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geographie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Zum problem der zuordnung von ursachen und wirkungen



1. Situationsbedingte und sozialisationsbedingte Einstellungsdifferenzen

Erstaunlicherweise stellen Kamphausen und Gebhardt u.a. nostalgische Tendenzen auch in der Westgemeinde fest, die sich aus den \"Nebenwirkungen\" der Entwicklung zur Mo¬dernen ergeben. Vor diesem Hintergrund muß gesagt werden, daß bei einem totalen Um¬bruch für die östliche Bevölkerung anstatt eines allmählichen, behutsamen Wechsels im Westen Nostalgie nicht nur verständlich wird, sondern auch nichts über differierende Ko¬gnitionsmechanismen in Ost und West auszusagen vermag. Dieses Beispiel soll verdeutli¬chen, daß sich einige \"ostspezifischen\" Einstellungen (wie z.B. eine gewisse Ent¬täuschtheit gegenüber dem neuen System, Rücksehnung nach Vergangenem usw.) alleine aus der sonderlichen Situation, genauer: der erheblichen Konfrontation mit einer neuen Situation der Bürger heraus begreifbar werden. Diese Einstellungen sind also weniger Produkt verschiedener Systeme als vielmehr Produkt der historischen Geschähnisse. Es sind gewissermaßen keine \"echten\", sondern situationsbedingte Unterschiede. Diese Trennung bei den Auslösern bestimmter Verhaltensweisen erscheint mir äußerst wichtig. Sie besagt nämlich, daß empirisch gefundene Differenzen nicht uneingeschränkt Rück¬schlüsse auf das Einflußvermögen verschiedener politischer Systeme bzw. Gesellschaften erlauben.
Ähnlich problematisch ist der Umgang mit Daten die nahelegen, daß der gemeine Ostbürger materialistischer veranlagt sei als der gemeine Westbürger. Vergegenwärtigt man sich das Kon¬sumverhalten der Westbürger insbesondere in den 50er und 60er Jahren (s.o.), so wird man sagen müssen, daß es sich hierbei nicht um einen osttypischen Charakterzug handelt. Es weist vielmehr auf eine konkurdante, aus der Situation heraus zu erklärende, Handlungsweise in Ost und West hin.

2. Zur Trennung von politischem System und Gesellschaft

Problematisch wird es, wenn man Gesellschaft und politisches System voneinander tren¬nen will, wie es Reuband (unausgesprochen) tut.
Auf der einen Seite liegt sein Bestreben darin, aufzuzeigen und nachzuweisen, daß politi¬sche Regime deutlich we¬niger Einfluß auf Ehe und Familie haben als zumeist angenom¬men. Was man als spezifisch für den Westen annahm (z.B. Individualisierungsprozesse) konnte nun rückwirkend auch für die DDR festge¬stellt werden. Das dient Reuband als Hinweis auf eine geringe Einflußmöglichkeit politischer Systeme bzw. einer gewissen Starrheit des Privaten gegenüber der politischen Struktur eines Landes.
Alsdann versucht er auf der anderen Seite zu erklären, wie es zu die¬sen vergleichbaren Abläufen kommen konnte. Dabei verweist er auf Umstände wie Säku¬larisierung, hohe Frauenbeschäftigungsrate, Förderung von Bildung für aus Arbeiter¬schichten stammende Menschen etc. (vgl. Reuband, 1995: 234ff.), die man selbst (wenn ihre Wirkung auch teilweise unbeabsichtigt gewesen sein mag) auch wiederum als Teil dieses politischen Systems auffassen könnte. Er erstellt also den Beweis, daß die poli¬tischen Systeme in Ost und West im Bezug auf die politische Kultur als ähnlich in ihrer Wirkungsweise an¬zusehen sind; den Beweis dafür, daß sie wenig Einfluß auf das Private üben, bleibt er schuldig. Er zeigt m.E. auf, warum die Systeme in mancher Hinsicht doch vergleichbar waren bzw. sich ähnlich auswirkten und entgegen seines Anliegens nicht, daß die Ähn¬lichkeiten hüben und drüben auf eine Nicht- oder Ge¬ringbeeinflussung eines politischen Systems schließen lassen.
Auch diese Diskussion soll zeigen: Es ist äußerst schwierig, die auftretenden Einstellun¬gen und ihre Änderungen auf bestimmte Ursachen zurückzuführen. Namentlich beim Um¬gang mit den Begriffen des politischen System auf der einen Seite und der Gesellschaft auf der anderen Seite muß beachtet werden, daß diese Ebenen alles andere als voneinan¬der losgelöst zu betrachten sind. Daher ist auch eine Aussage mit Vorsicht zu genießen, die aufgrund (vordergründiger) autoritärer politischer Strukturen und weniger autoritären Umgangsformen auf privater Ebene das allgemeine Wirkungspotential auf Letztere gering¬schätzt.



