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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die »sheets of sound« (1955-1958/59)


1. Drama
2. Liebe

Als Coltrane 1955 von Miles Davis als Tenorsaxophonist verpflichtet wird, öffnen sich für ihn neue, noch nie gekannte Möglichkeiten. Miles Davis, als Sideman mit Charlie Parker bekannt geworden, läßt seinen Musikern jeden Freiraum zum Experimentieren. Anfangs darüber verblüfft, benutzt Coltrane diese Möglichkeit, seine harmonischen »approaches«, seine theoretischen Grundlagen auszubauen, und auf dieser Basis neue Ansätze für sein Spiel zu finden. Der erste Schritt ist, die harmonischen Grenzen der funktionalen Gerüste, über die er improvisiert, auszuweiten und so eine Vielfältigkeit des Spieles zu schaffen, die ihm offenbar verschlossen geblieben wäre, hätte er sich strikt an das gegebene Akkordmuster gehalten. Diese Spielweise stellt ihn in die Tradition von Tenoristen, die mit Coleman Hawkins ihren Ausgangspunkt hat. Im Gegensatz zu Lester Young, der stets Gewicht auf ein relaxtes, melodisches Spiel legte, bezieht Hawkins seine improvisatorische Grundlage aus den Harmonien, über die er spielt, und aus deren Brechungen - den Arpeggien - er seine Linien zusammensetzt. Coltrane jedoch geht einen entscheidenden Schritt weiter. Nicht nur baut er seine Phrasen auf Akkordbrechungen auf, sondern legt über die zugrundeliegenden Changes andere Brechungen, die den Akkorden eine plötzliche Doppeldeutigkeit verleihen. Der Effekt dieses Vorgehens liegt auf der Hand. die Harmonien, die er zusätzlich zu den obligatorischen impliziert, ergeben andere, vielfältigere Möglichkeiten, den nächstkommenden Akkord anzugehen, da er, der Improvisator, die Freiheit besitzt, diese von anderen Punkten anzugreifen. Auf diese Art und Weise ist es machbar, Linien und Phrasen zu spielen, die für den Hörer neu und unerwartet sind und dem Musiker die Freiheit bieten, dem bereits Gespielten und Erwarteten auszuweichen. So faszinierend diese Methode auch ist, bietet sie doch zumindest zwei Problempunkte. Der erste betrifft den jeweils beteiligten Pianisten. Sofern jener nämlich nicht mit diesem System vertraut war und seine Akkorde entsprechend vieldeutig legte und alterierte, bestand stets die Gefahr für Coltrane, daß seine Linien mit den Harmonien des Pianisten kollidierten und den Eindruck von Unstimmigkeit ergaben. Am ungehemmtesten praktizierte Coltrane diese Technik bezeichnenderweise mit Thelonious Monk, dessen sparsame und karikierende Spielweise einen idealen Boden für Coltranes Spiel abgab (anstelle eines C-maj-Akkordes beispielsweise spielte Monk manchmal nur Grundton und große Septim, zuweilen auch nur Oktav und große Septim, somit einen Zweiklang aus Noten im Intervall einer kleinen Sekund, also der größtmöglichen Dissonanz herstellend, der allerdings immer noch stimmigerweise den Akkord repräsentierte.
Die zweite Problematik liegt auf rhythmischer Ebene. Bei mittleren und schnellen Tempi ist der Zeitraum, der benötigt wird, um - außer dem Grundakkord - andere harmonische Strukturen zu implizieren, naturgemäß gering, geht man davon aus, daß die Changes ganz-, öfter allerdings nur halbtaktig wechseln. Um dieses Problem zu lösen, mußte er in eben diesem Zeitraum die gespielten Noten verdichten, zusammendrängen, was zu den »sheets of sound« führte. Diese bestehen aus Tonfolgen, die, rapide gespielt, einem den Eindruck einer Fläche, eines zusammenhängenden Klanges geben. Untersucht man diese Gebilde näher, so stellt man fest, daß es sich hier um Notengruppierungen handelt, die sich in ausgesprochen ungeraden Notenwerten manifestieren.
Um also so viel wie möglich in einem oder mehreren Takten unterzubringen, spielte er folglich Notenwerte, die ihm gestatteten, alle diese Töne auszuspielen, den Takt zu füllen. Um den rhythmischen Fluß aufrecht zu erhalten, setzte er in diesen »Notenschwall« Akzente auf rhythmisch wichtige Punkte. Für alle diejenigen, die im Jazz von einer Achtel-Grundphrasierung ausgingen, war diese Technik eine umwerfende Neuerung. Durch diese Klangflächen bricht Coltrane das rhythmische Grundkonzept auf: wo man keine eindeutig Time-bezogene Phrasierung mehr ausmachen kann, wo der melodische Ablauf nicht mehr primär sich in fließenden Achtel-Linien abspielt, muß die Rhythmusgruppe zwangsläufig polyrhythmisch spielen, will sie nicht einen steifen und trägen Eindruck hinterlassen. (Ein gutes Beispiel für die Trägheit der Rhythmusgruppe ist die Aufnahme »Gold Coast« auf Savoy, S. 129.) Im Dienste dieses Konzepts steht auch Coltranes Instruinentalton in jener Zeit. Beißend, penetrant und scharf, verleiht er seinem Spiel große Präzision, was vielleicht bei einem weichen dunklen Klang kaum möglich wäre; zu schwammig und zu wenig abgegrenzt, zu undifferenziert würden die sheets of sound- klingen. Dies ist möglicherweise auch der Grund dafür, daß andere Tenoristen dieser Zeit, die einen voluminöseren Ton besaßen (Gene Ammons, Sonny Rollins, Yusef Lateef) diese Spielpraxis nicht nachvollziehen konnten oder wollten. So viele Vorteile diese Konzeption auch haben mag, führt sie manchmal doch zu einer undurchdringlichen Komplexität des Gespielten, so daß Coltranes nächster Schritt nahe lag, nämlich die Harmonien, die er ansonsten mit seinen Arpeggien spielte, nun als funktionale Harmonien in ein Akkordgerüst einzubauen. Die nunmehr explizit vorhandenen Changes bildeten die Möglichkeit, ganz neue, frische harmonische Texturen zu schaffen, über die man linear improvisieren konnte und somit den Vorteil hatte, nicht mehr unzählige Akkordbrechungen einem einzigen Akkord aufpfropfen zu müssen. Logischerweise fällt auch der eigentliche Anfang Coltranes als Komponist in diese Phase, da er gezwungen war, Material, das die oben genannten Qualitäten besaß, zu schaffen. Dies ist zugleich der Beginn seiner zweiten Phase.

 
 

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