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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Das verhältnis des exkurses zu bell. gall. i-vi:



Die Fürsten er¬scheinen im Gallierexkurs als die ausschlaggebenden Faktoren. Ent¬sprechend ist jede keltische Erhebung zunächst eine coniuratio we¬niger Fürsten, die die Mentalität ihrer Stammesangehörigen genau kennen und für ihre Pläne dienstbar machen. Analog zu VI,20, wo die Disziplinlosigkeit der Kelten in politischen Dingen hervorge¬hoben wird, müssen die principes nicht mit überzeugenden Argumen¬ten werben, sondern hemmungslose, die Emotionen ansprechende Pro¬paganda genügt, um den Stamm für den Krieg zu gewinnen. Orgetorix z.B. zettelt eine Verschwörung unter dem Adel an und redet den Helvetiern die Notwendigkeit ihres Auszugs ein; die Fürsten der Veneter wiegeln die Küstenstämme auf; die Häduer werden durch ihre Fürsten zur Erhebung verführt usw. Die gallischen Verschwörungen sind keine von unten ausgehenden und geplanten Volksaufstände, sondern Ergebnis eigensüchtiger Fürstenpolitik, die auf Macht- und Herrschaftsvergrößerung abzielt. Caesar lässt keinen Zweifel daran, dass alle - Orgetorix, Casticus, Dumnorix, Vercingetorix - die Kö¬nigsherrschaft anstrebten, unter dem Deckmantel wirkungsvoller Freiheitsparolen das verführte Volk für ihre Pläne benutzten. Or¬getorix z.B. will mit seinen Verbündeten Dumnorix und Casticus ganz Gallien beherrschen; Vercingetorix meinte sogar, den ganzen Erdkreis unterwerfen zu können. Die Diskrepanz von vorgegebenem Patriotismus, angestrebter Machtsteigerung der Fürsten und zu er¬wartender Unterordnung der beteiligten Stämme gibt den keltischen Aufständen das Gepräge. Das servitus-Thema des Gallierexkurses ist in jeder Schilderung gallischer Erhebungen enthalten und soll be¬weisen, dass Gallier von Galliern versklavt werden. Caesar geht noch weiter: Selbst im politischen Alltag der keltischen Völker ist gegenseitige Unterdrückung keine Seltenheit. Die Veneter an der Küste z.B. führen ein Regiment über tributpflichtige Nachbarn-Stämme, das Auflehnung herausfordert.

Die politischen und psychologischen Voraussetzungen der gallischen Erhebungen sind aus dem Gallierexkurs bekannt:
* die politische und soziale Spaltung zwischen und innerhalb von Stämmen
* das keltische Naturell, das Abenteuer und Veränderung als Eigenwerte ansieht, leicht beeinflussbar ist und sich schnell und auf
bloße Gerüchte hin zu entscheidenden Handlugen hinreißen lässt. Vom
3. Buch an spielt dieses Moment in der Darstellung Caesars eine
große Rolle, im 4. Buch ist ihm sogar ein ganzes Kapitel gewidmet.
* Das zu geregelter politischer Form ungeeignete Wesen der Gallier garantiert den Fürsten erst den Erfolg ihrer Verführungskünste und das weitere Verfolgen ihrer nur scheinbar gemeinnützigen Ziele. Auch auf einzelne militärische Aktionen wirkt sich diese sprung¬hafte, leichtgläubige Art kampfentscheidend aus: Die Veneter und ihre Verbündeten z.B. müssen sich auch deshalb geschlagengeben, weil sie einem angeblichen Überläufer ohne nähere Prüfung der Lage geglaubt haben.
