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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Gedichtsinterpretation: andreas gryphius (eigentlich greif) "tränen des vaterlands"


1. Drama
2. Liebe

Kurzbiografie Gryphius, Andreas, eigentlich Andreas Greif, (1616-1664), Schriftsteller. Er war der bedeutendste deutsche Dichter und Dramatiker des Barock.



Gryphius wurde am 2. Oktober 1616 in Glogau (heute Głogow, Polen) geboren. Trotz ärmlicher Herkunft eignete er sich eine umfassende Bildung an und war schon in früher Jugend als Privatlehrer tätig. Während seiner Lehrtätigkeit an der Universität Leiden machte sich Gryphius mit den Theorien des Dramas vertraut, die er später in seinen Stücken anwandte und auch weiterentwickelte. Mit einer Kombination aus antiken, niederländischen und französischen Dramenmodellen schuf er einen neuen Typ des Trauerspiels. Von seinem Debüt Leo Armenius (1650) bis hin zu Catharina von Georgien (1651) behandeln seine Stücke durchweg historische Sujets und sind in Alexandrinern abgefasst. Motivisch vorherrschend sind das stoische Ideal der "Constantia" (Beständigkeit), das bei Gryphius in christlich-religiöser Färbung erscheint, und das zeittypische Vanitas- Motiv der Vergänglichkeit irdischen Glückes. Diese Denkweise stand in engem Zusammenhang mit dem Zeithintergrund des Dreißigjährigen Krieges und begegnet wieder in vielen seiner Gedichte, so der Sammlung Kirchhofsgedanken (1656).

Originaltext
Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen1 Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun2
Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch\' ist umgekehret. 5
Das Rathaus liegt im Graus3 , die Starken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd\'t, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut. 10
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen4 .

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer5 denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.6 15


1 frech: dreist, unverschämt
2 Karthaun: schweres Geschütz

3 Graus: Staub

4 fließen


5 schlimm
6 wegnehmen

Interpretation
In dem Gedicht "Tränen des Vaterlands" von Andreas Gryphius handelt vom dreißig jährigem krieg.

Das Gedicht gibt dem Leser einen erschütternden Eindruck von der Situation im Dreißigjährigen Krieg, verdeutlicht die Verwüstungen und Zerstörungen auf allen Gebieten des Lebens. Das Ausmaß der Zerstörung wird bereits in der ersten Versgruppe thematisiert, aber diese Aussage wird in einer für die Epoche charakteristischen Weise gesteigert, indem der Blick über die Realität hinausgeht. Auffällig aus unserer Sicht ist, dass der Krieg als gottgegebenes Schicksal gesehen wird. Das Gedicht will der Verzweiflung der vom Krieg Betroffenen Ausdruck geben. Der Titel "Tränen des Vaterlandes" gibt dieser Grundstimmung der Trauer konkreten Ausdruck und benennt den Kreis der vom Krieg Heimgesuchten. In den ersten drei Strophen werden die sichtbaren, in der letzten Versgruppe, dem zweiten Terzett, die nicht sichtbaren seelischen Auswirkungen des Krieges dargestellt. Während in den ersten drei Versgruppen Bilder des Elends gehäuft werden, verändert sich im letzten Terzett die Blickrichtung - eine für die Barocklyrik typische Wendung. Der Sprecher, der sich bereits im ersten Wort in der Pluralform "Wir" vorstellt, spricht hier verallgemeinernd und stellvertretend für alle vom Krieg Betroffenen. Er will keine subjektiven, sondern allgemeine Erfahrungen zum Ausdruck bringen, wechselt aber im letzten Terzett in die Position des Ich und warnt aus dieser überlegen erscheinenden Sicht vor dem Verlust des Seelischen. Die Form des sechshebigen Jambus, insbesondere die feste Reimordnung und der regelmäßige Wechsel klingender und stumpfer Kadenzen gibt auch diesem Gedicht, das von schlimmster Unordnung handelt, eine klare Symmetrie und setzt somit dem Chaos eine feste Ordnung entgegen.

Das erste Quartett setzt im ersten Vers mit einem durch die Zäsur geteilten doppelten Ausruf ein, der klimaktisch angelegt ist und voller Emphase das Thema angibt. Es folgen in den Versen 2 und 3 vier Gliedsätze, erst in der vierten Zeile folgen das Verb und die Objekte. Die Nomen die durch starkgewichtete Adjektive betont werden, sind gleichzeitig Subjekte und kennzeichnen die Subjektrolle des Krieges, dem die Objektrolle der betroffenen Menschen entspricht.

