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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die integration homosexueller in das lagerleben



In den Lagern wurden die Baracken zumeist entweder von Kriminellen oder politisch links ausgerichteten Antifaschisten geführt. Jede dieser Fraktionen begünstigte, gelangte sie erst einmal an die wichtigen Schlüsselpositionen der Häftlingshierarchie, die eigenen Angehörigen - und zwar in allen lebenswichtigen Bereichen des Lagerlebens, vor allem in der Essensverteilung, den Zuteilungen zu den Arbeitsgruppen und den Überweisungen ins Krankenrevier. So gelangten nur wenige Homosexuelle, Zigeuner oder Mitglieder anderer Minoritäten in diese privilegierten Positionen, die ihnen die Möglichkeit verschafft hätten, die alltäglichen Probleme wenigstens ein bißchen erträglicher zu machen. Gefangene, die eine solche Position erreichten, hatten erwiesenermaßen sehr viel bessere Überlebenschancen. Gerade Homosexuelle hatten zusätzlich zu ihrer solche Positionen betreffenden Chancenlosigkeit noch aufgrund ihrer allgemeinen Ablehnung in den Reihen der Häftlinge die schwere Last zu tragen, bevorzugt zu besonders schweren oder gefährlichen Arbeiten in Fabriken oder Steinbrüchen eingeteilt zu werden, denn weder die Kriminellen noch die Antifaschisten hatten ein sonderlich großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Homosexuellen. Zwar gab es nicht selten Liaisons zwischen grünen (kriminellen) oder roten (antifaschistischen) Kapos und schwulen Häftlingen (und auch zwischen den wenigen schwulen Kapos und anderen \"Untergebenen\" ) - obwohl Sexualität angeblich aufgrund der äußeren Umstände im KL angeblich keine Rolle gespielt haben soll -, aber diese Verhältnisse kamen den Homosexuellen als Gruppe nicht zugute. Generell spiegelt die Beziehung der anderen Gefangenen zu den Homosexuellen also lediglich die damals seit langem vorherrschende gesellschaftliche Ablehnung auch im Lager wieder, wobei diese gelegentlich sogar zu einer regelrechten Homophobie ausarten konnte.
Zum Elend der Homosexuellen schreibt Kogon:
\"Im KL genügte schon der Verdacht, um einen Gefangenen als Homosexuellen zu deklarieren und ihn so der Verunglimpfung, dem allgemeinen Mißtrauen und besonderen Lebensgefahren preiszugeben. Bei dieser Gelegenheit muß gesagt werden, daß die homosexuelle Praxis in den Lagern sehr verbreitet war; die Häftlinge taten aber nur jene in Acht und Bann, die von der SS mit dem rosa Winkel markiert waren.\"
Nach Plant (S. 152) wurden die Männer mit dem rosa Winkel von Anfang an stigmatisiert und mußten die volle Wucht der jahrhundertealten Feindseligkeiten gegen Homosexuelle ertragen. Es verwundert daher auch nicht, daß die Homosexuellen der niedrigsten Kaste der Lager zugezählt wurden und bei harten Arbeitskommandos, \"Sondertrupps\" oder Transporten in Vernichtungslager oftmals von den verantwortlichen Kapos als \"weniger wertvolle Lagerteile\" bevorzugt auf die jeweiligen Listen gesetzt wurden.
Auch für die SS-Aufseher, die darauf gedrillt waren, als einzige Methode zur Kontrolle der Gefangenen brutale Gewalt einzusetzen, waren die Homosexuellen als in ihren Augen besonders degenerierte Wesen prädestiniert dafür, Erniedrigungsrituale verschiedenster Art über sich ergehen lassen zu müssen. Auch in öffentlich zugänglichen Zeitschriften, wie Das Schwarze Corps oder im Völkischen Beobachter, wurde im Jahre 1942 ein erbarmungsloses Vorgehen gegen sexuell andersartige gefordert und bestärkte die dementsprechend handelnden Aufseher noch in ihrem Tun. Schon bei der Ankunft im Lager teilten die Homosexuellen das grausame Schicksal der Juden, indem sie nicht nur mit diesen zusammen am schlimmsten zusammengeschlagen wurden, sondern man ihnen zusätzlich zum Haupthaar sogar als besonders entwürdigende Geste das Schamhaar abschor.
\"Der SS-Mann fragte jeden, wegen welchen Verbrechens er verurteilt worden war. Da war einer, der zugab, daß er wegen Vergehens gegen §175 verhaftet worden sei. Er wurde verschlagen, dann dazu gezwungen, genau zu berichten, was und wie er seine Verbrechen begangen hatte, und dann fielen sie über ihn her und haben ihn verhauen und mit den Füßen getreten.\"
