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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Jugend ohne gott (lexikonartikel)


1. Drama
2. Liebe

Roman von Ödön von Horváth, erschienen 1937 und zusammen mit dem Roman Ein Kind unserer Zeit unter dem Obertitel Zeitalter der Fische 1953 neu veröffentlicht. - Die Verstocktheit des Her¬zens, die "Kälte als Schuld" (Franz Werfel), ist ein Grundmotiv beider Romane: "Die Erde dreht sich in das Zeichen der Fische hinein. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich wie das Antlitz eines Fisches" (Jugend ohne Gott). Verwandt sind beide Werke auch in ihrem Darstellungsprinzip, mit dem Hor¬váth eine "neue Form" gefunden hat: "die Form des lyrisch abgekürzten, dramatisch gespannten, indirekt zeitkritischen Romans" (Klaus Mann). Aufbau und Stil verraten den Dramatiker Horváth. Als kurze Kapitel reihen sich einzelne relativ selbständige Szenen, meist in Form knapper pointierter Dialo¬ge, aneinander; auch der innere Monolog, in den der Ich-Erzähler immer wieder gerät, ist durch Fra¬gen und Ausrufe dialogisch aufgelockert. Dramati¬sche Höhepunkte schafft Horváth zumal dort, wo er den Bericht unversehens in die Darstellung von Situationen übergehen lässt, die durch unmerkliche Tempuswechsel das Vergangene unmittelbar prä¬sent werden lassen. Die assoziativ-sprunghafte Fol¬ge lakonischer, oft telegrammartig verkürzter Sätze steigert die den Redewechseln und Situationen im¬manente untergründige Spannung und evoziert eine Atmosphäre ungreifbarer Bedrohung. So sehr lenken die dramatischen Stilmittel die Aufmerk¬samkeit des Lesers auf den Ablauf des Geschehens, dass die darin verborgene zeitkritische Problemstel¬lung nicht unmittelbar bewusst wird.
Das faschistische Verhalten einer Schulklasse soll den in Deutschland am Vorabend der nationalso¬zialistischen Machtergreifung herrschenden Geist enthüllen. Gleich zu Beginn des Romans wird der Ich-Erzähler, ein junger, an humanistischen Idea¬len orientierter Lehrer, Zeuge eines unwürdigen Streits, den seine Schüler um eine Semmel austra¬gen. Wenig später erhält der Lehrer einen weiteren bedenklichen Beweis für die Gesinnung der Klasse, als die Schüler ihm schriftlich ihr Misstrauen be¬scheinigen. Des Lehrers summarische Charakte¬ristik: "Eine schreckliche Bande ... Alles Denken ist ihnen verhasst! Sie pfeifen auf den Menschen! ... Ihr Ideal ist der Hohn", wirkt trotz dieser Symptome als unreflektierte, simplifizierende Verurteilung Unmündiger, die, vierzehnjährig, der Ideologie der Erwachsenen notwendig verfallen sind. Die poli¬tische Dämonisierung der Schüler durch das Medi¬um ihres moralisierenden Lehrers enthüllt sich vollends als willkürlich in einem vormilitärischen Ausbildungslager, wo die Klasse die Osterferien zubringen muss: denn weder im Diebstahl eines Fotoapparats noch in den pubertären Wirren eines Jungen und eines Mädchens, die für den Diebstahl mitverantwortlich sind, noch in den daraus entste¬henden Missverständnissen und Händeln manife¬stiert sich etwas schlechthin Böses; ebenso wenig werden in diesen Episoden allgemeinere zeitge¬schichtliche Vorgänge symbolisch transparent. Die Zwistigkeiten dieser "Jugend ohne Gott" kulminierten schließlich in einem Mord. Der Lehrer, der sich bemüht, den Diebstahl aufzuklären, beschä¬digt im Verlauf seiner heimlichen Nachforschun¬gen das Kästchen eines Schülers, worin dieser sein Tagebuch aufbewahrt, verschweigt aber aus Feig¬heit seine Tat und macht sich so am Streit der Schü¬ler und am Mord mitschuldig. Unversehens findet er sich verstrickt in ein "Leben des Elends und der Widersprüche", das ihm als ein "ewiges Meer der Schuld" erscheint, aus dem "einzig und allein die göttliche Gnade und der Glaube an die Offenbarung retten kann". In dieser Entwicklung kommt die Überlagerung der zeitkritischen Perspektive des Romans durch religiöse Gedankengänge unmittel¬bar zum Ausdruck. Der Diebstahl und seine ver¬hängnisvollen Konsequenzen stellen sich als Folge einer mit dem Dasein selbst gesetzten Erbsünde oder Urschuld dar, die "wie ein Raubvogel ihre Kreise zieht". Sie verflüchtigt sich im Roman aber zur Schuld eines einzelnen, des Schülers T. Während der Gerichtsverhandlung über den unaufgeklärten Mord gesteht der Lehrer, unmittelbar von Gott an¬gerufen, die Wahrheit und muss deshalb seine Stel¬lung aufgeben. Er rüttelt damit das Gewissen ande¬rer Zeugen wach und entlarvt endlich den Mörder, unterstützt von einigen Jugendlichen.
Der künstlichen Idealisierung des Lehrers, des "einzigen Erwachsenen, der die Wahrheit liebt", und der Jungen, die sich für "Wahrheit und Gerechtig¬keit" engagieren wollen, entspricht andererseits die Verteufelung des Schülers T., mit "hellen runden Augen", "wie ein Fisch". "Er wollte alle Geheimnisse ergründen, aber nur, um darüberstehen zu können - darüber mit seinem Hohn."
So wenig die Schulklasse anfangs zur Illustration des faschistischen Geistes taugte (den z. B. Brecht aus ähnlichen, scheinbar privaten Anlässen, in den Szenen Furcht und Elend des Dritten Reiches, 1935-1938, weit bedrängender vergegenwärtigt hat), sowenig lässt sich die Gestalt eines beliebigen, am herrschenden Ungeist schuldlosen Schülers in eine Allegorie der Unmenschlichkeit verwandeln. Die Ohnmacht seines unpolitischen Ethos veran¬lasst den Lehrer am Ende, diese "Illusionen der Charakterlosen unter dem Kommando von Idioten" zu verlassen und nach Afrika zu emigrieren. Damit bleibt der Zeitgeist nur atmosphärischer Hinter¬grund eines Geschehens, das durch seinen Ablauf, durch Entstehung, Verschleierung und Enthül¬lung eines Mords, eine eigene, durch dramatische Stilmittel intensivierte Spannung erzeugt, die den Problemgehalt des Romans zurücktreten lässt.

 
 

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