* Der politische Ausgangspunkt der gallischen Revolten ist die Parteienbildung in den Stämmen und in Gallien insgesamt. Bei den Häduern streiten der romfreundliche Diviciacus und dem Caesargeg¬ner Dumnorix um die Macht, Cingetorix und Indutiomarus ringen um den Einfluss bei den Treverern, die Helvetier sehen sich Häduern, Ambarraren und Allobrogern gegenüber, bei den belgischen Völkern sondern sich die Remer ab, in Gallien kämpfen Häduer und die ver¬bündeten Arverner und Sequaner um die Vorherrschaft.
* Verstärkt wird diese politische Polarität durch ein soziales Ge¬fälle, auf das der Gallierexkurs verallgemeinernd hinweist, das nach Caesar besonders im Gegensatz zwischen Adel und unterer Volksschicht deutlich wird. Dieser sozialen Spaltung bedienen sich die Fürsten nicht nur einmal: Dumnorix verdankt seine einflussreiche Position anscheinend auch dem Einfluss, den er durch seine Freigebigkeit beim einfachen Volk besitzt; Vercingetorix stützt sich anfangs auf "ärmliches Gesindel" des Landes, weil seine Pläne bei der Mehrzahl des avernischen Stammesadels auf Ablehnung sto¬ßen.
Keltische Auf stände soll der Leser nicht als Reaktion auf römische Gewaltpolitik werten, sondern als zwangsläufige Folge der in poli¬tisch-sozialer Spaltung, Fürstenpolitik und gallischer Mentalität bedingten mangelhaften politischen Organisation der keltischen Stämme. Caesar suggeriert also dem Leser, dass nicht die römische Herrschaft für servitus verantwortlich ist, wie es die gallischen Fürsten behaupten, sondern die von denselben Fürsten mitverantwor¬tete und für ihre Pläne ausgenutzte Anarchie der keltischen Völ¬ker. Vor diesem Hintergrund ist die röm. Herrschaftsbegründung nicht mehr schwer:
* Caesar bewahrt die Gallier vor allzu großer Machtsteigerung der Fürsten, indem er diese mit Waffengewalt niederzwingt. Befreiung von Gewaltherrschaft und Unterdrückung ist das Verdienst der Römer -eine wirksame moralische Rechtfertigung für das röm. Regiment.
* Er verhindert die drohende helvetische Hegemonie und befreit Gallien von der Gewaltherrschaft des Ariovist.
* Caesar tritt als Befreier von negativen Auswirkungen keltischen Stammeslebens auf, da er - im Unterschied zur Unterwerfung - zu¬gleich die grundsätzlichen Missstände und ihre auslösenden Faktoren zu beseitigen versucht. Deshalb greift Caesar zum Vorteil der Gallier - so soll der Leser meinen - schiedsrichterlich in Konflikte ein, vermittelt, entscheidet über zwei Kontrahenten, schafft neue, gerechtere Klientelverhältnisse, löst alte, knechtische Verbindun¬gen, stellt Stämme unter seinen Schutz, meist sogar auf Ersuchen der Gegner. Caesar lässt sich segensreiche Ordnungsfunktion aus gallischem Mund bestätigen, einmal mit der Aufforderung, militä¬risch einzugreifen: so meint der allerdings romtreue Diviciacus, nur Caesar könne Gallien vom Willkürregiment Ariovists befreien. Bestätigend wirkt, dass sich einige Stämme früh auf die Seite Roms stellen und die Maßnahmen Caesars

unterstützen. Besonders Häduer und Remer bewähren sich als Exponenten seiner Politik.
