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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Hiob - heimatlosigkeit und fremderfahrung


1. Drama
2. Liebe



Klausur Leistungskurs Klasse 12 br /

Thema: Heimatlosigkeit und Fremderfahrung



Ist es nicht so, dass wir Menschen, wenn wir unzufrieden sind, versuchen unsere Situation zu unserem Vorteil zu verbessern und erscheint uns dann nicht auch ein Ortswechsel manchmal las passende und einzige Lösung ? Wenn uns alles zuviel wird und wir nicht mehr wissen, was wir noch machen können, klammern wir uns dann nicht an den Gedanken, dass es anderswo besser und einfacher sein könnte ?

Mit dieser Vorstellung haben schon die Menschen in der ehemaligen DDR gelebt und mit der Wiedervereinigung im Herbst 1989 haben viele diese Einstellung auch in die Tat umgesetzt, indem sie in den "Westen" gezogen sind, weil sie sich dort, in der alten Bundesrepublik Deutschland, ein besseres Leben erhofft haben.

Ebenso handelt der Protagonist Mendel Singer in dem Roman "Hiob" von Joseph Roth, der auf der Suche nach der "wahren Heimat" ist.

Auch Mendel Singer verbindet mit Amerika ein besseres Leben, welches sein "altes" armes Leben in Zuchnow ersetzen könnte, denn obwohl er mit "ehrlichem Eifer" (I. Kapitel, 1. Absatz) arbeitete "[...] war sein Leben ständig schwer und zuweilen sogar eine Plage." (I. Kapitel, 3. Absatz). Die Armut verdeutlicht sich auch in der Negation: "Sie hatten kein Gold zu wiegen und keine Banknoten zu zählen." (I. Kapitel, 3. Absatz).

Diese Armut ist aber nicht die eigentliche Ursache für den Umzug nach Amerika, sondern eigentlich nur beigeordnet. Viel entscheidender ist für Mendel Singer, der einen starken ausgeprägten Glauben besitzt, welches sich gleich zu Beginn in den Worten: "Er war fromm, gottesfürchtig [...]" (I. Kapitel, 1. Absatz) wiederspiegelt, dass seine Familie sich von den Traditionen des Judentums zu entfernen droht. Dies bestätigt sich schon darin, dass sein Sohn Jonas freiwillig zum Militär geht, aber auch seine Tochter Mirjam löst sich dadurch, dass sie ihre Zeit mit Kosaken verbringt, welches gegen die Tradition verstößt. Er erkennt diese Gefahr, die er auch in der Personifikation: "Ein Unglück schwebt über uns, wenn wir bleiben." (I. Kapitel, letzter Absatz), zum Ausdruck bringt. Um diese Gefahr der Auflösung der Familie und dem Abfall vom Glauben zu verhindern, beschließt er für die gesamte Familie nach Amerika zu gehen, wo sein Sohn Schemarjah schon lebt.

Es hält ihn ja auch eigentlich nichts in Zuchnow, denn heimisch hat er sich hier nie gefühlt, sondern eher bedroht und fremd, welches sich in seiner "Angst vor der unbekannten Erde und dem gefahrvollen Gewürm, [...]" (VI. Kapitel) verdeutlicht.

Auch keine Freunde binden ihn, da er sich "unsagbar einsam" (VI. Kapitel) fühlt.

Er fühlt sich ebenso wie viele andere Juden nur geduldet, aber nicht wirklich heimisch und sehnt sich nach der "wirklichen Heimat". Der Leser erfährt Mendel Singer also als einen Mann, der von einem Gefühl der Heimatlosigkeit begleitet, versucht sein Glück in einer "neuen Welt", nämlich in Amerika, welches er als fröhliches und freies Land einschätzt.

Sein erster Eindruck von Amerika ist recht widersprüchlich. Einerseits vergleicht er die "Männer in Uniformen" (IV. Kapitel, 3. Absatz) metaphorisch mit "Engel[n]" (IV. Kapitel), aber gleichzeitig stellt er auch fest, dass "Das [sind] die Kosaken Amerikas, [...]" (IV. Kapitel) sind, d.h. einerseits sieht er eine göttliche Verbindung, die für ihn etwas Gutes bedeutet, da er ein gläubiger Jude ist, aber andererseits sieht er anthithetisch dazu immer noch die Gefahr der Kosaken für seine Tochter Mirjam.