Vermehrt kam es zu Erlassen des Wach- und Aufsichtspersonals, die Homosexuellen als \"Läuterungsakt\" zu besonders harter Arbeit, wie Zementierarbeiten, heranzuziehen und sie gesondert zu überwachen und unterzubringen.
\"Es geschah im Juni 1942, daß im KL Sachsenhausen wieder einmal eine jener Sonderaktionen gestartet wurde, die einige hundert Menschen einem Henker auslieferte. Diesmal ging es darum, die Endlösung des ´Homosexuellenproblems´ herbeizuführen, indem man diese Parias des Lagers zu einem Vernichtungskommando zusammenfaßte und mit unvorstellbarer, sadistischer Grausamkeit durch Hunger und Fron langsam zu Tode marterte [... alle Häftlinge mit rosa Winkel haben auf dem Appellplatz anzutreten ...] Danach wurde uns eröffnet, daß [...] unsere Kategorie in einer verschärften Strafkompanie isoliert werden müßte und daß wir am anderen Morgen geschlossen in das Großziegelwerk ´Klinker´ überführt würden. Klinkerwerk! Wir erschauerten - diese Menschenliquidationsfabrik war mehr als gefürchtet [...] Innerhalb von zwei Monaten war dieses ´Arbeitskommando Strafkompanie´ auf ein Drittel seiner Menschen zusammengeschrumpft [...]\"
Der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß (desgleichen aber auch Heinrich Himmler), glaubte sogar an Homosexualität als eine ansteckende Krankheit und verordnete deswegen mehrere Maßnahmen gegen entsprechend veranlagte Gefangene, z.B. erzwungene Bordellbesuche oder Isolationshaft. Trotz dieser außerordentlichen Feindseligkeit der SS gegenüber den Schwulen kam es aber doch zu gelegentlichen Liaisons zwischen SS-Männern - die dabei natürlich viel riskierten - und von ihnen auserwählten \"Puppenjungs\", welche von diesen Verbindungen selbstverständlich - und zum Ärgernis der anderen Gefangenen - profitierten. Ebenso nutzten schwule Kapos, wie oben schon angedeutet, ihre Position aus, um sich entsprechende Spieljungs, Pipel genannt, zu erkaufen. Wurden sie dabei erwischt, drohten zumindest ihren Liebhabern drakonische Strafen:
\"Wurde ein homosexuelles Verhältnis publik, dann sperrte die SS den - in der Regel deutschen - Kapo zusammen mit dem Pipel - meist einem jungen Polen oder Juden - in den Bunker. Der Deutsche mußte eine Erklärung unterschreiben, daß er sich kastrieren lasse. Nach dem Eingriff wurde er freigelassen und erhielt meist seine Funktion wieder. Der junge Bursche, der imh zu Willen gewesen war, um sein Leben zu sichern, wurde an der Schwarzen Wand erschossen.\"
Schwule Kapos, auch wenn man sie nur relativ selten antraf, unterschieden sich darüber hinaus in keinster Weise von ihren Kollegen aus den anderen Häftlingsgruppen, sie konnten ebenso freundlich und hilfsbereit wie sadistisch und brutal sein:
\"Der Kapo namens Herzog war ein früherer Fremdenlegionär, äußerst brutal, anscheinend homosexuell sadistisch und hatte eine unheimliche Neigung zum Blutrausch; wenn ein Mann von ihm blutig geschlagen wurde, war er verloren [...] Wer [im Steinbruch, d.A.] nicht mehr konnte, wurde kurzerhand in die Lore geworfen und auf einem Steinhaufen ausgekippt. Entweder trat Herzog sie gleich tot, oder er goß ihnen so lange Wasser in den Hals, bis sie erstickten.\"
Für viele Homosexuelle war über das grausame Lagerleben hinaus ein besonders deprimierender und entmutigender Teil ihrer Gefangenschaft, daß sie von außen - wenn überhaupt - nur sehr wenig Hilfe erhielten. Nahe Verwandte schämten sich oftmals, daß ein Familienmitglied wegen eines Vergehens gegen den §175 verurteilt worden war, und separierten sich dementsprechend von ihrem Angehörigen. Frühere Freunde, Kollegen oder auch Liebhaber waren sogar noch zurückhaltender, aus Angst, mit dem Gefangenen in nähere Verbindung gestellt zu werden und selbst vor Gericht zu kommen. Auch die Inhaftierten selbst vermieden Kontakte nach außerhalb, um niemanden unnötig zu gefährden. So waren die Homosexuellen praktisch von der Außenwelt isoliert.

 
 
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