Das Verhältnis des Exkurses zu bell. Gall.VII: Parteiwesen und ge¬genseitiges Misstrauen belasten den Aufstandsversuch von Beginn an. Es gibt keine echte Volkserhebung, der sich bedenkenlos alle an¬schließen, sondern nur eine kleine Gruppe, die mit Bestechung und zweifelhaften Versprechungen schwankende Fürsten anwerben muss. Un¬schlüssige werden durch harte Strafen zum Mitmachen gezwungen. Nicht einmal im Stamm des Vercingetorix ist der Plan umstritten; von einigen Avernerfürsten wird er als Abenteuer abgetan. Es ver¬stärkt sich der Eindruck, dass dieser Krieg keine gesamtgallische, von allen Stämmen getragenen Bewegung ist. Bezeichnend ist die Abneigung der Häduer an einer weitere Teilnahme am Aufstand. Andere Stämme stehen ganz abseits (Remer, Lingonen, Treverer). Vercinge¬torix erkennt zwar die Notwendigkeit einer Vereinigung ganz Galli¬ens, um gegen Caesar bestehen zu können, aber der consensus totius Galliae bleibt ein unerreichbares Ziel. Charakteristisch für Gal¬lien ist die Situation der Häduer, wie sie im 7. Buch geschildert wird. Der Stamm ist aufgrund innerer Führungskämpfe gespalten. Wieder wird deutlich, dass man in Gallien solchen Zwist nur mit Waffengewalt austragen kann; Parteiung und Friedlosigkeit gehören -ganz im Sinn von VI,12 - ursächlich zusammen. Die Verschwörung der Häduer ist das Werk weniger unbesonnener Adeliger, die sich zwar der gemeinsamen Freiheit verschreiben, aber auch wissen, dass sie zur Herrschaft geboren sind. Um weitere Stammesgenossen für sich zu gewinnen, scheuen sie vor lügenhafter Propaganda nicht zu¬rück - was entsprechend der leichten Beeinflussbarkeit der Kelten rasch zum Erfolg führt. Wenn ein Stamm nur widerwillig und gezwun¬genermaßen am Aufstand weiter teilnimmt, dann ist das für Caesar eine wirkungsvolle Bestätigung seiner Politik und ihrer Verdien¬ste.
Der Gallierexkurs dient der Verteidigung dauernder römischer Herr¬schaft auf der Basis moralischer Kategorien. Wie wichtig Caesar diese Ebene seiner Argumentation ist, zeigt sich in der engen the¬matischen Verknüpfung des Exkurses mit den 7 Büchern; die Bücher 1-6 legen in der konkreten Situation die Defizite keltischer Ei¬genart dar; im 7. Buch wird gezeigt, dass es sich nicht um momenta¬ne Folgeerscheinungen einmaliger Grenzsituationen handelt, sondern um gleichbleibende Symptome gallischen Charakters. Caesar begründet gallische Uneinigkeit, inneren und äußeren Unfrieden und gegen¬seitige Unterdrückung als Folgen unentwickelter Staatlichkeit und mangelnder politischer Disziplin bei den Kelten, sodass positive Veränderungen aus eigener Kraft nicht zu erwarten und auch nicht möglich sind. Mit dieser moralischen Begründung erhält das ord¬nende Eingreifen Caesars die eigentliche und beabsichtigte Dimen¬sion seiner Berechtigung. Sozialer Unfriede und soziale Ungerech¬tigkeit weichen dem Bemühen um eine Ordnung, die mögliche Kon¬fliktstoffe zwischen Mächtigen und Schwachen auszuschließen sucht.

52v. sind fast alle gallischen Stämme niedergeworfen. Es kommt al¬lerdings immer wieder zu Auf ständen. Der größte ist der des Ver¬cingetorix, eines führenden Adeligen aus dem Stamm der Averner. Vercingetorix wird von den Seinen zum König gewählt und zum Führer der gewaltigsten Rebellion ganz Galliens gegen die röm. Herr¬schaft gemacht. Ganz Gallien ist in Aufruhr; Caesars Erfolge ste¬hen auf dem Spiel. Er treibt Vercingetorix durch Teilsiege in die Enge, sodass sich dieser nach Alesia zurückzieht. Hier kommt es zur Schicksalsschlacht für die Gallier. Die Stadt wird belagert, die Vorräte reichen nur für 30 Tage; man wartet auf ein gewaltiges Entsatzheer aus allen gallischen Stämmen. Als jedoch der Termin für dessen Ankunft verstrichen ist, kommt es unter den Führern der Belagerten zu einer Lagebesprechung. Man plädiert für die Kapitula¬tion, aber auch für einen Ausbruch. An dieser Stelle lässt Caesar einen Gallier, den Averner Critognatus reden, einen Mann von ho¬her Abkunft und hohem Ansehen, den man ,,wegen seiner einzigartigen und verbrecherischen Grausamkeit nicht übergehen dürfe\".