Das Amerika auch sonst nicht seinen Erwartungen entspricht, zeigt sich zum Beispiel in dem metaphorischen Vergleich: "glühte die Hitze wie graues schmelzendes Blei durch die alte die alte Mütze [...], drang in sein Gehirn und verlötete es dicht, mit feuchter, klebriger, schmerzlicher Glut." (IV. Kapitel). In dieser "Höllenerfahrung" macht sich deutlich, dass für Mendel Singer kein neues, besseres Leben in Amerika wartet, auch wenn er sich am Anfang des zweiten Teiles im Kapitel X. dies einzureden versucht, welches sich in dem emphatischen Ausspruch: "Ja, er war beinahe heimisch in Amerika !" und den metaphorischen Vergleichen von Amerika mit Palästina und New York mit Jerusalem zeigt. Da er sich aber selbst schon in dem Wort "beinahe" wieder abschwächt und einschränkt, wird dem Leser dennoch klar, dass es nur der äußere Schein ist, dass Mendel sich wohl fühlt.

Die Wirklichkeit ist nun einmal so, dass es für keine bessere Lebenssituation gibt.

Dies hatte sich schon bei seiner Ankunft angedeutet, als im klimaxartigen Satzaufbau festgestellt wurde, dass "Amerika [drang] auf ihn ein[drang], Amerika [zerbrach] ihn [zerbrach], Amerika [zerschmetterte] ihn [zerschmetterte]." (IX. Kapitel). Für Mendel Singer ist Amerika einfach viel zu schnelllebig, zu vieles dringt auf ihn ein, so dass er sich darin selbst und seine Identität verliert. Diese Erfahrung zeichnet sich in den rhetorischen Fragen: "Bin ich noch Mendel Singer ? Ist das noch meine Familie ? Bin ich noch Mendel Singer ?" (IX. Kapitel, letzter Absatz) ab. Er stellt also alles in Frage und der vorher von seinem Glauben an Gott bestärkte und selbstbewusste Mendel Singer wird schwächer durch seinen Identitätsverlust.

Er ist nicht mehr Herr über sein Leben und entscheidet nicht mehr selbst für sich, er wird zum Spielball einer höheren Macht, aber nicht mehr der Macht von Gott, der er sich vorher freiwillig untergeordnet und ergeben hat. Es erscheint ihm als: "[.] hätten, Deborah und Mendel, nicht freiwillig den Entschluß gefasst, nach Amerika zu gehen, sondern als wäre Amerika über sie gekommen, [.]" (VIII. Kapitel). Er fühlt sich also Amerika ausgeliefert und Amerika hilflos und klein gegenüber gestellt, wodurch er alles in Frage stellt, sogar seinen festen Glauben. Dies zeigt sich im Roman darin, dass er nach dem Tod von Schemarjah und Deborah, dem Verrücktwerden von Mirjam und dem Verschollensein von Jonas, versucht seine Gebetsutensilien zu verbrennen, aber im letzten Augenblick doch davor zurückschreckt.

Nach der Erfahrung Amerikas als Land der verlorenen Werte, des nicht gelebten jüdischen Glaubens, einer Welt des Kapitalismus, erkennt Mendel, nachdem er alles verloren hat, dass seine Entscheidung falsch war. Denn er bekennt: "Ich bin nicht Mendel Singer mehr, ich bin der Rest von Mendel Singer. Amerika hat uns getötet. Amerika ist ein Vaterland, aber ein tödliches Vaterland." (XIII. Kapitel, 2. Absatz).

Nicht nur für Mendel Singer, der nicht bereit war sich an das Neue anzupassen, war Amerika zerstörerisch, sondern auch für diejenigen Juden, die bereit waren sich zu assimilieren, also für Sam, Deborah und Mirjam. Mendel hat sich verändert, aber aus seiner Sicht nicht positiv, denn sein Wunsch eine Heimat zu finden, wurde nicht erfüllt, sein Traum, dass die Familie zusammenhält und gemeinsam den jüdischen Glauben lebt, war nicht Wahrheit geworden.

