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geographie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Rückschritt der presse in den alten stil





Am 9. November wurde in der "Ostseezeitung" auf Seite 1 die Neuwahl des Politbüros bekannt geben. Der Artikel besteht zur Hälfte aus Namen; den alten Politbüromitgliedern und den neuen. Der zweite Teil beinhaltet die Dankesrede von Egon Krenz an die zurückgetretenen Mitarbeiter im Politbüro: kein Wort über inhaltliche Veränderungen, kein Wort über eine neue Politik. Krenz bedankt sich im Namen der ganzen DDR für die Arbeit der zurückgetretenen Politiker, würdigt diese in höchstem Maße, verurteilt aber gleichzeitig die Menschen, die für die Probleme in der DDR verantwortlich sind: "Unser Land durchlebt eine angespannte und äußerst schwierige Entwicklung. Die Verantwortung dafür tragen nicht die Werktätigen, nicht die Angehörigen der Intelligenz, nicht die Kulturschaffenden, Lehrer und Studenten; die Verantwortung dafür tragen nicht die Millionen ehrlicher Kommunisten, die schon seit langem auf die sich angestauten Probleme in unserer Gesellschaft hingewiesen haben. Die Verantwortung tragen Genossen, die Subjektivismus in der Betrachtungsweise der Entwicklung unseres Landes und in der Entscheidung über wichtige Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung als Meinung aller Parteimitglieder ausgegeben und durchgesetzt haben." (OZ, 9.11.89)
Passend zum Thema druckt die OZ neben diesem Artikel einen Leserbrief ab, der Krenz' Aussage bestätigt und darauf hinweist, daß es niemandem im Sozialismus schlecht ging und es entsetzlich ist, mit anzusehen, wie viele Menschen plötzlich Veränderungen fordern. "[...] Doch voller Bitterkeit fragen wir uns, ob es kulturvoll und würdevoll ist, wenn sich welche hinstellen und in die erregte Menge schreien, daß 40 Jahre DDR Chaos und Niederlagen wären? Das entspricht nicht den Tatsachen, das bestätigen uns auch andere Völker, und es beleidigt mich auch zutiefst. Sehe ich mir dann auch noch einige der Schreihälse genauer an, verfolge ich ihren Lebenslauf, dann kann ich nur warnen. Vorsicht! Demagogen! [...]" (OZ, 9.11.89)
Neben all diesen üblichen Jubelschreien auf die DDR erscheint ein paar Seiten weiter eine kurze Notiz, daß das "Neue Forum" als Partei zugelassen wurde. Das \"Neue Forum\" war bisher nur als Herausgeber der illegalen Zeitung \"Aufbruch\" bekannt. Mit der Zulassung des Neuen Forum versucht die SED ein letztes Mal, Spannungen zwischen Regierung und Volk abzubauen und Oppositionelle zu besänftigen. Aber auch dazu äußert sich kein Politiker der DDR in der Presse.

Um 18 Uhr desselben Abends beginnt eine Pressekonferenz mit Günter Schabowski, im neuen Politbüro verantwortlich für Informationspolitik.
Ein Reporter der italienischen Nachrichten Agentur ANSA fragt routinemäßig , wie es denn nun aussehen solle mit einer neuen Reiseregelung für DDR-Bürger. Schabowski liest monoton einen ihm zugeschobenen Zettel ab: "Mir ist eben mitgeteilt worden - der Ministerrat der DDR hat beschlossen: Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen - Reiseanlässe und Verwandschaftverhältnisse - beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt." Auch Visa zur ständigen Ausreise würden erteilt, die Ausreisen könnten "über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD beziehungsweise zu Berlin-West erfolgen." Stille herrscht im Saal, bis die Presseleute die Sensation erfassen, die sich hinter dem dürren Amtsdeutsch verbirgt. Ab wann? "Wenn ich richtig informiert bin, nach meiner Kenntnis unverzüglich", sagt Schabowski, jetzt selbst zögernd.
Um 19:02 Uhr endet die Pressekonferenz. Fünf Minuten später verbreitet ADN, die amtliche Nachrichtenagentur der DDR, die neue Reiseregelung.
Um 20:30 Uhr werden die Ereignisse im Bundestag in Bonn bekannt. Drei Abgeordnete stimmen spontan die Nationalhymne an, viele Politiker haben Tränen in den Augen.
Gegen 21:30 Uhr stürmen die ersten Ostberliner an die Grenzen nach Westberlin, noch herrscht Ungewißheit unter den Menschen, niemand wird durchgelassen. Dann, um 22 Uhr brechen alle Dämme, der Schießbefehl wird aufgehoben, die Grenzen sind offen. Überall strömen die Menschen in den anderen Teil der Stadt, die Menschen sind überglücklich und werden von den Westberlinern begrüßt und umarmt, überall wird gefeiert.

Ein Team des DDR-Fernsehens ist an diesem Abend in Berlin noch zufällig unterwegs. Es hört von der Grenzöffnung und fragt sofort in seiner Redaktion nach: "Sollen wir diese unglaublichen Bilder drehen ?" Antwort: Ein kategorisches "Nein". Ausdrückliches Drehverbot. Für das DDR-Fernsehen und die regierungsamtliche Nachrichtenagentur ADN findet das historische Ereignis nicht statt. Auch in den Zeitungen des nächsten Tages ist nichts über die Grenzöffnung zu finden. Keine neue Reiseverordnung, keine Pressekonferenz, nichts. Das Ereignis wird totgeschwiegen.
Erst am darauffolgenden Montag, dem 13. November gibt es erste Bilder und Stellungnahmen in den Zeitungen der DDR. Zeitgleich werden aber auch die neuen Programme der SED zur Erneuerung der DDR bekanntgegeben, so daß die Ereignisse des 9. Novembers schnell wieder in Vergessenheit geraten sollten. 16 Zeilen ist die Zusammenfassung dieses Tages am 13. November in der OZ lang. Viel größer dagegen sind die Schlagzeilen, in denen die Rede davon ist, daß die DDR-Bürger "von den BRD-Realitäten enttäuscht sind" (OZ, 13.11.89) oder auch wenn über das "Eklatantes Versagen des Bundeskanzlers in entscheidender Situation" (OZ, 13.11.89) berichtet wird.
Lediglich die Jugendzeitung "Junge Welt" berichtet schon am 11. November mit ein paar Zeilen von den Ereignissen, jedoch immer mit dem Unterton "Beeindruckt vom großen Intershop - aber die Heimat ist die DDR" (JW, 11.11.89).

Die Westliche Presse informiert ihre Bürger dagegen wesentlich ausführlicher. Die "Bild am Sonntag" bringt zum Beispiel am 12.11.1989 einen 10-seitigen Sonderteil und informiert über alle Ereignisse der letzten Tage und gibt sogleich praktische Tips, zum Beispiel zur Identifikation der "Gäste" mit Hilfe des Autokennzeichens.
Während sich die "Berliner Zeitung" Ende Dezember noch entschuldigt, daß jetzt auch Reklame von westlichen Firmen in der Zeitung erscheinen wird, bringt die "Berliner Illustrierte" eine Sonderausgabe zur "Revolution in der DDR" heraus. In der "Neuen Zeit" erscheint eine Todesanzeige mit dem Text: "Plötzlich und unerwartet, für uns alle unfaßbar, verstarb die Mauer. 13.8.1961 - 9.11.1989. Wir weinen ihr keine Träne nach..." (NZ, 8.12.89).

 
 



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