Die Critognatusrede im beil. Gall. ist geprägt vom Leitwort servitus ist Die Knechtschaft besteht in wirtschaftlicher Ausbeutung, in der Beseitigung der staatlichen Souveränität und damit in der Auf¬hebung der nationalen Identität der Gallier. Critognatus lehnt so¬wohl die Kapitulation wie auch den Ausbruch ab: das eine bedeute Auslieferung in eine schändliche Knechtschaft, das andere könnte als Feigheit empfunden werden, weil man Not und Leiden nicht er¬tragen könne und sich geduldigem Ausharren durch den Tod entziehe. Das Schicksal von ganz Gallien stehe auf dem Spiel. Man müsse durchhalten und auf die Hilfe der Gallier warten. Caesar hebt in dieser Rede die Rohheit der Gallier hervor, die im Kampf gegen Kim-bern und Teutonen nur durch Kannibalismus überlebt hätten - sie hätten sich während der Belagerung vom Fleisch der Kriegsuntüchti¬gen ernährt. Critognatus fordert zur Nachahmung dieses Beispiels auf. Die Worte des Critognatus charakterisieren die röm. Herr¬schaft: sie wird abgehoben vom Vorgehen der germanischen Kimbern und Teutonen; jene hätten zwar eine gewaltige Katastrophe bei den Gallien angerichtet, doch sie seien wieder abgezogen und hätten ihnen ihre eigenen Rechte, Gesetze, Gebiete und Freiheit gelassen. Ziel der Römer aber sei die totale Versklavung der Völker, die Än¬derung von Recht und Gesetz, die dauerhafte Besitznahme ihres Lan¬des, die Beseitigung ihrer Freiheit. Die Folge dieser Bestrebungen sei der Verlust der nationalen Eigenständigkeit und der Identität, schändliche, ewige Sklaverei. Die Motive der Römer seien Neid, Missgunst gegenüber fremdem Ansehen und fremder Macht. Habgier, Streben nach Besitzvergrößerung und Machterweiterung, nationaler Egoismus bestimmten ihr Handeln. Der Gegenbegriff dazu, die liber¬tas, wird als Grundmotiv gallischen Denkens und Handelns angespro¬chen. Der Freiheitssinn der Gallier und die aus Neid geborene Machtgier der Römer werden in eine scharfe Antithese zueinander gebracht. Die römische Weltherrschaft wird einer harten Kritik unterzogen. Ein die Menschenfresserei verherrlichender Barbar als Kritiker beweist wohl eher die Notwendigkeit römischer Herrschaft. Auf diese Einsicht legt Caesar die Leser schon von vornherein fest mit dem Hinweis auf die einzigartige, unmenschliche Grausamkeit des Redners.

