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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Persönliche stellungnahme --


1. Drama
2. Liebe

In diesem letzten Abschnitt werde ich zu einigen wichtigen philosophischen Problemen, sowie auch zu dem Roman Stellung beziehen und Anmerkungen machen.
Da die Hauptprobleme der Naturphilosophie von Demokrit weitestgehend zur Zufriedenheit aller gelöst worden sind, werde ich mich mit ihnen hier nicht weiter beschäftigen.
Eine wichtige Frage ist die des Naturrechts, von welchem Sokrates überzeugt war, an das seine sophistischen Zeitgenossen aber nicht glaubten. Die Frage-stellung lautet hier: Gibt es unveränderliche, ewige und über allen Völkern und Rassen stehende Moralvorschriften? Mit diesem Problem hat sich gut zwei Jahrtausende später auch Friedrich Engels befaßt. Er behauptete, es gebe diese Vorschriften nicht und begründete dies mit einem Beispiel: Er behauptete, das scheinbar allgemeingültige Moralgebot "Du sollst nicht stehlen" verliere in den von ihm idealisierten kommunistischen Gesellschaften, in denen jeder Mensch genug zum Leben hat und niemand mehr besitzt als seine Mitmenschen, an Bedeutung, da es hier schlicht und einfach nicht mehr nötig sei, weil die Menschen zum Stehlen kein Motiv hätten. Die Menschen, die dennoch stehlen, bezeichnet Engels als "geisteskrank". Hier hat Engels meiner Meinung nach aber nicht erfolgreich versucht, sich in die Lage der Menschen hineinzuversetzen: materielle Habgier kann auch dann bestehen, wenn kein Mensch mehr besitzt als der andere. Das Streben nach Besitz ist auch nicht, wie Engels meint, "geisteskrank", sondern vielmehr in mehrfacher Hinsicht für das Motivieren der Menschen und somit letztlich auch für das Funktionieren der Gesellschaft notwendig. Dieses Beispiel halte ich also nicht für greifend. Allerdings gibt es ein anderes, über das man nachdenken könnte: Man denke beispielsweise an bestimmte, von uns als "Zigeuner" bezeichnete Kulturen. In ihren Kreisen ist ein frequentes Austauschen von Gegenständen, auch ohne seine Mitmenschen vorher explizit um Erlaubnis zu bitten, durchaus üblich. Hier könnte man also auch durchaus behaupten, das Gebot "Du sollst nicht stehlen" gelte nicht, erweise sich also als nicht allgemeingültig. Trotzdem aber bin ich von der Existenz dieses Gebots überzeugt, wenn man es etwas exakter formuliert: "Du sollst dem anderen sein Eigentum nicht gegen seinen Willen wegnehmen." Dafür sind die Voraussetzungen einerseits der Begriff des Eigentums, der in der von mir oben beschriebenen Gesellschaft anscheinend nicht in der Form existiert, wie wir ihn kennen, und außerdem der tatsächliche Wille der Menschen, ihr Eigentum zu bewahren, der in dieser Kultur offenbar auch nicht vorhanden ist. Man könnte also behaupten, das Gebot sei hier nicht aktuell, trotzdem aber vorhanden und gültig.
Das nächste philosophische Problem, dem ich mich hier etwas eingehender widmen werde, ist Platons Ideenlehre. Zunächst fällt mir daran auf, daß mir die Vorstellung einer zweiten Realität, in der sich nichts verändert, die nichts als die bloßen "ewigen Ideen" der Lebewesen enthält und fernab jeglichen Bemerkens von menschlicher Seite existiert, unlogisch und fragwürdig erscheint. Wie ist diese Paralleldimension zu erreichen, und wie genau wirkt sie sich auf unsere Realität aus? Kann es möglich sein, daß ihre Existenz niemals begonnen hat und niemals aufhören wird?
Ich denke, die Mehrzahl der Menschen wird meine Zweifel darüber ohne weiteres nachvollziehen können. Aristoteles\' Einwand, das, was Platon mit "Idee" meine, sei das Bild, welches sich ein Mensch von einer bestimmten Sache mache, halte ich demnach für berechtigt, allerdings (!) nicht unbedingt für einen Wider-spruch. Viele Denker, wie Heraklit und - vor allen Dingen - die Stoiker (vgl. 3.11.3) hatten ja schon von einem "logos" (griech.: "Gott", "Weltvernunft") gesprochen, an welchem alle Menschen teilhätten. Die "Ideen", die Platon meinte, sind meiner Ansicht nach weder ewige Formen in irgendeiner hermetisch abgeriegelten Paralleldimension noch die Sinneseindrücke, von denen Aristoteles sprach. Vielmehr befinden sie sich im Bewußtsein unserer