Fazit

Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges hat sich vieles im Wertebereich und im Leben der Deutschen geändert. Allgemein werden diese Entwicklungen gerade in Bezug auf Indivi¬dualisierung, Pluralisierung und steigende Bedeutung der Freizeit gegenüber der Arbeit usw. quasi als Begleiterscheinungen des Überganges eines Staates von einer Industrie- zur einer Dienstleistungsgesellschaft betrachtet. So wird davon ausgegangen, daß \"die den Wertewandel auslösende sozialökonomische Umstrukturierung\", die diese Prozesse in¬duziert, \"im Bereich der ehemaligen DDR nicht stattgefunden hat.\" (Gerlach, 1995: 641) In dieser Lesart sind Unterschiede eine Art Phasenverschiebung, bei der der Osten - als typische Industriegesellschaft zu bezeichnen - dem Westen gewissermaßen nachhinkt. Da¬zu gehört auch die Diagnose, daß der Osten im Gegensatz zum Westen materielle Werte stärker betont. Hier halte ich Differenzierungen für angebracht: Zum einen ist der soge¬nannte Postmaterialismus teilweise untrennbar mit materialistischen Werten verbunden (Hedonismus kostet viel Geld, man könnte ihn genausogut als \"Materialismus zweiter Stufe\" branntmarken ) und erblüht erst im Zuge materiellen Wohlstandes. Zum anderen ist die Gesellschaft im Osten in mancher Hinsicht sogar - wenn man sich denn dieser Denk¬schablone bedienen will - \"postmaterieller\" als die Westliche. Beispielsweise geben im Osten mehr Menschen als im Westen an, daß die Bereitschaft, sich für andere einzusetzen, für sie ein sehr wichtiges Lebensziel sei (vgl.: ebd.: S.642).
Überhaupt stellt sich die östliche Gesellschaft sehr uneinheitlich dar. Es ist ein bemer¬kenswerter Mischtyp aus Elementen, die als typisch für die Industriegesellschaft gelten sowie aus jenen, die eher \"moderneren\" Ländern zugeordnet werden würden. (Z.B. der hohe Stand der Säkularisierung und liberale Familienmachtstrukturen gegenüber einer hohen Bewertung von Werten wie Disziplin und relativ geringere Wertschätzung von Meinungsfreiheit etc.) Diese seltsame traditionell-progressive Mischung verkompliziert die Beantwortung der politikwissenschaftlich interessantesten Frage: \"Wie wirken sich ver¬schiedene politische Systeme auf der Ebene des Privaten aus?\" Die Frage, ob und ggf. wie stark diese Mikroebene gegenüber einem Regime tat¬sächlich \"Beharrungsvermögen\" aufweist, bleibt unbeantwortet. Erschwert wird die Suche nach Antworten dadurch, daß es in der gegebenen Situation nahezu unmöglich erscheint, Wende-, durch das Politische Sy¬stem und durch sonstige Faktoren (z.B. die verschiede¬nen Ebenen des Wohlstandes) -be¬dingte Einstellungen voneinander zu trennen. Daher halte ich den Ansatz von Geb¬hardt/Kamphausen für nachahmenswert. Sie setzen anstelle konkreter Fragen und empiri¬scher Vergleiche die Methode der teilnehmenden Beobach¬tung. Nicht die Frage nach den Werten, sondern die nach den Mentalitäten steht im Vor¬dergrund. Damit umgeht man ein Minenfeld insbesondere bei der Auswertung, was nicht heißt, daß man damit keine Er¬gebnisse befordere. Und diese besagen, daß eindeutig die Gemeinsamkeiten überwiegen.
Die Frage nach den Unterschieden zwischen Ost und West haben einigen (wissenschaftlichen) Reiz. Doch muß auch gesagt werden, daß die Kluft bsplw. zwischen Jung und Alt, städtischer und ländlicher Bevölkerung, Ärmeren und Reichern, Männern und Frauen oder sogar diejenige zwischen Nord- und Süddeutschland in mancher Hinsicht größer ist als die hier Erörterte.

 
 

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