Caesars gallische Kriege wurden in Rom keineswegs nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit betrachtet und positiv beurteilt. Die po¬litischen Gegner, allen voran Cato, warfen die Frage der Kriegsschuld auf. Vor allem im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Usipeter und Tenkterer hielten sie Caesar die Verletzung völker¬rechtlicher Grundsätze vor; sie forderten sogar seine Auslieferung an die Germanen, damit der Fluch seiner Frevel nicht Rom treffe, sondern auf ihn selbst zurückfalle. Sie fassten ihre Argumente un¬ter dem Schlagwort bellum iustum zusammen. Caesar verbindet daher mit den Commentarii die Absicht, seine politischen und militä¬rischen Maßnahmen vor dem senatorischen Publikum Roms zu recht¬fertigen. Auch er stützt sich dabei auch auf die Theorie des ,,bellum iustum\". Caesar ging nicht davon aus, Kriege gegen Barba¬ren bedürften, wie es der Theorie seit Platon entsprach, keiner Begründung. Er rechtfertigt jeden Schritt seines politischen Vor¬gehens; er wollte sich gegenüber den politischen Gegnern in Rom absichern. Ein zweiter Grund hängt mit dem Charakter der Völker zusammen, die zur Zeit Caesars an der NW-Grenze des röm. Reiches ansässig waren. Man konnte sie nicht als Barbaren ansehen; sie wa¬ren kulturell vielfältig durch den Mittelmeerraum beeinflusst und hatten zahlreiche politische Verbindungen zu Rom. Das traf vor allem für die mittelgallischen Stämme wie z.B. die Häduer zu. Die Kriegsschuldfrage ist das wichtigste Thema des ersten Buches. Immer wieder betont Caesar, dass er das den Häduern, verdienten Bundesgenossen, zugefügte Unrecht nicht ungerächt lassen kann. Die Helvetier werden als romfeindliche Aggressoren geschildert. Rom wird nach Caesars Bericht in den Krieg hineingedrängt. Gewaltpoli¬tik, grausame Unterdrückung wehrloser mit Rom befreundeter Völker, dazu eine aggressive, unversöhnliche Gesinnung, verbunden mit man¬gelnder Verhandlungsbereitschaft sind Elemente einer Situation

allgemeinen Unfriedens. Ein kurzer, die Schuldigen treffender Krieg stellt nach Caesar gegenüber einem dauerhaften Unrechtszu¬stand, in dem alle mittelgallischen Völker der Tyrannei der Helve¬tier unterworfen wären, das geringere Übel dar. Im Krieg gegen die Helvetier erfüllt Caesar einen göttlichen Auftrag: es ist nicht nur die Sache Roms, sondern das Anliegen der Götter selbst, die Helvetier für ihre fortgesetzten Freveltaten zu bestrafen. Caesar erweiterte die bellum iustum-Theorie um das Element der religiösen Sanktionierung, das bei Augustinus und in der hochmittelalter¬lichen Idee des hl. Krieges zur Entfaltung kommt. Caesar will durch seinen Bericht nahe legen, dass der Feldzug das letzte Mittel zur Abwehr einer umfassenden Bedrohung ist, nachdem Verteidigungs¬maßnahmen sich als nicht zureichend erwiesen haben und Verhandlun¬gen gescheitert sind. Er dient dazu, Feinde vom röm. Gebiet abzu¬wehren, ein früher an Rom begangenes Unrecht zu sühnen, die Freun¬de Roms zu schützen und eine gerechte Friedensordnung in Gallien zu etablieren. Auch die Germanen des Ariovist stellen eine Gefahr dar; wenn sie erst einmal ganz Gallien besetzt haben, werden sie auf die Gallia Narbonensis ausgreifen - man kennt das ja bereits von den Kimbern und Teutonen - und von dort nach Italien ziehen:
eine Gefahr für die Existenz des röm. Staates; Caesar betont immer wieder das Barbarentum, die Zügellosigkeit, die Grausamkeit und Wildheit der Germanen, besonders ihres Anführers Ariovist. Ver¬handlungen mit den Germanen scheitern. Weniger als um die morali¬sche Rechtfertigung kümmert sich Caesar um sakraljuristische und staatsrechtliche Gesichtspunkte. Auf die im Fetialrecht vorgesehe¬nen Formen der korrekten Kriegsaufnahme durch rerum repetitio und indictio belli nimmt er nur ansatzweise Bezug. Eine offene Kriegs¬erklärung unterbleibt. Nachdem die moralische Berechtigung des Krieges erwiesen ist, zählt nur noch der strategische und takti¬sche Vorteil. Noch weniger sorgt sich Caesar um die staatsrecht¬liche Unanfechtbarkeit seiner Maßnahmen. Im juristischen Sinn un¬korrekt sind die Überschreitung der Provinzgrenzen und die Trup¬penaushebungen über das zugewiesene Kontingent hinaus. Auch hier unternimmt Caesar keine Rechtfertigungsversuche. Er glaubt auf¬grund der nachgewiesenen Schuld des Kriegsgegners seien militä¬rische Maßnahmen gerechtfertigt. Die Einschaltung des Senats in den Fragen der Truppenaufstellung und der Provinzüberschreitung hätten seinen Aktionsradius eingeengt und eine schnelle Kriegsfüh¬rung vereitelt. Caesar rechtfertigt nicht nur einzelne Feldzüge (gegen die Helvetier, gegen Ariovist), im Gallierexkurs weist er die Berechtigung des gallischen Krieges insgesamt nach; dazu stellt er die negativen Seiten des Galliertums heraus: Parteiun¬gen, barbarische Religion, grausame Opferpraxis, Unfreiheit des einzelnen, Versklavung der Plebs, Unterdrückung der Frauen, Riva¬lität der Stämme, Rivalität der Druiden, Gewinnsucht. Der Volks¬charakter der Gallier, der zuständigen Kriegen und zur Unterdrüc¬kung führte, machte ein röm. Eingreifen in gallische Verhältnisse notwendig. Erst mit Caesars Maßnahmen konnten die Stammesfehden beendet und eine dauerhafte Friedensordnung, das oberste Ziel je¬der zivilisierten Kriegsführung, hergestellt werden.
Der Ursprung der Fragestellung nach dem gerechten Krieg liegt in der Antike, die wichtigsten Texte sind in lateinischer Sprache verfasst: Cicero, Caesar, Augustinus, Thomas von Aquin, Erasmus. Zur Frage, unter welchen Umständen Kriege als gerechtfertigt angesehen werden können, sind in Griechenland seit Platon (ca.400v.) und Aristoteles (ca.350v.) moralphilosophische Theorien, in Rom seit der frühen Republik praktische politische und sakralrecht¬liche Grundsätze entwickelt worden. Die umfassendste Darstellung der Lehre vom gerechten Krieg liegt in Ciceros Schriften De re publica und de officiis vor. In Ciceros Ausführungen sind ur¬sprünglich griechische (moralphilosophische) und ursprünglich rö¬mische (sakralrechtliche) Vorstellungen zusammengeflossen und zu einer Einheit verschmolzen.
Folgende Bedingungen definieren den Begriff des gerechten Krieges:

* Gerechte Gründe:
- aggressiver und feindseliger Charakter des potentiellen Kriegsgegners (homines inimici et bellicosi)
- konkrete Übergriffe auf römisches Staatsgebiet bzw. auf das Ge¬biet der Bundesgenossen (iniuria accepta)
- Barbarentum des potentiellen Kriegsgegners (homines barbari), d. h. insbesondere mangelnde Teilhabe an den Wertvorstellungen der zi¬vilisierten Welt können einen Krieg auslösen; vor der Aufnahme des Krieges muss die Gesinnung des Gegners geprüft werden. Verhandlun¬gen sind militärischen Auseinandersetzungen vorzuziehen.
- mangelnde Versöhnungsbereitschaft, die in vorausgegangenen Ver¬handlungen festgestellt wurde.
Kriege, die ohne Feststellung eines vorausgegangenen Fehlverhal¬tens der Gegenseite aus reiner Aggressivität aufgenommen werden, gelten als ungerecht. Neben die Betrachtung der Gründe tritt zum Nachweis des bellum iustum die Prüfung der
* Gerechtfertigten Absichten:
- Verteidigung der Grenzen des eigenen Staatsgebietes (salus rei publicae)
- Schutz der Bundesgenossen (fides)
- Verteidigung und Wiederherstellung der durch einen Angreifer ge¬störten gerechten Friedensordnung (pax: ut sine iniuria in pace vivatur); es ist das natürliche Recht eines jeden Staates, sich vor äußeren Angriffen, die den Frieden stören, zu schützen.