Mendel erkennt, dass sein Weggang aus Zuchnow nichts gebracht hat, denn "[.] Amerika war keine neue Welt." (X. Kapitel). Er lebte weiterhin in armen Verhältnissen ("Die Fenster gingen in einen finstern Lichthof, in dem Katzen, Ratten und Kinder sich balgten, [.]") (X. Kapitel) und hatte seine Familie und sich selbst verloren. Er hatte keine Kontrolle mehr und war macht- und wehrlos. Außerdem musste er ja auch noch seinen Sohn Menuchim, der ein "Krüppel" ist, in Zuchnow zurücklassen, was Mendel schmerzlich bereut.

Denn wie er schließlich feststellt: "[.] war [es], als hätte er soeben erst die Heimat verloren und in ihr Menuchim, den treuesten aller Toten, den weisesten aller Toten, den nächsten aller Toten. Wären wir dort geblieben - dachte Mendel, - gar nichts wäre geschehen!" (XIII. Kapitel). In diesem Fazit kommt Mendel zu der Einsicht, dass das, was er suchte nicht in der äußeren Welt zu finden war. Er konnte nicht durch einen Ortswechsel die Situation der Heimatlosigkeit aufheben, denn die "wahre Heimat" lag die ganze Zeit verborgen in ihm selbst. Nämlich in seinem Herzen ! Dieses Erkennen der in ihm innewohnenden Heimat zeigt sich in Menuchim, der als ein Teil von ihm die engste Verbindung zu ihm noch hat, aber eben auch zu "alle[n] Toten". Diese Verallgemeinerung zeigt sich in der oben angeführten Akkumulation sehr deutlich.

Das Resultat, welches Mendel am Ende des Romans ziehen kann, ist für ihn nach der ganzen Leiderfahrung ein positives, denn er findet, was er suchte - seine Heimat, die durch die Musik verkörpert wird. Die Musik wiederum erweckt natürlich Erinnerungen und Gefühle und genau dies erkennt Mendel als Heimat des Judentums an. Er gewinnt die Einsicht, dass die kleinen Dinge im Leben wichtig sind, weil diese das Leben lebenswert machen und man sich durch kleine Gesten der Liebe geborgen, beschützt und geliebt fühlt, also all das erleben kann, was ein Gefühl der Heimat ausmacht.

Die Einsicht, die Mendel gewinnt, hat Menuchim schon gewonnen, als er nach Amerika kommt, denn er komponierte ja die Musik die Mendel zur Erkenntnis brachte. Das Menuchim dieses Bild der neuen Heimat des Judentums verkörpert zeigt sich auch am Ende des Romans, als er seinem Vater das Zurücklassen in Russland symbolisch verzeiht. "Endlich erklingt Menuchims Stimme. "Steh auf, Vater!" sagt er, greift Mendel unter die Arme, hebt ihn hoch und setzt ihn auf den Schoß, wie ein Kind." (letztes Kapitel).

Dieses versöhnliche und gute Ende von Joseph Roths Roman entspricht nicht nur einem Happy- end, sondern auch dem märchenanmutenden Beginn mit den allgemeinen Worten: "Vor vielen Jahren lebte in Zuchnow ein Mann namens Mendel Singer." (I. Kapitel, 1.Satz). Vielleicht ist es genau dieses märchenanmutende und die "Wunder" am Ende die einerseits den Roman so "schön" machen, aber auch dem Leser verdeutlichen, dass die Wirklichkeit nicht so ist, denn solche "Wunder" geschehen nun einmal sehr selten.

Aber dennoch empfinde ich Joseph Roths Roman als sehr gelungen, da er auf einer sehr anschaulichen Ebene das verdeutlicht, worauf es den Menschen im Leben ankommen sollte. Nämlich nicht auf Geld, Reichtum und einen guten Ruf, sondern auf die "kleinen Dinge", eben wie ein Gefühl der Heimat, das Gefühl geliebt zu werden oder einfach nur, dass man von anderen respektiert und akzeptiert wird, als das, was man ist - ein einfacher Mensch.

 
 



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