Weltvernunft, diese hat sie - in ihrer Welt - durch ihre Sinne aufgenommen, und gleichzeitig fungieren sie als Platons "ewige Ideen" für unsere Dimension. Unsere Weltver-nunft, unser "logos" ist möglicherweise ein Wesen in einer anderen Realität, und die Ideen sind der Inhalt ihres Bewußtseins. Ebenso ist jeder einzelne von uns möglicherweise ein solches "logos" und die "Ideen" jedes Einzelnen, ja, jeder Einzelne überhaupt ist von größerer Wichtigkeit, als wir es uns jemals hätten träumen lassen. Im Übrigen stimme ich mit Platon nicht darin überein, daß die Ideen ewig sind und ihr Zustand gleich bleibt, sondern denke vielmehr, die Veränderung und Weiterentwicklung verschiedener Lebensformen durch die Evolution beweist das Gegenteil. Unter dem oben angeführten Gesichtspunkt wäre das ja auch nur logisch. Dies ist der einzige, mir halbwegs logisch erscheinende Weg, die differierenden Auffassungen Platons und Aristoteles\' und ihr verschiedenes Verständnis des Begriffes "Idee" miteinander vereinbar zu machen.
Der Aufbau des Romans "Sofies Welt" ist meiner Ansicht nach als geradezu genial zu bezeichnen. Dadurch, daß Gaarder beschreibt, wie ein ahnungsloses Mädchen plötzlich von einem zuerst geheimnisvoll wirkenden Mann Fernkurse in Philosophie per Post erhält, erzeugt er eine gewisse Spannung, die groß genug ist, den Leser auch zum Konsumieren der Lehrtexte zu bewegen. Dabei steigert er die Spannung im Verlauf des Buches schrittweise immer mehr, sodaß einem nie die Lust vergeht, auch die philosophischen Texte zu lesen. Auf diese Weise erhält man jedoch - sozusagen schleichend - nicht nur geisteswissenschaftliche, sondern teilweise auch historische Allgemeinbildung, ohne aber den Lernprozeß - wie das bei vielen Schülern im Unterricht der Fall ist - als in irgendeiner Weise negativ, störend oder belastend zu empfinden. Sollte man trotzdem partout kein Interesse an diesen geschichtlichen Fakten haben, über sie bereits im Bilde sein oder die Sofie zugestellten Texte aus anderen Gründen nicht lesen wollen, so stellt es - zumindest in ungefähr der ersten Hälfte des Buches - kein gesteigertes Problem dar, sie einfach zu überspringen, da sie in einer anderen Schriftart gedruckt und zwar überaus geschickt innerhalb der Handlung plaziert, jedoch nicht mit dieser verwoben und somit für das eigentliche Verständnis unerheblich sind.
Ein weiterer ungeheurer Vorzug dieses Buches ist die Raffinesse, mit der Gaarder es versteht, den Leser in eine bestimmte emotionale Lage zu versetzen. Die bereits erwähnten mysteriösen Spuren von Hilde Møller Knag, die gleichmäßig sowohl qualitativ als auch quantitativ intensiver werden und bei Sofie eine ungeheure Bestürzung auslösen, lassen auch den Leser mitnichten unberührt. Dafür ist zum Teil einfach Gaarders Einfallsreichtum verantwortlich: die in der Zukunft abgestempelten Postkarten an Hilde tauchen an allen möglichen Stellen auf, beispielsweise fällt mitten im Unterricht eine dieser Karten aus einem Schulbuch von Sofie und sie verdächtigt im Stillen ihren Lehrer, diese absichtlich dort versteckt zu haben. Die Geburtstagsgrüße an Hilde erscheinen an den seltsamsten Stellen: sie sieht ein Propellerflugzeug mit einem Banner, auf dem sie irgendeine Reklame erwartet, aber ein "Herzliches Glückwunsch zum 15. Geburtstag, Hilde!" in Blockbuchstaben sieht. Eine ebensolche Mitteilung erscheint spontan auf der Innenseite einer Bananenschale. Durch all dies wird beim Leser eine ungeheure Spannung, wie auch die Vermutung eines großen Wendepunktes erweckt. Dieser setzt gegen Mitte des Buches ein und übertrifft meiner Ansicht nach alle nur möglichen Erwartungen um ein vielfaches.
Außer seiner Spannung ist Gaarder auch für seinen Humor zu loben, der - wie vermutlich aus den obigen Äußerungen teilweise schon zu erkennen war - eine leicht groteske Färbung aufweist, was seine Qualität aber keinesfalls mindert.
Zusammenfassend gelange ich zu dem Schluß: Ein derart gekonntes, raffi-niertes, spannendes und freches Buch zu schreiben ist eine Leistung, die in der heutigen Welt der Literatur wahrscheinlich alles andere als häufig anzutreffen ist.

 
 

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