- Herrschaft über einen politischen und militärischen Rivalen(imperium)

* Korrekte Eröffnung:
- Eröffnung erfolgte durch eine feierlich (nach einem festgelegten Ritual, dem ius fetiale) vollzogene Kriegserklärung (indictio bei-ii); Kriege sind dann gerechtfertigt, wenn eine vorausgegangene
- Schadenersatzforderung (rerum repetitio) für ein erlittenes Un¬recht, die auch die Auslieferung von Einzelpersonen einschließen kann, erfolglos blieb;
- der pater patratus kündigt unter Schwur bei den Göttern, dass das gegnerische Volk ungerecht handle, den Krieg an; bei Nichter¬füllung innerhalb von 30 Tagen (denuntiatio belli)
- Eröffnung des Krieges unter Beachtung der staatsrechtlichen Be¬stimmungen, vor allem Einholen der Genehmigung des Senats bei Truppenaufstellungen und Provinzüberschreitungen. Die Entscheidung des Senats für den Krieg bei Nichterfüllung erfolgt nach 30 Tagen (senatus censet); die Kriegsführung wird durch die Volksversamm¬lung bestätigt (populus iubet). Die offizielle Kriegserklärung wird mit einer symbolischen Geste im Feindesland verbunden (indic¬tio beIlli)
Der Zustand nach dem Krieg muss durch ein foedus gesichert werden, das beide ehemals kriegsführenden Parteien bindet.
Die Unterscheidung von Kriegen mit Barbaren und Kriegen unter Kul¬turnationen hat die hellenistische und die römische Theorie des bellum iustum beeinflusst. Die Herrschaft der dazu berufenen Men¬schen und Völker gilt als gerecht und im Interesse der Unterworfe¬nen nützlich. Auch im Rom zur Zeit Caesars bedurfte ein Krieg zwi¬schen Römern und Barbaren keiner Rechtfertigung. Vor allem ist die aristotelische Auffassung, das Grundstreben der Menschen sei auf Frieden gerichtet und die Zweckbestimmung aller Kriege sei die Herstellung des Friedens, für die Theorie des gerechten Krieges wegweisend geworden. In Rom wurde die Frage der Rechtmäßigkeit eines Krieges bis in die Mitte des 2.Jhdts.v. nicht unter morali¬schen, sondern nur unter kultischen Gesichtspunkten betrachtet. Wenn die Fetialen den Krieg in der rechten Weise unter Vollzug der vorgeschriebenen kultischen Handlungen eröffnet hatten, galt er als juristische abgesichert. Die Griechen (Karneades)

verurteilten diese Praxis. Bei Cicero überwiegen die moralischen Argumente. Die in der Antike grundgelegten und im lateinischen europäischen Schrifttum weitergedachten Prinzipien einer gerechten und humanen Kriegsführung werden bis in die Gegenwart diskutiert.
* Bei Augustinus (ca.400n.) und Thomas von Apuin (ca.1250n.) bil¬det die Behandlung der Gründe und Ziele den Kernbestandteil der Lehre. Höchstes Gut, auf das sich alles Streben der Menschen rich¬tet, ist der Frieden. Der Krieg ist dennoch ein notwendiges Übel. Als gerechte Kriegsgründe gelten wie bei Cicero feindselige Hand¬lungen, unversöhnliche Gesinnung, ergebnislose Verhandlungen. Die wichtigsten Ziele sind pax und salus. Der Auftrag zur Aufnahme des Krieges wird von Gott erteilt: gerechte Kriege werden deo auctore geführt Wenn die Rechtmäßigkeit eines Krieges nachgewiesen wurde, spielte die Art der Kriegsführung keine Rolle mehr. Die Berechti¬gung von Kriegen wird auch durch Verweis auf das NT, Lukas 3,14 nachgewiesen: Da fragten ihn (Jesus) die Soldaten und sprachen:
Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Ge¬walt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold! Diese Ge¬danken sind durch eine Symbiose antiker und christlicher Vorstellungen geprägt.