Der einleitende Ausruf ist als eine Art Motto des Sonetts zu verstehen: er verweist neben der Zeitangabe "nunmehr" auf den Kreis der Betroffenen sowie

das Ausmaß der Zerstörung. Das anmutende Ausmaß des Krieges vermag Andreas Gryphius eine paradoxe Steigerung von "ganz" auszudrücken. Die Verbform "sind verheeret" deutet auf das bereits Vollendete der Zerstörung hin, so dass eine Fortführung kaum denkbar erscheint. Von den vier Elementen des Krieges (Z. 3 und 4) verweist nur das erste konkret auf die Soldatenhaufen, die anderen drei Elemente charakterisieren Furcht und Schrecken des Krieges. Die Aussagerichtung wird im zweiten Quartett leicht verändert, worauf auch schon die etwas abweichende formale Struktur des Alexandriners, nämlich eine noch schärfere Zäsurbildung, hindeutet. Der Hauptbetonung liegt nicht mehr auf der Darstellung der zerstörerischen Dynamik des Krieges, sondern auf den Auswirkungen. In fünf Halbversen werden diese Auswirkungen einerseits sehr bildhaft, aber auch in starker asyndetischer Gliederung aufgezählt. Die Türme repräsentieren den Bereich der militärischen, die Kirchen den religiösen und das Rathaus den politischen Bereich. Diese Totalität wird im folgenden durch die antithetische Gegenüberstellung der Bezeichnungen "Starken" und "Jungfraun" (Z. 6f.) noch auf einer anderen Ebene angestrebt. Denn indem die Extreme, die Jungfraun stehen für die schutzbedürftige Schwäche, die Starken für Kriegs- und Lebenstüchtigkeit, so gegenübergestellt werden, wird ersichtlich, dass nicht nur jeder Lebensbereich, sondern auch jeder Mensch durch "Feuer, Pest und Tod" (Z. 8) betroffen ist. Und jeder Mensch ist in "Herz und Geist" (Z. 8) getroffen; auch hier wird wieder das Umfassende der Vernichtung hervorgehoben. Sie gilt dem Körper ebenso wie dem Gefühl und dem Verstand. Beide Quartette enden mit einer Ausspruchsvollen Aussage, die den vorher drängenden Rhythmus verlangsamt und die Aussagen bündelt.

Das erste Terzett weist nur Langzeilen auf sowie ein Enjambement (Z. 10/11); der bisher Rhythmus verlangsamt sich - entsprechend dem Thema der zeitlichen Dauer, verdeutlicht in der Bewegung der Ströme: "sich langsam fortgedrungen" (Z. 11). Das Zeitadverb "allzeit" (Z. 9) sowie die ungewöhnliche Zeitangabe "dreimal (...) sechs Jahr" (Z. 10), welche die Zeitangabe des Untertitels aufgreift, veranschaulichen das Unaufhörliche, das Nicht-enden-Wollende des Kriegselends. Obgleich sich die rhythmische Bewegung verlangsamt, wird die Aussage also weiterhin durch die Akzentuierung der Dauer gesteigert; dazu trägt auch die Hyperbolik der Aussage bei. Ausdrücke wie "allzeit frisches Blut" (Z. 9), "von Leichen fast verstopft" (Z. 11) bewirken die Ausdruckssteigerung und Eindringlichkeit ebenso wie die Pluralbildung "unser Ströme Flut" (Z. 10). Auch die temporale Konjunktion "als" (Z. 10), im Sinne von "seit, seitdem", akzentuiert diesen Aspekt der Dauer.

Nach diesen gehäuften Bildern des Grauens, die eine Steigerung nicht mehr zuzulassen scheinen, wechselt die Blickrichtung im zweiten Terzett. Der Autor wendet sich von den Bildern des sichtbaren Elends ab. Dieser Perspektivenwechsel wird akzentuiert durch das adversative "doch" zum Versbeginn sowie die Komparative "ärger" und "grimmer" (Z. 12f.). Der Sprecher stellt den nachdrücklich noch einmal genannten Realitätsbildern wie "Tod", "Pest und Glut und Hungersnot" (Z. 12f.), die rückblickend noch einmal das Grauen beschwören, das ungleich wichtigere Verhängnis gegenüber. Dies offensichtlich in Vergessenheit geratene Verhängnis betrifft die Seele. Dieses höchste Gut des Menschen wird mit der Metapher "Seelen-Schatz" (Z. 14) beschrieben. Dieser Schatz ist der Glaube an Gott, ist aber auch die durch den Glauben ermöglichte Reinheit der Seele, d.h. das Frei-Sein-von Sünden. Dieser Schatz ist zwar, so unterscheidet der Autor, nicht allen Betroffenen, aber doch "so vielen abgezwungen" (Z. 14). Wie die passivische Form nahe legt, hat also der Krieg die Menschen zur Sünde verleitet, sei es, dass sie sich am Krieg beteiligt haben, sei es, dass sie an Gott gezweifelt haben. Weitgehend sind die angesprochenen Menschen also Objekt des über sie hinweggehenden und auch unbegreiflichen Kriegsgeschehens. Das Gedicht thematisiert zwar den äußeren Zwang, der den Menschen kaum eine Wahl zu lassen scheint, aber indirekt ist das letzte Terzett als eindeutige Warnung zu verstehen. Der Mensch ist auch angesichts einer solch bösen Wirklichkeit für sein Seelenheil verantwortlich. Das Gedicht endet als Aufruf an die "vielen" (Z. 14), den Glauben nicht zu verlieren.

 
 

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