubwürdig, daß Sparta allein durch das Veto der Athener von seinen Vorschlägen abstand nahm, zumal, wie gerade angedeutet, die Peloponnesier im Flottenrat eine deutlich Mehrheit besaßen. Das läßt vermuten, daß Athen Sparta mit sachlichen Argumenten überzeugen konnte. Genauer betrachtet bot die athenische Lösung im Endeffekt ein sinnvolleres Verfahren mit den Ionern an als die spartanische, so daß das Einlenken der Peloponnesier nicht weiter verwundert und mitnichten impliziert, daß die Peloponnesier die Verantwortung über die Ioner bereitwillig an Athen abgaben, um sich aus dem Konflikt mit den Persern zurückzuziehen.
Letztendlich bleibt die Frage nach den oben erwähnten Ambitionen, die Athen mit seinem Verhalten verfolgte. Zusätzlich zu einer stärkeren Position im Flottenrat blieb der Wunsch Athens nach der Führung der Flotte stets präsent, was diverse Diskussionen mit Sparta im Verlauf der Ereignisse seit 481 teilweise bezeugen. Die Konferenz von Samos bot Athen nun erstmals die Möglichkeit, auf dieses Ziel aktiv und dynamisch hinzuarbeiten und das seinige zum Erreichen des Flottenoberbefehls mit Hilfe der dem Bund neu vereidigten, aufgrund seiner Haltung Athen wohlgeneigten Ioner zu tun. Daß Athen, wie Steinbrecher schreibt, kontinuierlich eine auf Expansion ausgerichtete Außenpolitik betrieb, halte ich jedoch für überzogen, obwohl ich nicht das Einwirken entsprechender Kräfte auf die athenische Politik abstreiten möchte (z.B. Themistokles). Steinbrechers Ansicht entspringt zu sehr einem Rückschluß des späteren, tyrannischen Verhaltens der Athener im 478/77 gegründeten Delisch-Attischen Seebund unter Athens Hegemonie auf die Ereignisse des Jahres 479.
Vielmehr ergriff Athen die Initiative aufgrund der ihm gebotenen, günstigen Gelegenheit und besonders der daraus erwachsenden Vorteile. Nach meiner Interpretation von Busolt resultiert die Haltung Athens auf der samischen Konferenz eventuell auch aus dem Bedürfnis heraus, eine Selbstständigkeit gegenüber Sparta zu sichern, welches Athen während des Krieges zunehmend den eigenen Interessen dienstbar zu machen gesucht hatte. Diese Überlegung unterstützend ist zu bedenken, daß eine Umsiedlung der Ioner in das Mutterland zwangsläufig zu ständigen innergriechischen Konflikten und Auseinandersetzungen führen mußte, von denen dann hauptsächlich Athen betroffen gewesen wäre.

3.3 Haltung und Motive Spartas bzw. der Peloponnesier
Die Preisgabe Ioniens sollte nach Ansicht der Peloponnesier auch die ionischen Inseln einschließen und einen Rückzug auf das um die Kykladen erweiterte Mutterland beinhalten. Nach Einspruch der Athener gegen diesen Vorschlag fügten sich die Spartaner dem athenischen Veto, Athen wurde Schutzmacht der Ioner. Sparta hegte zwar wohlbegründete Bedenken gegen daraus resultierende, weitere Beteiligungen in Übersee und einem Machtzuwachs Athens, es war sich jedoch über die neu gewachsene Bedeutung des Seekrieges im klaren und hatte kein Interesse, sich möglichst schnell aus dem Konflikt zurückzuziehen. Die Bereitschaft der Peloponnesier, mit zum Hellespont zu segeln, obwohl die Aktionen bei Samos und Mykale die auf Delos gefaßten Beschlüsse erfüllten, kann als Beleg dafür verwendet werden. Im bereitwilligen Nachgeben der Peloponnesier auf die auf Samos vorgebrachten Argumente (s. Kap. 3.1; 3.2) der Athener lag somit keine Abwälzung des Ionerproblems auf die Athener, sondern die Übernahme von Verantwortung in großem Umfang auch für Sparta. Es ist deswegen unhaltbar zu glauben, daß Sparta in seiner Haltung auf der Konferenz von Samos einen schnellen Rückzug aus dem persischen Konflikt verfolgte.
Rückschlüsse diesbezüglich könnte man sehr wohl anführen. Die Spartaner waren aufgrund der ständigen Gefahr eines Helotenaufstandes gezwungen, auf die Verhältnisse im Mutterland Rücksicht zu nehmen und die Hegemonie im Peloponnesischen Bund aufrecht zu halten, so daß man Verwicklungen fern der Peloponnes grundsätzlich eher abgeneigt gegenüberstand. Weiterhin war Sparta innenpolitisch gespalten zwischen den Vertretern einer dynamischen, expansiven Außenpolitik in Übersee u.a. mit dem Exponenten Pausanias und einer gemäßigten Partei der Wahrung des peloponnesischen Besitzstandes unter Führung des Ephorats. Es herrschte also keine klare außenpolitische Linie vor. Dieser ständige Streit wurde erst in den 60er Jahren des 5. Jhd. beigelegt, wobei die Einstellung des Ephorats dominierte.
Die angeführten Gründe reichen jedoch meiner Meinung nach nicht aus, Sparta ein gewolltes, rasches Ausscheiden aus dem Perserkonflikt zu unterstellen, sie lassen aber vermuten, daß Sparta bestrebt war, sich nicht auf eine militärische Bindung auf unbestimmte Zeit einzulassen und den Krieg in absehbarer Zeit zu beenden. Deshalb auch der Vorschlag einer Umsiedlung der Ioner, der dieses Ziel näherrücken lassen hätte. Die Durchführung einer Umsiedlung nach dem spartanischen Plan würde schließlich auch den Lakedaimoniern beachtenswerte Vorteile bringen können, so K.-E. Petzold, indem sie als Kolonisationsunternehmen unter spartanischer Aufsicht Sparta zur neuen Metropolis der Ioner hätte werden lassen. Der daraus folgende Machtzuwachs Spartas auf dem europäischen Festland wäre beachtlich gewesen. Daß die Spartaner diesen Plan nicht entschiedener verteidigt haben, beweist die Überzeugungskraft der athenischen Argumentation.

 
 

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