* Heilige Kriege: Vom augustinischen Gedanken der Kriege deo auc¬tore führt ein direkter Weg zur Kreuzzugsidee und zu den kirchlich
- ritterlichen Heidenkriegen des Hochmittelalters. Im Zusammenhang mit der Kreuzzugsidee wird im Hochmittelalter (11./12.Jhdt.) das Prinzip des allein erlaubten Verteidigungskrieges aufgegeben. Kriege werden nicht mehr mit moralischen, sondern mit religiösen Argumenten gerechtfertigt. Als erlaubt gilt auch ein Offensivkriege zur Ausbreitung des christlichen Glaubens. Zu den Ehrenpflichten des christlichen Ritters gehörte der Kampf gegen Ungläubige und Ketzer. Aus der missverstandenen NT-Stelle, Lukas 14,23 leitete man die Forderung einer Ausbreitung des Christentums mit Waffengewalt ab: ,,Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Land¬straßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.\" Von solchen Gedanken getragen vollzieht sich ei¬ne Entwicklung zu einer überwiegend religiösen Rechtfertigung des Krieges, die in der antiken Theorie gegenüber der ethischen Recht¬fertigung eher eine sekundäre Rolle spielte.
* Erasmus von Rotterdam (ca.1500); bei ihm ist eine Loslösung von der antiken Lehre, die von einer prinzipiellen Justifizierbarkeit des Krieges ausgeht, zu erkennen. Er stellt die Berechtigung des Krieges prinzipiell in Frage. Kriege widersprechen dem natürlichen sittlichen Empfinden des Menschen und der Lehre der Schrift. Die Ideen des gerechten und des heiligen Krieges sind unhaltbar. Die Lehre von den gerechten Gründen und Absichten ist zurückzuweisen; die bellum iustum-Theorie ist ein unglaubwürdiges Propagandamittel. Ausschlaggebend für die Aufnahme eines Krieges sind nicht die in der Theorie genannten edlen Motive, sondern niedere Regungen wie Machtgier, Neid, Habsucht und Zerstörungswut. Zur Wiederher¬stellung des Friedens und einer gerechten Friedensordnung sind Kriege untauglich. Sie führen nicht zum Frieden, sondern bergen die Saat neuer Kriege in sich - Prinzip der Kriegskette. Es gibt keinen noch so ungerechten Frieden, den man nicht einem noch so gerechten Krieg vorziehen müsste. Auch Krieg gegen Ungläubige und zur Verbreitung des Glaubens sind nicht gerechtfertigt. Der Krieg ist eine Geißel der Menschheit und sollte abgeschafft werden. In¬ternationale Instanzen (Papst, Bischöfe, Äbte) sollten ihn überflüssig machen. Diese Einstellung ist aufzufassen als eine Reak¬tion auf den kriegerischen Geist der Herrscher und die Zerrissen¬heit der europäischen Staatenwelt zu Beginn des 16.Jhdts.: Kriege Englands gegen Frankreich, Feldzüge des Papstes Julius II. zur Wiederherstellung des Kirchenstaates, Spannungen zwischen Frank¬reich und dem

habsburgischen Kaiserreich, Auseinandersetzungen mit den Türken prägen das Bild der Zeit. Manche Kriegswirren hat Eras¬mus selbst miterlebt. Während der Rüstung zum Frankreichfeldzug Heinrichs VIII. hielt er sich in England auf, wo er die mit den Kriegsvorbereitungen zusammenhängenden Teuerungen am eigenen Leib erfuhr. Seine Antikriegsschriften, z.B. Querela pacis, spiegeln die Friedenssehnsucht seiner Zeit wieder.

 
 

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